Mülheim. Mülheimer Eltern sind laut Familiencheck sehr unzufrieden mit der Digitalisierung an Schulen. Was die Stadt sagt und wie es an den Schulen läuft.

Mehr als 8000 Menschen aus dem gesamten Ruhrgebiet haben an unserer großen Umfrage „Familiencheck“ teilgenommen, darunter mehr als 400 Menschen aus Mülheim. Dabei hat sich herausgestellt: Mülheimer Eltern sind mit der Digitalisierung an den städtischen Schulen unzufriedener als Eltern in anderen Städten. Sie vergaben die Schulnote 3 und sparten in ihren Kommentaren nicht mit Kritik. Vor allem zwei Fragen sorgen demnach für Frust: Warum hat nicht jedes Kind in Mülheim ein Tablet? Und wann sind endlich alle Schulen ans Glasfasernetz angeschlossen und haben stabiles Internet?

Das ist der Familien-Check

Wie bewerten Familien das Freizeitangebot in ihrer Stadt, wie blicken sie auf Schulen und Kitas? Wie flexibel ist der Arbeitgeber, wenn das Kind krank wird? Nach diesen und vielen Themen mehr haben wir in unserem „Familien-Check“ gefragt. Und mehr als 8300 Menschen aus der ganzen Region haben mitgemacht. Die Erkenntnisse stellen wir Ihnen nun in loser Folge vor. Und natürlich haben viele Teilnehmenden auch Anregungen geliefert, die wir gerne aufgreifen. Repräsentativ war die Umfrage nicht, weil die Teilnehmenden keinen Querschnitt der Bevölkerung bilden. Die Bewertungen sind vor allem als Hinweise zu verstehen, wo etwas gut oder schlecht läuft.

Wir haben mit mehreren Schulleiterinnen und Schulleitern gesprochen und auch der bei der für Digitalisierung zuständigen Dezernentin, Anja Franke, nachgefragt. Die schlechte Nachricht zuerst: „Mit Blick auf die Entwicklung der kommunalen Haushalte ist eine 1:1-Ausstattung aus städtischen Mittel nicht sichtbar“, räumt Anja Franke ein. Das bedeutet: Eltern werden auch weiterhin neidisch in die Nachbarstadt Essen blicken, wo jedes Schulkind mit einem eigenen Tablet ausgestattet wird. In Mülheim ist aktuell jede Schule auf einem anderen Stand, was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass Endgeräte über Förderprogramme finanziert werden. „Die Förderprogramme ticken unterschiedlich, so wurde bei den Endgeräten teilweise Geräte der Stadt schulscharf zugewiesen, teilweise wurden Gerätekontingente pro Klasse gefördert“, erklärt Anja Franke.

Digitalisierung sieht in Mülheim an jeder Schule anders aus

So haben die Gesamtschule Saarn, die Realschule Stadtmitte und die Schule am Hexbachtal vom React Programm profitiert, das Schulen an sozial benachteiligten Standorten vorbehalten ist. An diesen Schulen ist inzwischen jedes Kind mit einem Tablet versorgt. An anderen Schulen ist die Lage vollkommen anders. Etwa am Gymnasium Heißen, wo auf 1048 Schülerinnen und Schüler 120 Tablets kommen. Das bedeutet: Wenn eine Lehrkraft digital arbeiten möchte, muss sie sich mit den Kollegen absprechen. Die Schüler wiederum können die Tablets nicht personalisieren, weil sie jedes Mal ein anderes Leihgerät in der Hand haben. Die digitalen Tafeln der Schule wurden sogar überwiegend selbst finanziert durch Spendenläufe.

Patrick Rodeck ist Schulleiter des Gymnasiums Heißen (hier auf einem Archivfoto aus Januar). Dort haben Lehrer, Schüler und Eltern gemeinsam Geld für digitale Tafeln gesammelt.
Patrick Rodeck ist Schulleiter des Gymnasiums Heißen (hier auf einem Archivfoto aus Januar). Dort haben Lehrer, Schüler und Eltern gemeinsam Geld für digitale Tafeln gesammelt. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

„In Lehrplänen wird immer mehr digitaler Unterricht verlangt, außerdem wollen wir unseren Schülern Medienkompetenz vermitteln, aber nicht jede Schule verfügt über die Ausstattung, die dafür überhaupt nötig ist“, kritisiert Patrick Rodeck, Leiter des Gymnasiums Heißen. So gehören inzwischen Sport-Apps, durch die Bewegungsabläufe analysiert werden, zum modernen Unterricht dazu. In der Sporthalle gebe es aber aktuell kein WLAN. Und auch andere Bereiche des Schulgebäudes haben nur deshalb Empfang, weil signalverstärkende LTE-Boxen genutzt werden. Rodecks Fazit: „Wenn irgendwann alle Kinder über ein eigenes Tablet verfügen, macht das Netz gar nicht mit.“

Digital-plus-Klassen arbeiten besonders intensiv mit Tablets und Co.

„Ab 200 Geräten muckt der Router schon. Die Seiten öffnen sich gar nicht oder zu langsam“, sagt Fabian Jesse, Digitalisierungsbeauftragter der Gesamtschule Saarn. Auch dort wartet man sehnsüchtig auf den Glasfaseranschluss. Allerdings unter vollkommen anderen Voraussetzungen. Denn die Gesamtschule Saarn gilt als Modellschule in Sachen Digitalisierung. Dort sind nicht nur alle 1150 Schüler mit Tablets ausgestattet. Dort ist auch das Gebäude im Zuge der Sanierung bereits neu verkabelt worden. Das heißt: Wenn der Glasfaseranschluss kommt, kann das schnelle Internet sofort genutzt werden.

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Zudem wurden über die Bezirksregierung zwei Koordinationsstellen geschaffen. Zwei Lehrer aus dem Kollegium wurden zu Digitalbeauftragten, begleiten den Prozess intensiv und bilden Kollegen fort. Inzwischen gibt es sogar zwei digital-plus-Klassen, die besonders intensiv mit digitalen Medien arbeiten und als Vorreiter ausloten, wie digitaler Unterricht am besten funktioniert.

Ein Besuch in einer dieser beiden Klassen der Jahrgangsstufe sechs zeigt sehr deutlich, wie groß die Transformation nur acht Monate nach Einführung der 1:1-Versorgung mit Tablets ist. Klassenlehrerin Mirja Cronin schickt den Kindern zu Beginn des Unterrichts digitale Arbeitsblätter auf die Tablets und ein Video. Das sehen sich die Kinder zunächst gemeinsam auf der digitalen Tafel an, anschließend noch einmal für sich auf den Tablets. Das Arbeitsblatt bearbeiten sie ebenfalls digital, entweder handschriftlich mit einem elektronischen Stift oder über die Tastatur. Am Ende der Stunde wird über das Smartboard eine Runde „Wer wird Millionär“ gespielt. Dafür nutzt die Lehrerin eine App, in der sie selbst Quizfragen passend zu ihrem Unterrichtsthema eingeben kann.

Mirja Cronin (li.) schickt den Schülern ihrer Digital-plus-Klasse an der Gesamtschule Saarn das Arbeitsblatt direkt auf die Tablets. Die Ergebnisse werden an der digitalen Tafel besprochen.
Mirja Cronin (li.) schickt den Schülern ihrer Digital-plus-Klasse an der Gesamtschule Saarn das Arbeitsblatt direkt auf die Tablets. Die Ergebnisse werden an der digitalen Tafel besprochen. © FUNKE Foto Services | Oliver Mueller

Und jetzt kommt noch das große Thema Künstliche Intelligenz dazu

„Digitaler Unterricht bedeutet nicht nur, Papier gegen Tablet zu tauschen. Wir haben ganz neue Möglichkeiten, wir könnten uns zum Beispiel mit einer Klasse in England zusammenschließen, um Englisch zu lernen“, sagt Mirja Cronin, die gleichzeitig Koordinatorin für digitale Unterrichtsentwicklung ist. Für Kinder mit Lese-Rechtschreibschwäche oder Nicht-Muttersprachler sei die Einbindung von Tonaufnahmen enorm hilfreich. Nun käme noch das große Thema Künstliche Intelligenz hinzu. „Auch hier ergeben sich Chancen. Ich kann als Lehrerin KI nutzen, um Multiple-Choice-Fragen zu einem Text zu generieren“, erklärt sie.

Digitalisierung an Schulen ist eben nicht nur eine Frage der Technik. Das betont auch Birte Kellermann, Leiterin der Grundschule Krähenbüschken. „Nur weil ein Kind ein Tablet hat, haben wir noch keinen herausragenden digitalen Unterricht.“ Das Lehrerkollegium der Grundschule bildet sich regelmäßig fort, aktuell sogar monatlich. „Auch hier geht es darum, alle Lehrer mitzunehmen. Das ist ein riesengroßer Transformationsprozess.“ An der Grundschule Krähenbüschken wird wie auch am Gymnasium Heißen mit einem kleinen Kontingent an Tablets gearbeitet, die von allen Klassen nach Absprache genutzt werden. „Es wird immer Schulen geben mit mehr Ausstattung und besserem Internet, aber diese Entscheidungen fallen nicht in den Schulen. Unsere Aufgabe ist es, zu ermitteln, was richtig guten digitalen Unterricht ausmacht“, sagt die Schulleiterin.

Birte Kellermann, Leiterin der Gemeinschaftsgrundschule Krähenbüschken, sagt: Digitalisierung ist nicht nur eine Frage der Technik.
Birte Kellermann, Leiterin der Gemeinschaftsgrundschule Krähenbüschken, sagt: Digitalisierung ist nicht nur eine Frage der Technik. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Wann kommt endlich der ersehnte Glasfaseranschluss? Der Zeitplan der Medl

Birte Kellermann betont, dass die Kommunikation mit dem Amt für Digitalisierung gut und zuverlässig sei. Dezernentin Anja Franke hat für alle Schulen sogenannte Steckbriefe erstellen lassen, in denen festgehalten wird, wo die Schule aktuell steht. Dabei werden jeweils vier Bereiche betrachtet: die Ausstattung mit Endgeräten, die WLAN-Abdeckung in den Räumen, die Verkabelung innerhalb der Schule sowie der Glasfaseranschluss der Schule. Erklärtes Ziel ist, pro Schüler 2 Mbit/s Datenübertragungsrate zu erreichen. Den Breitbandanschluss will die Medl bis Mitte 2025 für alle Schulen erledigt haben. Doch Anja Franke macht den Schulen keine Illusionen: „Ein Glasfaseranschluss vor dem Haus macht noch kein stabiles Internet.“ Ausschlaggebend sei die Verkabelung in den Schulgebäuden. „Das ist der eigentliche Knackpunkt. Wenn in einer Schule eine Sanierung ansteht, wird das automatisch eingeplant. Aber wir brauchen auch für alle anderen Schulen einen Plan für die Verkabelungsarbeiten.“

+++Schule ist ungerecht. Aber das lässt sich ändern+++

Alle Beteiligten sind sich einig, dass die Digitalisierung der Schulen ein fortlaufender Prozess in einer sich ständig verändernden Welt ist. Deutlich wird auch, dass die Digitalisierung alle Bereiche von Schule betrifft. So haben die Schüler enorm unterschiedliche Voraussetzungen von Elternhäusern ohne Internet bis zu Familien mit komplett unreguliertem Medienzugang. Eine weitere Komponente: Der Verwaltungsaufwand in den Schulen erhöht sich enorm. Schulsekretäre und Sekretärinnen müssen nun auch den Austausch defekter Geräteteile und Tabletversicherungen managen. Zudem wird die interne Organisation wie Stundenpläne und Klassenbücher auf digital umgestellt. Mehr Personal gibt es dafür nicht. All das kommt obendrauf.

Anja Franke fordert die Schulen auf, eng zusammenzuarbeiten. „Auch bei digitalen Unterrichtskonzepten werden sich wieder Inseln bilden, wenn jede Schule für sich bleibt. Je mehr es aber gelingt, gemeinsame Standards zu schaffen, desto besser können wir Lösungen finden.“

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