Mülheim. Vor 70 Jahren kehrten die Mülheimer Röhrenwerke zurück zur 48-Stunden-Woche. Heute kämpft die IG Metall für 32 Stunden. Ein Rückblick.
„Rheinische Röhrenwerke kehren zur 48-Stunden-Woche zurück!“ So meldete es diese Zeitung in ihrer Ausgabe vom 7. Dezember 1953, vor fast genau sieben Jahrzehnten. Welch ein Unterschied zur aktuellen Tarif-Forderung der Industriegewerkschaft Metall nach einer 32-Stunden-Woche.
„Die Arbeitsverdichtung hat zugenommen. Wir generieren heute mit einer 35-Stunden-Woche mehr Wertschöpfung als mit der 48-Stunden-Woche vor 70 Jahren“, erklärt Jörg Schlüter, erster Bevollmächtigter der IG-Metall Mülheim, Essen, Oberhausen. 32 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich - das fordert die 1949 in Mülheim gegründete IG Metall heute. Aus Schlüters Sicht macht es wirtschaftlich und sozial Sinn: „Die Stahlindustrie befindet sich in einem Transformationsprozess, an dessen Ende wir grünen Stahl produzieren und damit auch viele Arbeitsplätze verlieren werden. Wenn Stahl nur noch mit erneuerbaren Energieträgern hergestellt wird, brauchen wir keine Kokereien mehr“, sagt Schlüter.
Fachkräftemangel in der Mülheimer Stahlindustrie: „Arbeitsplatz attraktiv machen“
Aktuell macht die Einführung der 32-Stunden-Woche für ihn vor allem deshalb Sinn, „weil wir auch in der Stahlindustrie einen Fachkräftemangel haben“. Deshalb, so Schlüter, der in Mülheim, Essen und Oberhausen insgesamt rund 20.000 IG-Metall-Mitglieder vertritt, „müssen wir den Arbeitsplatz Stahlindustrie attraktiv machen und den vorhandenen Kolleginnen und Kollegen mehr Zeit zur Regeneration geben“.
Ähnlich argumentierte auch IG-Metall-Chef Otto Brenner, nach dem seit 1976 in Mülheim-Dümpten eine Straße benannt ist, als er 1955 bei einer Werkmeister-Versammlung im Handelshof die Einführung der 40-Stunden-Woche und damit einen arbeitsfreien Samstag forderte: „Samstags gehört Vati mir!“, plakatierte damals der Deutsche Gewerkschaftsbund. „Bis 1961 haben wir 48 Stunden pro Woche gearbeitet, und erst vor 50 Jahren wurde der Samstag arbeitsfrei“, erinnert sich Walter Neuhoff. Der 1936 geborene Mülheimer arbeitete bis zu seiner Pensionierung bei Thyssens Betriebskrankenkasse.
Internationale Wettbewerbsfähigkeit als Argument gegen kürzere Arbeitszeit
Damals wie heute wird die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie gegen Arbeitszeitverkürzung ins Feld geführt. Mit diesem Argument begründete auch der erste Reichskanzler und Mülheimer Ehrenbürger Otto von Bismarck 1885 die Beibehaltung der damaligen 72-Stunden-Woche. Damals ging die Friedrich-Wilhelms-Hütte in ihr 74. Jahr und das Styrumer Stahlwerk August Thyssens in sein 15. Jahr.
Der Vorgänger der IG Metall, der 1891 gegründete Deutsche Metallarbeiterverband, kämpfte seinerzeit für eine Arbeitszeitverkürzung auf 48 Stunden. Doch die damaligen Gewerkschafter hatten schlechte Karten. Sie waren im Kaiserreich illegal. Streiks wurden mit Polizeigewalt beendet. Erst unter dem Eindruck der Novemberrevolution 1918 handelte der Mülheimer Industrielle Hugo Stinnes auf der Arbeitgeberseite mit dem Gewerkschaftsführer Carl Legien die Einführung des Acht-Stunden-Tages und damit die 48-Stunden-Woche und die Anerkennung der Gewerkschaften als Tarifpartner aus.
In der NS-Zeit stieg die Wochenarbeitszeit, kriegsbedingt, auf 50 Stunden
Unter den Nationalsozialisten, die die Gewerkschaften 1933 auflösten und durch die staatlich gelenkte Deutsche Arbeitsfront ersetzten, stieg die Wochenarbeitszeit, kriegsbedingt, wieder auf 50 Stunden. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als fast 900.000 Kubikmeter Trümmerschutt auf Mülheims Straßen lagen, sank die Wochenarbeitszeit zwischenzeitlich auf weniger als 40 Stunden. Doch in Zeiten des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders hielten die westdeutschen Arbeitgeber dann die 48-Stunden-Woche für unverzichtbar.
Angesichts stark steigender Arbeitslosenzahlen begann die IG Metall, die mehr als 80 Prozent aller Beschäftigten in der Stahlindustrie vertritt, ihren Kampf für die Einführung der heutigen 35-Stunden-Woche.
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