Mülheim. Mit virtuosem Spiel zieht Ausnahmepianist Grigory Sokolov das Mülheimer Publikum in seinen Bann. Das will ihn gar nicht mehr gehen lassen.

Nach diesem berauschenden Konzertabend war das Mülheimer Publikum kaum zu halten: johlender Jubel, Bravo-Rufe und tosender Applaus – der Saal der Stadthalle am Freitagabend erbebte. Wie oft es den russisch-spanischen Ausnahmepianisten Grigory Sokolov auf die Bühne holte, hat wohl niemand gezählt. Sokolov zeigte aber auch hier unprätentiös Zurückhaltung: nur ein einziges Lächeln bei der Entgegennahme des Künstlerstraußes.

Zweifellos ist dieses Konzert legendär zu nennen, wenngleich Sokolov für seinen 25. Auftritt beim Klavierfestival Ruhr – in Mülheim zum dritten Mal – ein exquisites, aber auch ruhiges Programm zusammenstellte mit Werken des englischen Barock-Komponisten Henry Purcell sowie von Wolfgang Amadeus Mozart.

Artikulation und Phrasierung ließen in Mülheim nichts zu wünschen übrig

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Und doch: Was Sokolov in seiner wohltuend unprätentiösen Weise präsentierte, war schlicht atemberaubend. Alle en suite erklingenden Purcell-Stücke – jedes für sich ein Juwel der Musikgeschichte – spielte er mit seiner typischen Akkuratesse. Artikulation und Phrasierung ließen nichts zu wünschen übrig, technisch ausgefeilt und -gereift. Jeder Triller erhielt seine Bedeutung. Das Ganze versehen mit einer unfassbaren Magie, der sich niemand im ausverkauften Saal entziehen konnte. Mucksmäuschenstill war und blieb es, bis nach den hinreißenden Kleinoden – zum Teil Adaptionen eigener Trompetenwerke – ein Sturm des Jubels ausbrach.

Sokolov behielt – wie den gesamten Abend über – seine Contenance, verbeugte sich und ging von der Bühne ab. Dergestalt betrat er den Saal für den zweiten Teil in bekannter Weise und versank wieder in seiner Musik. Spielerische Leichtigkeit à la Mozart mit perlenden Läufen und Mozart‘schem Witz, so agierte Sokolov stets langmütig quasi als Medium, das den verdienten stürmischen Applaus nach der Sonate Nr. 13 in B-Dur KV 333 zwar hinnahm, aber merklich signalisierte, lieber weiterspielen zu wollen.

Ein melancholischer Mozart – mit einem Hauch von Hoffnung

Mit dem Adagio in h-Moll KV 540 zeichnete Sokolov auf eindringliche Weise das ungewöhnliche Bild eines melancholischen Mozart mit einer berührenden nachdenklichen, fast trübsinnigen und hoffnungslosen Seite. Allein der Schluss ließ einen Hauch von Hoffnung spüren. Eine inständige Interpretation, die den vielschichtigen Mozart in seinem seltenen Ernst intensiv beleuchtete.

Wird eigentlich bei einem Jubiläum der Jubilar mit einem Geschenk geehrt, beschenkte der so in sich gekehrte Grigory Sokolov seinerseits das Publikum – nicht nur mit seinem Rezital. Er ließ sich zu sechs Zugaben bewegen, die quasi ein eigenes, brillantes und abwechslungsreiches Konzert bildeten.

Solchen Jubel hat die Mülheimer Stadthalle bei einem Klavierkonzert selten erlebt

In dieser halben Stunde offerierte Sokolov Rameaus Les Sauvages, dann Chopins Regentropfen-Prélude, anschließend – vermeintlich als Rausschmeißer – Rachmaninows klanggewaltiges Prélude op. 23,2. Danach folgten Chopins Mazurka op. 68,2, Rameaus Tamburin und zum Abschluss die ruhig-besinnliche Chopin-Mazurka op. 63,2.

Solch einen Jubel mit Standing Ovations des kompletten Publikums hat die Stadthalle vielleicht noch nie bei einem Klavierkonzert erlebt. Niemand, der das Glück hatte, dabei sein zu dürfen, wird diesen genussreichen Klavierabend wohl je vergessen können.

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