Kamp-Lintfort. Fotokünstler Sven Fennema ist zum dritten Mal zu Gast auf Kamp. Er zeigt verfallene Schönheit aus zehn Ländern. Auch aus einem neuen Blickwinkel.
Die typisch rote Telefonzelle hat schon mal bessere Zeiten gesehen. Sie rostet vor sich hin. Aber was soll sie auch da, irgendwo im Nirgendwo in den schottischen Highlands? Wer hat von diesem Nichts aus jemals das Bedürfnis gehabt, einen Termin zu vereinbaren oder die Lieben anzurufen?
Da ist diese riesige Halle in üppiger barocker Pracht. Die Farbe blättert von den Wänden und der Decke, die zerschlagenen Verandatüren stehen auf, auf dem Fußboden sammeln sich Bröckchen vom herabrieselnden Stuck und vermischen sich mit herein gewehtem Laub. Hinter diesen Mauern war schon lange kein Leben mehr. Warum nicht? Wer lässt solchen Reichtum einfach im Stich?
Es sind diese Fragen, die Sven Fennema mit seiner auskomponierten Fotografie auslöst. Er sucht nach solchen Orten, die scheinbar niemanden mehr interessieren und setzt sie in Szene. Die oben beschriebene Villa steht „im Speckgürtel von Turin“, weiß er zu berichten, oder vielmehr: sie stand. „Ein Jahr, nachdem ich das Bild gemacht habe, ist sie niedergebrannt“, sagt der Künstler, der 45 Fotografien unter dem Titel „Vergessene Pracht“ bis November im Gewölbekeller des Klosters Kamp zeigt. In diesem Fall weiß er sogar zu berichten, dass die Erben sich wohl nicht trennen konnten von dem hochherrschaftlichen Anwesen, es aber gleichzeitig auch nicht bewirtschaften.
Öffnungszeiten
Sven Fennema: „Vergessene Pracht“ im Gewölbekeller des Klosters Kamp. Zu sehen vom 23. März bis 3. November. Öffnungszeiten: dienstags bis samstags 14 bis 17 Uhr, sonn- und feiertags 11 bis 17 Uhr. Es gibt einen Katalog (208 Seiten) zu 49,99 Euro, ebenso immerwährende Fotokalender und Kataloge vorhergehender Schauen. Die Ausstellung wird eröffnet am 23. März, 15.30 Uhr. Sven Fennema wird da sein, musikalische Mitwirkung gibt es von Bullwarc (Didgeridoo). www.sven-fennema.com
Und diese Villa ist ein Beispiel für viele Orte, die am Hype um „Lost Places“ gelitten haben. „In den ersten sechs Jahren hat sich dort nichts verändert. Als ich später noch einmal hinkam, gab es Graffiti, es sind Dinge gestohlen worden, alles durchwühlt“, erzählt Fennema. Nicht alle Fans der verlassenen Orte begegnen den alten Schönheiten mit dem gleichen Respekt wie er. „Sie sehen sie eher als Abenteuerspielplatz oder einen Ort, um Trophäen zu sammeln.“ Der Grund, warum sich auch jemand wie Sven Fennema, der in jedes seiner Bilder soviel Liebe zum Objekt steckt, für seine Arbeit zuweilen rechtfertigen muss. Gleichzeitig gebe es aber auch Orte, die, wenn er sie mal wieder aufsucht, gerettet worden sind.
Nachdem Fennema in seiner letzten Ausstellung auf Kamp ausschließlich verwunschene, verfallene, verlassene Orte in Italien gezeigt hat, war er diesmal europaweit unterwegs - auch Richtung Osten bis nach Abchasien. Hier entstanden die ersten Bilder 2019. Neu in seinem Portfolio seit einiger Zeit: Aufnahmen mit der Drohne. „So kann ich Gebäude auch mal im Kontext zeigen“, begründet er. So ist jetzt auch auf Augenhöhe der Turm eines rumänischen Mausoleums zu sehen. Das Kuppeldach ist beinahe eingestürzt. Mit der Drohne hat der Fotograf im Abendlicht die Tauben aufgescheucht, die sich mittlerweile den Prachtbau angeeignet haben.
Direkt daneben hängt aber in der Ausstellung wieder eines dieser Bilder, denen der Betrachter fast mit Scham begegnet. Denn es ist wie das Eindringen in die Intimsphäre der Menschen, die hier gewohnt haben. Es ist der Blick in den Wintergarten einer vergessenen Villa in Italien und man könnte meinen, die Bewohner kehren jeden Moment wieder zurück. Drei weiße Korbstühle stehen um einen runden Tisch, auf dem Fußboden liegen Zeitungen. Im Hintergrund ist ein Bild auf einer Staffelei zu sehen. Wer hat hier zuletzt gefrühstückt, die Aussicht genossen, über Kunst gesprochen? Und obwohl es so aussieht, als sei man mittendrin in der Szenerie, musste der Krefelder Fotokünstler durchs Glas fotografieren, wie er sagt. Alles abgeschlossen. So ganz vergessen war der Ort wohl doch nicht.
Seit seiner Erkundung des Ostens unseres Kontinents ist der Fotokünstler durchaus Fan der Schwarzmeerküste und der Kaukasus-Region gewesen. Also, was die Natur und die „Lost Places“ angeht. Abchasien hat er 2019 besucht. „Das dürfte heute nicht mehr gehen“, sagt er mit Blick auf die Auseinandersetzungen mit Georgien und die Lage in Russland. Er hat alte, prachtvolle Sanatorien ins Bild gesetzt, Bahnhöfe, die weit mehr als zweckmäßige Aufenthaltsräume waren. Sein Eindruck: „Es ist voller Schönheit, und doch voller Traurigkeit. Hier gerät ein Land in Vergessenheit“, fürchtet er.
Aber es gibt auch Hoffnung. Den Ausstellungsbesucher begrüßt direkt ein von wunderschönen, kräftigen Rottönen dominiertes Bild. Ein Theater im Piemont, das definitiv schon bessere Zeiten gesehen hat. Die Balkone bröseln vor sich hin, Holzdielen vergammeln. „Ich kenne den Ort seit zehn Jahren“, sagt der 42-Jährige. „Und jetzt werden erste Stützen eingebaut. Rettung naht“, ist er sicher.
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