Mülheim. Weniger Aufträge, keine Planungssicherheit, Entlassungen: Die Lage der Unternehmen am Standort Mülheim ist nicht rosig. Erklärungsversuche.
Mülheims Wirtschaft ächzt unter der Rezession, Pessimismus macht sich in Betrieben breit - das spiegelt der kürzlich veröffentlichte Konjunkturklimaindex der hiesigen Industrie- und Handelskammer wider. Bezeichnendes Ergebnis: Der Trend zeigt nach unten. Dabei steht Mülheim im Vergleich zu seinen Nachbarstädten in gewissen Bereichen noch schlechter da.
„Mülheim liegt noch unter dem Durchschnitt und leidet mehr, weil der Branchenmix hier weniger Dienstleistung, dafür aber mehr Handel und Industrie hat, die die angespannte Wirtschaftslage besonders zu spüren bekommen“, ordnet Robert Schweizog von der Industrie- und Handelskammer für Essen, Mülheim und Oberhausen (MEO) ein. Im Dienstleistungssektor sehen die Befragten die Lage derzeit am besten und die Aussichten am vielversprechendsten.
Konjunkturklimaindex rutscht in Mülheim deutlich ab
Schlagzeilen wie „Der Konjunkturmotor läuft weiter auf Hochtouren“ oder „Gute Konjunktur in vielen Mülheimer Unternehmen“ gehören wohl vorerst der Vergangenheit an. Der Konjunkturklimaindex als gewichtetes Mittel von Lage und Aussichten ist mit Jahresbeginn in der MEO-Region auf einen Wert von 96,7 gesunken und rutscht damit zwölf Punkte unter den Stand von vor einem Jahr. In Mülheim liegt der Wert bei 84,5. Zum Vergleich: Die Nachbarstädte erreichen andere Kennzahlen: Oberhausen kommt auf 93,1, Essen auf 101,4.
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Gerade im Handel sei die Stimmung aktuell besonders schlecht, hat die IHK bei ihren Umfragen erfahren. Und gerade aus dieser Branche sind viele Unternehmen in Mülheim beheimatet. Für den Handel bewerten 24 Prozent der befragten IHK-Mitglieder in der MEO-Region die aktuelle Lage als schlecht, 42 Prozent gehen von einer Verschlechterung der Geschäftslage im laufenden Jahr aus, nur elf Prozent rechnen für 2024 mit einer Verbesserung.
Stabiler erweist sich nach Erkenntnissen aus den Befragungen der Wirtschaftszweig Industrie, wenngleich die Firmen rückläufige Auftragseingänge aus dem Inland angaben. Wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen seien hier oft als Geschäftsrisiko angeführt worden. „Hohe Steuern und Abgaben machen den hiesigen Unternehmen zu schaffen. Immerhin hat Mülheim mit die höchste Gewerbesteuer“, nennt IHK-Experte Robert Schweizog ein Beispiel und führt auch die bundesweit wieder angehobene Mehrwertsteuer in der Gastronomie sowie die Lkw-Maut und marode Verkehrsinfrastruktur als Hemmschuh an. „Wenn die Brücken bröckeln, verlieren wir im Ruhrgebiet unseren Standortvorteil, unsere gute Erreichbarkeit.“
Mülheimer Betriebe kritisieren, dass sie keine Planungssicherheit haben
Generell beklagten Betriebe in der MEO-Region eine zunehmende Planungsunsicherheit, was laut IHK eine spürbare Zurückhaltung bei Investitionen am Standort nach sich ziehe. Faktoren sei hier neben zu viel Bürokratie wie etwa beim Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz nach wie vor die Energiekrise. Laut Konjunkturumfrage kalkulieren 28 Prozent der Unternehmen mit weniger Investitionen. „Wer nicht planen kann, wartet, und wer wartet, investiert weniger“, verdeutlicht Schweizog den Prozess. Anders das Bild bei Auslandsinvestitionen: Diejenigen Unternehmen, die grundsätzlich im Ausland investieren, planen außerhalb von Deutschland eher mehr auszugeben (23,1 Prozent) - als Zielregion haben dabei die meisten Betriebe die Eurozone im Blick.
Als nach wie vor größtes Geschäftsrisiko werten die Unternehmen den Fachkräftemangel. 63 Prozent der Befragten sehen in ihm eine Gefahr für ihre wirtschaftliche Entwicklung. Hier wolle die IHK in der MEO-Region laut Schweizog künftig forcieren, dass mehr Fachkräfte aus dem Ausland angeworben und ihre Berufsabschlüsse hier anerkannt werden. Angesichts der schlechten Konjunktur rechnen aktuell aber 20 Prozent der Unternehmen eher mit einem Stellenabbau (ein Plus von 16 Prozent), wohingegen im Herbst noch mehr Betriebe von einem Zuwachs bei Personal ausgingen.
Zu der gedrückten Stimmung unter den Unternehmen sagt Kerstin Groß, Hauptgeschäftsführerin der IHK: „Nur zwei Mal in den letzten zehn Jahren war das Konjunkturklima schlechter: im Herbst 2020, also vor dem ersten Corona-Winter, und im Herbst 2022, als wir uns fragten, ob wir genügend Energie für den Winter haben.“
Unternehmen in Mülheim zeigen sich aufgrund der Lage verunsichert
Starke Verunsicherung unter den Betrieben registriert auch der hiesige Unternehmerverband nach der Auswertung seiner Winter-Konjunkturumfrage: Ein Viertel der befragten Metall- und Elektrounternehmen für die Region Mülheim, Oberhausen, Duisburg und rechter Niederrhein erwartet für die kommenden sechs Monate schlechtere Geschäfte, 64 Prozent hoffen zumindest auf eine gleichbleibende Geschäftslage - wenn auch auf schwachem Niveau.
Nur neun Prozent der befragten Firmen gehen von einer besseren Geschäftslage aus. 2022 waren es laut Unternehmerverband noch 19 Prozent. Wolfgang Schmitz, Hauptgeschäftsführer des Unternehmerverbandes, ordnet ein: „Die Lage hat sich noch einmal deutlich eingetrübt. Planungen werden zurückgestellt, weil niemand weiß, was sich als Nächstes ändern wird.“
Bei der derzeitigen Auftragslage im Inland sei die Situation signifikant schlechter, zieht der Unternehmerverband einen Schluss aus seiner Umfrage. Nur 18 Prozent der Befragten bezeichneten sie aktuell als gut, 2022 waren es noch 63 Prozent. Die ausländische Ordertätigkeit bezeichnen nur elf Prozent als gut (2022: 38 Prozent).
Besonders besorgniserregend ist nach Einschätzung des Unternehmerverbandes die Zurückhaltung bei Investitionen im Inland und die daraus resultierende Verschiebung der Investitionsvolumina ins Ausland: 55 Prozent der befragten Betriebe haben 2023 in Deutschland weniger investiert als 2022 (2022 zu 2021: 31 Prozent). Das Geld floss stattdessen eher ins Ausland, 60 Prozent der Unternehmen berichten von steigenden Investitionen außerhalb der deutschen Grenzen. Zum Vergleich: 2022 lag dieser Wert der Umfrage zufolge bei exakt 0 Prozent.
Wegen schlechter Auftragslage: Unternehmen entlassen Mitarbeiter
Der Hauptgeschäftsführer des Unternehmerverbandes wertet das als eine konkrete Folge der enormen wirtschaftspolitischen Unsicherheiten am Wirtschaftsstandort Deutschland. „Das ist ein Vorbote der Deindustrialisierung – diese wird kommen, wenn sich nichts ändert. Die Rahmenbedingungen stimmen einfach nicht, die Energiepreise sind zu hoch, hier muss die Politik jetzt das Ruder herumreißen“, fordert Schmitz.
Erste Konsequenzen zeichneten sich bereits ab, so der Unternehmerverband: In den vergangenen sechs Monaten haben bereits neun Prozent der befragten Unternehmen Mitarbeiter entlassen, zum Jahreswechsel 2022/2023 lag dieser Wert bei Null. Zudem rechneten 18 Prozent der Betriebe in den kommenden sechs Monaten mit weiteren Entlassungen (2022/2023: 13 Prozent). Schmitz betont: „Wenn die Unternehmen trotz des immer stärkeren Arbeits- und Fachkräftemangels Mitarbeitende freisetzen müssen, dann sind wir auf einem sehr gefährlichen Pfad unterwegs.“
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