Mülheim. Jörg Juretzkas neues Buch ist raus: “Nomade 2“. Der Mülheimer Autor spricht über Knackarsch, Radeln und warum Rebell Kryszinski ruhiger wurde.
Unter Broicher Hundebesitzern ist Jörg Juretzka bekannt als „der netteste Radfahrer“, denn sobald der 68-jährige Mülheimer Autor auf seinem Fahrrad einen Hund sieht, fährt er noch vorsichtiger, bremst stets vorsorglich ab. „Ich habe ein Imageproblem“, sagt Jörg dazu lachend. „Früher war ich Rowdy – weiß nicht, wo das geblieben ist.“
Juretzkas Rad ist unscheinbar und karg, kein Tacho, noch nicht mal Licht, dafür Dreck vom Fahren über Stock und Stein – und durch Pfützen. „Ich fahre nur im Hellen“, gesteht er freimütig, „den ganzen Schnickschnack hab ich entfernt.“ Genauso abgespeckt und auf das Nötigste reduziert ist auch sein extrem dichter Schreibstil. Gleichwohl lässt Juretzka Raum für den typischen lapidaren Humor der ewigen Ruhrpottschnodderschnauze Kristof Kryszinski, des Ich-Erzählers.
Juretzka: „Wenn ich schreibe, schreibe ich jeden Tag vier bis fünf Stunden“
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Vermeintlich ehrlich tritt der mit den Lesenden in Kontakt: „Mit Schmeicheleien erreicht man bei mir gar nichts, behauptete ich, was schlicht gelogen ist. Ich bin ein regelrechter Schwachkopf, was Komplimente angeht. Eine Frau braucht nur ,Hey, Knackarsch’ zu mir zu sagen, und sie hat mich schon so gut wie im Sack.“
Juretzka erzählt offen: „Wenn ich schreibe, schreibe ich jeden Tag. Sieben Tage die Woche, vier bis fünf Stunden.“ – Nach dem morgendlichen Radtraining, versteht sich. „Dann bin ich in der ruhigen Stimmung, hab meinen Bewegungsdrang ausgelebt und kann mich in aller Seelenruhe an die Tasten setzen.“ Stets beginnt er damit, „das zu überarbeiten, was ich am Vortag geschrieben habe“, sagt er. „Textzuwachs gibt es immer. Deshalb ist mein Manuskript, wenn ich’s abgebe, eigentlich sauber. Es ist kein Satz drin, an dem ich nicht mindestens 20 Mal gearbeitet hätte.“ Dabei schreibt der Autor „von vornherein sehr dicht, sehr konzentriert und komprimiert“ – eben genauso wie er spricht.
Juretzkas Protagonist Kryszinski soll sich entwickeln – „sonst hast du ‘ne Comicfigur“
Seit 25 Jahren veröffentlicht Juretzka inzwischen und sagt über Kristof Kryszinski: „Dass der Protagonist sich über so viele Jahre entwickelt, finde ich enorm wichtig, sonst hast du ne Comicfigur, die immer gleich bleibt. Und das wollte ich nicht.“ ¬ „Ich hab ihn sich entwickeln lassen. Ganz zu Anfang hatte er ja einen extrem exzessiven Lebensstil, hat sich dann mit der Zeit gefangen und beruhigt. Früher war er ein Herdentier, jetzt ist er Solist.“
Gerade die Frauen haben es Kryszinski angetan, der es eigentlich satthatte, Leuten aus Schwierigkeiten zu helfen, in die sie sich zumeist aus eigener, beratungsresistenter Idiotie selbst hineinmanöviert hatten. Doch Kristof hat seine Schwachstellen, die eigentlich fest stehende Entschlüsse fix ins Wanken bringen können. „Er hat eine fürchterliche Schwäche für Rockmusik“ verrät der Schöpfer des Abenteurers, und so greift ein Rädchen ins andere, denn die Vermissten sind, „eine Rockband. Dreiköpfig, die Band, Punkrock …. Drei Frauen, alles junge Hühner. Mager, bleich, drogig, mit verfilzten und schrill gefärbten Haaren, halbnackt die meiste Zeit und mehr als nur ein bisschen … ,extrovertiert’.“
Der neue Roman führt Kryszinski in die Wüste
Wie schon in seinem 2021 erschienenen Roman „Nomade“, der Juretzka den begehrten Glauser-Preis 2022 einbrachte, begibt sich der ehemalige Privatermittler Kristof Kryszinski in die Sahara, in die Nähe der größten Oase Tamanrasset im Süden Algeriens. „Dass sein Hund Bella nicht mitfährt, ist Teil eines kleinen Rätsels“, verrät Juretzka den atypischen Alleingang von Kristof. „Der Leser fragt sich, warum?“ Juretzka lächelt und deutet zögernd die Erklärung an: „Das hat mit der Zielgegend zu tun, in die er unterwegs ist. Die ist extrem… ungesund.“
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Die Suche nach den Vermissten führt Kryszinski nämlich ausgerechnet zu einem militärischen Sperrgebiet, mitten in der Wüste, im Nirgendwo. „Wir haben ein Ambiente, eine Gegend, die in sich schon latent gefährlich ist, und es ist auch ein in vielen Bereichen rechtsfreier Raum“, gibt Juretzka Auskunft. Ihm gelingt es perfekt, eine beängstigende Atmosphäre zu schaffen von einer Landschaft, in der man ganz auf sich alleine gestellt ist, und auch den Gefahren dieser Landschaft ganz alleine begegnen muss. Inklusive der Juretzka-typischen skurrilen Figuren.
Juretzka: „Du bringst deinen Protagonisten in größtmögliche Schwierigkeiten“
So entrinnt der Protagonist in dieser spannenden und aufregenden Geschichte bereits nach zwanzig Romanseiten nur knapp dem Tod. Juretzkas trockener Kommentar dazu: „Bei diesem Buch hab ich beschlossen, es von vornherein durchzuerzählen. Ohne irgendwelche Tricks. Stringent. In Echtzeit mehr oder weniger. Und dann muss ab und zu schon mal was passieren, sonst könnte es langweilig werden.“
Langweilig ist dieser Roman wahrlich nicht, fürwahr ein Höllentrip, der dennoch ein Lesevergnügen garantiert – was im Grunde exakt dem Entstehungsprozess entspricht: „Klar hat’s Spaß gemacht, das Buch zu schreiben. Du lässt dich auf eine Geschichte ein, bringst deinen Protagonisten in größtmögliche Schwierigkeiten, und dann musst du selbst gucken, wie du ihn wieder raus kriegst. Das Ganze ist interessant und lustig.“ Übrigens ist „Nomade 2 – Der weiße Vogel“ eine ganz eigenständige Geschichte, die mit Nomade nichts zu tun hat.
„Nomade 2 – Der weiße Vogel“ von Jörg Juretzka erscheint im Rotbuch Verlag und kostet im Buchhandel 22 Euro. Am Donnerstag, 14. September, 19.30 Uhr liest der Autor in der Villa Artis (Ruhr Gallery Mülheim, Ruhrstraße 3). Einlass ist ab 19 Uhr, der Eintritt ist frei.