Moers. Nach einem „hollywoodreifen“ Polizeieinsatz in Moers stand ein 26-Jähriger vor Gericht. Eine Zeugenaussage sorgte für eine unerwartete Wende.

Im Prozess gegen einen 26-Jährigen hat die auswärtige Strafkammer des Landgerichts Kleve in Moers am Mittwoch ein Urteil gefällt. Der psychisch kranke Mann hatte am 5. April 2023 im Verkaufsraum einer Tankstelle an der Uerdinger Straße in Moers mit einem Messer hantiert und war später von einem Polizeibeamten angeschossen worden. Wegen bewaffneten Diebstahls und Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung musste der junge Mann nun auf der Anklagebank Platz nehmen. Auch am zweiten Verhandlungstag sah die Kammer nach Sichtung aller Beweise keinen Anlass für eine dauerhafte Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Einen entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft, eine Unterbringung zur Bewährung auszusetzen, den sogar die Verteidigung des Beschuldigten in ihrem Plädoyer unterstützt hatte, lehnte die Kammer ab und sprach den Mann frei.

Weitere aktuelle Nachrichten aus Moers, Kamp-Lintfort und Neukirchen-Vluyn:

In der Urteilsbegründung argumentierte der Vorsitzende Richter Benjamin Barb, es sei als unwahrscheinlich anzusehen, dass der junge Mann in Zukunft weitere Straftaten begehen würde. Zum Zeitpunkt der Tat sei er in einem akut psychotischen Zustand gewesen – also einem Zustand der Schuldunfähigkeit. Er sei durch die Einnahme von Psychopharmaka gesundheitlich stabil, in Arbeit und gut integriert. Zudem sei er seit seiner Ankunft in Deutschland im Jahr 2015 niemals straffällig in Erscheinung getreten. Eine Gefahr für die Allgemeinheit sieht die Kammer in dem 26-Jährigen also nicht.

Gerichtsprozess in Moers: „Sein schlimmster Albtraum wurde wahr“

Durch eine Festnahme und körperliche Misshandlungen durch Militärkräfte in seinem Heimatland Eritrea sei der Mann traumatisiert gegenüber staatlichen Autoritäten. „Als ihm die Polizei fast hollywoodreif schräg auf dem Gehweg parkend den Weg abgeschnitten hat und ohne für ihn erkenntlichen Grund mit gezogener Waffe aus dem Fahrzeug gesprungen ist, wurde sein schlimmster Albtraum wahr“, beschreibt der Richter. Ein Sachverständiger hatte zuvor den Verfolgungswahn gegenüber der Polizei eindrucksvoll bekräftigt. Bei einem Termin für die Erstellung des psychiatrischen Gutachtens nach dem Vorfall habe der Mann seine Wohnungstür von innen verriegelt und den Schlüssel gezogen, damit es die Polizei schwerer hätte, zu ihm zu kommen.

Den beschriebenen tätlichen Angriff konnte die Kammer nicht so feststellen, wie er von dem Polizeibeamten dargestellt wurde, der letztlich die drei Schüsse aus seiner Dienstwaffe abfeuert hatte. Laut dessen Zeugenaussage habe der Beschuldigte eine Wodka-Flasche geworfen und sei mit erhobenem Messer in aggressiver Weise auf die Polizisten zugelaufen.

Verhandlung nach Schüssen in Moers: Zeugenaussage leitet unterwartete Wende ein

Beide Vorwürfe konnten weder durch Aufnahmen der Überwachungskameras verifiziert werden, noch decken sie sich mit der Aussage eines weiteren Polizeibeamten. Dieser hatte am ersten Verhandlungstag gesagt, er wisse nicht, warum sein Kollege geschossen habe. Die Tankstellen-Kamerabilder zeigen zudem lediglich, dass der Mann kurz auf die Beamten zuläuft, ehe er zurückgedrängt wird und schließlich auf der Stelle stehen bleibt. Ob er dabei das Schälmesser und die Flasche in der Hand hielt, ist nicht ersichtlich.

Das Geschehen im Verkaufsraum der Tankstelle floss in die Urteilsfindung nur bedingt mit ein. Hier hatte der 26-Jährige zunächst nicht auf Ansprache der Mitarbeitenden reagiert und hantierte geistesabwesend mit einem kleinen Küchenmesser an der eigenen Kehle. Das Tankstellen-Team habe sich, wie Zeugenaussagen belegen, durch das merkwürdige Verhalten des Kunden nicht persönlich bedroht, sondern eher irritiert gefühlt und rief in der Folge die Polizei hinzu. Gegen den Polizeibeamten, der von seiner Schusswaffe Gebrauch machte, wird in einem separaten Verfahren ermittelt.