Mülheim. Ehrenamtliche kontrollieren den Saarner Deich bei Hochwasser permanent. Sie wissen, wo die Schwachstellen liegen - und auch, wer ihn beschädigt.
Niemand kennt den Mülheimer Deich zwischen Saarn und Mintard so gut wie diese Männer: Volker Neuhaus, Ulrich Bösebeck und Ralf Neitzel dürfen sich Deichgräf und Deichamt nennen. Bei Hochwasser ist es ihre Aufgabe, den Schutzwall zu überwachen. Bei Höchstständen tun sie das alle zwei Stunden – Tag und Nacht.
„Das Ding, das hält“, sagt Deichgräf Volker Neuhaus. Und auch Ulrich Bösebeck, sein Stellvertreter im Saarn-Mintarder Deichverband, meint: „Der Deich hat immer bewiesen, dass er beständig ist.“ Zwar war ihr Weihnachtsfest angesichts des Hochwassers nicht das allerruhigste - an die Sorge, die die Männer im Juli 2021 bei der Jahrhundertflut erlebten, kommen die vergangenen Tage aber nicht heran. „Damals stand das Wasser deutlich höher“, erinnert sich Bösebeck und erzählt mit einer Armbewegung Richtung Mintarder Straße: „Da vorne hatte sich Wasser unterm Deich auf die Straße durchgedrückt.“
Mülheimer Umweltamt: Schwachstellen im Saarner Deich sind bekannt
Der 78-Jährige, der seit Mitte der 50er Jahre am Staader Loch lebt und dort den Campingplatz betreut, hat schon häufig erlebt, dass die Ruhr hinter dem Damm, der vis-à-vis seines Hauses an der Mintarder Straße liegt, anschwillt. Als Mitglied der Deichwache kennt er die Schwachstellen des Deichs ganz genau - eine liegt etwa da, wo der langgestreckte Hügel bei Haus Kron eine Kurve beschreibt - dort leckt bei Höchstständen dann das Wasser auf den Asphalt.
Auch Ulrike Bresa, Leiterin des Amtes für Umweltschutz, spricht von neuralgischen Punkten an dem beinahe 100 Jahre alten Damm, die bekannt seien. „Wir wissen genau, wo wir mit welchen Gegenmaßnahmen ansetzen müssen, etwa mit Ballastierungsmaterial, um den Deich zu stützen.“ Über 2000 Sandsäcke und Bigbags mit Schottermaterialien lägen dazu bereit. Bislang sind diese beim aktuellen Hochwasser noch nicht zum Einsatz gekommen.
Wenn Wasser sich unter dem Deich durchdrückt und auf der Mintarder Straße ankommt, wird‘s brenzlig
Dass sich jenseits der Mintarder Straße auf Feldern und Wiesen bereits große Wasserflächen gebildet haben und sich auch am Anfang der Mintarder Straße, von der Mendener Brücke kommend, eine große Pfütze ausgebreitet hat, die eine Straßensperrung zur Folge hat, erklärt Deichgräf Volker Neuhaus so: „Der Boden hier besteht aus Lehm und Kies. Da, wo vor allem Kies liegt, kommt das Wasser als erstes durch.“ Nahe des Damms sei das nicht von Nachteil, im Gegenteil, erklärt Neuhaus, dessen Vater und Großvater bereits Deichgräf waren: „Das nimmt Druck vom Deich.“
Blickt Ulrich Bösebeck am Mittwochmittag auf dem Deich stehend hinunter zum Fluss, sieht er, dass das Wasser die Wiese davor verschluckt hat, in der während der Schönwetter-Saison die Wohnwagen seiner Camping-Gäste stehen. Unten züngeln die Fluten am Fuß des Schutzwalls, der Fluss wälzt sich breit und braun Richtung Mendener Brücke.
Campingplatzbetreiber haben den Mülheimer Deich bei Hochwasser permanent im Blick
Für Ralf Neitzel (63), der ein paar hundert Meter flussabwärts lebt, bewegt sich das alles noch im Rahmen: „Ein normales Winterhochwasser, so wie wir das immer mal hatten.“ Neitzel, der den Campingplatz an Haus Kron betreibt, gehört ebenfalls zum Deichamt, dem Vorstand des Saarner Deichverbandes, der im kommenden Jahr sein 150-jähriges Bestehen feiert. Im Deichverband haben sich Landwirte, Gastronomen und Privatpersonen zusammengeschlossen, die Anlieger der Hochwasserschutzanlage sind. „Es ist ja auch zu unserer Sicherheit“, erklärt Ulrich Bösebeck sein ehrenamtliches Engagement in dem Zusammenschluss.
Der Deichverband besteht zurzeit aus 32 Mitgliedern, die der Allgemeinheit ihre Abschnitte des Damms zur Verfügung stellen. Für Verkehrssicherungspflicht und Instandhaltung kommt auch die Stadt mit ins Boot. Für eine Sanierung will die Verwaltung laut Umweltamtsleiterin Bresa Fördergelder erwirken. Einen Teil der Kosten für die Ausbesserung des Schutzwalls, 20 Prozent der Gesamtsumme, müsse der Deichverband selbst tragen. Wie sie das mit ihren rund 30 Mitgliedern finanzieren sollen, wissen die Verantwortlichen nicht. Bösebeck rechnet vor: „Ein Entwurf geht von Kosten in Höhe von knapp 20 Millionen Euro aus - wie sollen wir davon 20 Prozent zusammenkriegen?“
Mülheimer Deichamts-Mitglied: Unverantwortlich, bei Hochwasser auf dem Deich unterwegs zu sein
Im Moment, sagt der 78-Jährige, „leben wir gut damit, wie es ist.“ Am zurückliegenden Weihnachtswochenende war Bösebeck wieder mit seinem Deichamts-Kollegen Ralf Neitzel entlang des Damms unterwegs - Deichwache halten wegen der hohen Pegel. Je nach Höhe der Durchflussgeschwindigkeit sind sie ein Mal, zwei Mal oder alle zwei Stunden entlang des Deiches unterwegs.
Was die Männer dabei am meisten aus der Fassung bringt, ist nicht die Natur, die über die Ufer tritt, sondern der Mensch, der zahlreiche Verbotsschilder missachtet. „Trotz der Absperrungen sind viele Leute auf dem Deich unterwegs, mit Kindern, mit Fahrrädern oder mit Hunden, die sie noch in der Erde wühlen lassen. Dabei könnten sie alle den Deich schützen, wenn sie ihn jetzt nicht betreten würden“, sagt Ralf Neitzel kopfschüttelnd. Denn gerade im vorderen Bereich, nahe der Mendener Brücke, bestehe die Deichkrone nur aus einer Erdnarbe, sei entsprechend wenig geschützt und anfällig dafür, abgetragen zu werden, erklärt Neitzel und meint: „Bei Hochwasser auf dem Deich unterwegs zu sein, ist unverantwortlich.“
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