Mülheim. Die Grundsatz-Einigung zur Krankenhausreform steht. Patienten in Mülheim müssen bangen: Zwei Versorgungsangebote stehen zur Disposition.

Mit der Einigung von Bund und Ländern zu einer Krankenhausreform sind die Weichen für ein neues Finanzierungssystem und eine Neustrukturierung der örtlichen Leistungen der Kliniken gestellt. Auch die beiden Mülheimer Krankenhäuser, das Evangelische Krankenhaus (EKM) und das St. Marien-Hospital (SMH), werden Auswirkungen spüren. Sie kämpfen insbesondere darum, dass es zwei Leistungen für Patienten auch künftig noch in der Stadt gibt.

Was vereinbart ist: Weg von den Fallpauschalen

Im Eckpunktepapier von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und den Gesundheitsministern der Länder ist Kernpunkt, dass die Finanzierung von Krankenhäusern grundsätzlich neu organisiert werden soll. Die Budgets der Krankenhäuser sollen künftig nicht mehr nach DRG-Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups) bemessen werden, sondern auf sogenannte Vorhaltebudgets umgestellt werden. Dafür soll für jede Klinik festgelegt werden, welche Leistungen sie künftig noch anbieten soll. Für jene Leistungsgruppen, etwa „Kardiologie“, soll es einheitliche Qualitätsvorgaben etwa für Ausstattung, Personal und Behandlungsexpertise der Häuser geben.

Ein Gesetz, das dies regeln und zum 1. Januar 2024 mit einer schrittweisen Umsetzung in Kraft treten soll, soll in diesem Sommer in einer Arbeitsgruppe aus Bund und Ländern erarbeitet werden. Auch ist noch offen, welche Leistungen einzelne Krankenhäuser künftig (noch) anbieten und welche Qualitätskriterien für diese gelten sollen.

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Vorarbeiten in NRW: Ringen um Leistungen in Mülheimer Krankenhäusern

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann hatte bereits Verhandlungen zwischen Krankenhäusern des Landes und den Krankenkassen dazu angestoßen. Mülheim zählt dabei zum „Versorgungsgebiet 2“ mit Essen und Oberhausen.

Auf Druck der SPD-Landtagsfraktion hatte Laumanns Ministerium den Stand der Verhandlungen jüngst offengelegt. Demnach stehen im Evangelischen Krankenhaus acht und im St. Marien-Hospital sechs Leistungsbereiche zur Disposition. Bis dato war lediglich eines der 14 Verhandlungsthemen abgeräumt: Das Evangelische Krankenhaus wird seine stationäre HNO-Versorgung (90 Fälle im Jahr) aufgeben, weil laut Geschäftsführer Nils B. Krog die Behandlung ohnehin im Kern keinen stationären Aufenthalt nötig mache. Im Streitfall müsste bis Ende 2024 das NRW-Gesundheitsministerium entscheiden.

Die großen Knackpunkte aus Mülheimer Sicht: Neurologie und Schlaganfall-Behandlung

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Wesentlicher Streitpunkt beider Mülheimer Kliniken mit den Kassen ist demnach die Zukunft der Allgemeinen Neurologie (jeweils mit 1000 Behandlungsfällen im Jahr angegeben) und die Behandlung von Schlaganfall-Patienten an einer Stroke Unit. Für Letzteres sind für das Marien-Hospital 400 Behandlungsfälle pro Jahr ausgewiesen, für das Evangelische Krankenhaus 300.

Die zwei Kliniken wollen beide darum kämpfen, die zwei Versorgungsbereiche wegen der relativ hohen Patientenzahlen in der Stadt zu halten. Andernfalls, so gibt Carsten Preuß als Geschäftsführer des Marien-Hospitals zu bedenken, stünde Mülheim als einzige NRW-Großstadt ohne diese für die Grundversorgung zentralen Bereiche da.

Ohne Stroke Unit müssten Mülheimer Schlaganfall-Patienten nach Essen oder Oberhausen

Beide Häuser hätten schon zur Krankenhaus-Planung 2015 beantragt, die Leistungen weiter anbieten zu können, so EKM-Geschäftsführer Krog. Auch die örtliche Gesundheitskonferenz mache sich etwa für die „Stroke Unit“ stark, denn bei Schlaganfall-Patienten zähle in der Erstversorgung schließlich jede Minute. Krog zeigt sich zuversichtlich, dass eine der Mülheimer Kliniken am Ende auch eine „Stroke Unit“ betreiben wird können, die den Anforderungen entsprechen wird. Andernfalls müssten Patienten nach Oberhausen und Essen gebracht werden. Das binde wiederum Rettungswagen für eine längere Zeit.

April 2016: Das St. Marien-Hospital in Mülheim präsentiert seine zertifizierte „Stroke Unit“ zur Behandlung von Schlaganfall-Patienten (im Bild PD Dr. Saskia Meves und Prof. Dr. Dirk Woitalla sowie Pfleger Besim Haxhin). Die Zukunft der Schlaganfallbehandlung in der Stadt ist noch offen.
April 2016: Das St. Marien-Hospital in Mülheim präsentiert seine zertifizierte „Stroke Unit“ zur Behandlung von Schlaganfall-Patienten (im Bild PD Dr. Saskia Meves und Prof. Dr. Dirk Woitalla sowie Pfleger Besim Haxhin). Die Zukunft der Schlaganfallbehandlung in der Stadt ist noch offen. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

Weitere Bereiche, die laut Ministeriums-Aufstellung wegen geringer Fallzahlen und damit Behandlungsroutine zur Disposition stehen (In Klammern Behandlungsfälle pro Jahr laut Ministeriums-Liste): Leukämie und Lymphome (EKM, 45*), Elektrophysiologische Untersuchung (EPU)/Ablation (SMH, 150), Kardiale Devices (SMH, 30), Revision Hüftendoprothese (EKM, 30), Revision Knieendoprothese (SMH mit 70, EKM mit 20), Lebereingriffe (EKM, 12), Speiseröhren-Eingriffe (EKM, 30) und „tiefe Rektum-Eingriffe“/Darm (SMH, 10). Für das Marien-Hospital stellt Geschäftsführer Preuß etwa heraus, dass sein Haus in der Endoprothetik Maximalversorger sei, dann gehöre eben auch die Revision (Ersatz) dazu.

Soforthilfen gefordert: Mülheimer Klinik-Chef prophezeit ansonsten Insolvenz-Welle

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Die Einteilung in Leistungsgruppen, die Festlegung auf die Länderhoheit bei der Krankenhausplanung, auch die langfristige Umstellung auf eine Vorhaltefinanzierung – all das mache Sinn, sagt EKM-Geschäftsführer Krog im Einklang mit Preuß. Krog setzt im gleichen Atemzug jedoch „ein großes Aber“ und fragt: „Wie kommen wir finanziell von A nach B?“ Bis die neue Struktur und Finanzierung greife, werde noch bis 2025/26 Zeit vergehen. Bis dahin aber würden nach jüngster Einschätzung des RWI (Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung) 80 Prozent der Kliniken in die Verlustzone rutschen, sollte es keine Soforthilfen geben. Erst im Juli hatte etwa die K-Plus-Gruppe mit Kliniken in Solingen, Hilden und Haan ein Schutzschirmverfahren beantragt.

„Wir sind die einzige Branche, die definitiv nicht die Preise erhöhen kann“, fordert Krog, dass die Krankenhäuser staatliche Unterstützung zur Kompensation von Inflation und Personalkostensteigerungen bekommen, ihre Grundfinanzierung etwa über einen Strukturveränderungsfonds abgesichert wird. „Wir haben zehn Prozent Lohnsteigerung, aber nur vier Prozent sind refinanziert“, macht er deutlich. Einen Inflationsausgleich habe es auf der Finanzierungsseite gar nicht gegeben. „Wir kriegen das gleiche Geld wie vor dem Ukraine-Krieg und der Inflation. Das kann nicht funktionieren.“ Krog sieht eine Insolvenzwelle übers Land schwappen, sollt keine Hilfe kommen. Zur eigenen Situation sagt er: „Wir gehen an unsere Reserven und versuchen, uns über Wasser zu halten, aber das wird immer mehr zum Kraftakt.“ Für das Marien-Hospital stellt Preuß fest: „Es ist und bleibt ein hartes Geschäft. Wir haben aber den Vorteil, Teil einer größeren Gruppe zu sein“, sagt er mit Blick auf den Contilia-Verbund.

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Mülheimer Landespolitiker: „Erst mal sieht es ganz gut aus“

Mülheims Landtagsabgeordneter Rodion Bakum (SPD) im April 2022 bei einer Wahlkampfveranstaltung mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in der Alten Dreherei.
Mülheims Landtagsabgeordneter Rodion Bakum (SPD) im April 2022 bei einer Wahlkampfveranstaltung mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in der Alten Dreherei. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

„Für Mülheim sieht es erst mal ganz gut aus“, sagt der Mülheimer SPD-Landtagsabgeordnete Rodion Bakum mit Blick auf die künftige medizinische Versorgung in der Stadt. Anderswo im Land stehe die Grundversorgung oder die Geburtshilfe zur Disposition. „Für Mülheim bringt die Reform Sicherheit und Ruhe für die Notfall- und Schwerpunktversorgung – hoffentlich auf viele Jahre.“

Allerdings betont auch Bakum, dass es wichtig sei, „eine gute Schlaganfallversorgung“ für Mülheim zu sichern. In der Pflicht stehe nun Gesundheitsdezernentin Daniela Grobe, ihre Kontakte nach Düsseldorf dafür zu nutzen. Die kommunale Gesundheitskonferenz sei zudem gefordert, sich gemeinsam mit Verantwortlichen aus Essen und Oberhausen gegenüber dem Land dafür einzusetzen, dass im gemeinsamen Versorgungsbereich ein gutes medizinisches Gesamtangebot bereitstehen wird.

Insgesamt sei die Reform von Bundesgesundheitsminister Lauterbach „ein wirksames Therapieprogramm für unser kränkelndes Gesundheitssystem“, so Bakum. Die Landesregierung fordert er auf, die Reform mit dem eigenen Krankenhausplan zusammenzubringen. „Die angekündigten 2,5 Milliarden Euro über fünf Jahre für den neuen Krankenhausplan NRW decken nicht einmal die notwendigen Investitionen für Klimaschutzmaßnahmen, beispielsweise Energiesanierung und Hitzeschutz, hinreichend ab“, sagt Bakum und unterstützt damit die Forderung der Krankenhäuser nach einem Soforthilfeprogramm. Dem Energie-Hilfefonds des Bundes müsse etwas vom Land folgen. Die Landesregierung werde ihrer Verpflichtung für ausreichende Investitionen in Krankenhäuser nicht gerecht.

* Laut Ministerium gibt es im EKM im Bereich Leukämie und Lymphome 45 Behandlungsfälle pro Jahr. Das EKM widerspricht: „Diese Zahl ist nicht korrekt. Sie ist zum einen nicht aktuell. In der Onkologie des EKM wurden 2022 164 Fälle mit einem Lymphom behandelt und 133 mit einer Leukämie oder einem Myom. Zum anderen müssen neben den Fällen im Krankenhaus auch die Behandlungsfälle des MVZ für Hämatologie und Onkologie in Mülheim an der Ruhr berücksichtigt werden, das zur Unternehmensgruppe gehört. Die Erkrankungen werden überwiegend ambulant behandelt und nicht primär stationär im Krankenhaus. Im Jahr 2022 gab es beispielsweise rund 180 Erstdiagnosen von Lymphomen und leukämischen Erkrankungen im MVZ. Das EKM und das MVZ verzeichnen gemeinsam insgesamt ähnlich viele Behandlungsfälle im Bereich Leukämie und Lymphome wie die Uniklinik Essen mit ihrer Ambulanz.“