Moers. Mit 79 Jahren arbeitet die Moerserin Ilonka Dedio immer noch als Hebamme. An eine besonders dramatische Geburt erinnert sie sich bis heute.

Gibt es eigentlich eine Statistik darüber, wie viele Geburten eine Hebamme im Schnitt in ihrem Berufsleben begleitet? Wenn ja, dann wäre Ilonka Dedio rekordverdächtig. Die Hebamme, die seit vielen Jahren in Moers lebt, half mehr als 9000 Müttern, insgesamt 9442 Kinder auf die Welt zu bringen. Im kommenden Januar feiert die Hebamme ihren 80. Geburtstag. Sich zur Ruhe zu setzen – das hat Dedio jedoch nicht vor. Zwar betreut die 79-Jährige spontane Geburten seit anderthalb Jahren nicht mehr und auch mit den geplanten Kaiserschnitten möchte sie ab nächstem Jahr aufhören. Aber: „Ich mache noch Vorsorge und Nachsorge“, erzählt Dedio. Zusätzlich hält sie alle fünf bis sechs Wochenenden einen zweitägigen Geburtsvorbereitungskurs für bis zu elf werdende Elternpaare im Hospital zum Heiligen Geist in Kempen ab. Als ihr Mann 2019 starb, habe sie nicht allein zu Hause auf dem Sofa sitzen wollen. Darum arbeitet sie weiter.

Traumberuf Hebamme? Für Ilonka Dedio schon: „Ich war 13, da habe ich schon gesagt, ich möchte Hebamme werden - da wusste ich noch gar nicht richtig, was das ist.“ Der Berufswunsch sei 1957 in ihr gewachsen, als ihre Mutter ihr die Hebamme vorstellte, die bei der Geburt ihres jüngeren Bruders assistierte. „Das war eine Frau: 1,85 Meter und breit wie groß“, erinnert sie sich schmunzelnd.

Hebamme statt Gastwirtin: Moerserin entscheidet sich früh für die Geburtshilfe

In Neuwied geboren und inmitten des Gaststättenbetriebs der Eltern aufgewachsen, entschied sich Ilonka Dedio früh dagegen, den Familienbetrieb zu übernehmen. Obwohl Neuwied ebenfalls eine Hebammenschule hatte, ging sie nach Wuppertal. „Die Wuppertaler Schule hatte den besseren Ruf.“ Als ihr Vater sie vor der Klinik in Wuppertal absetzte, habe er ihr vier Wochen gegeben, ehe sie wieder nach Hause komme. In Dedios Fall ein Trugschluss, denn: Zwei Jahre später legte die damals 19-Jährige ihre Examensprüfung erfolgreich ab.

Nach dem Examen arbeitete sie drei Jahre festangestellt in einer Wiesbadener Klinik. Gerade die Anfangszeit sei nicht leicht gewesen. „Ich war 19 Jahre alt, sah aber aus wie 16“, gesteht die Hebamme. Viele werdende Mütter, die in ihren Anfangsjahren älter waren als sie selbst, forderten zunächst eine „richtige“ Hebamme. „Da musste ich mich erstmal durchboxen“, berichtet sie.

Als selbstständige Hebamme ist Ilonka Dedio in Moers und Umgebung unterwegs

Nach Zwischenstationen in Wuppertal und Frankfurt-Höchst, wagte sie 1989 „den Sprung ins kalte Wasser“, wie die 79-Jährige selbst sagt. Sie machte sich selbstständig. Selbstständige Hebammen haben zwei Optionen: Entweder arbeiten sie in einer eigenen Praxis oder sie schließen einen Belegvertrag mit einer Klinik ab, der sie dazu berechtigt, die Räume und Geräte der Klinik zu nutzen. Ilonka Dedio wählte Letzteres. Sie hatte erst einen Belegvertrag in Kamp-Lintfort, dann in Krefeld-Uerdingen, bevor sie 2012 in Kempen landete, wo sie noch heute ihre Geburtsvorbereitungskurse durchführt.

Das kleine Puppenhaus bekam Ilonka Dedio von einer Mutter geschenkt, die sie in der Schwangerschaft betreute. Es steht in ihrem Büro.
Das kleine Puppenhaus bekam Ilonka Dedio von einer Mutter geschenkt, die sie in der Schwangerschaft betreute. Es steht in ihrem Büro. © FUNKE Foto Services | Volker Herold

Ilonka Dedio hat viel erlebt in ihren 60 Berufsjahren. Eine Entbindung blieb besonders in Erinnerung: Auf einem Flug von Düsseldorf in den Urlaub nach Teneriffa musste die Hebamme spontan eine Entbindung durchführen. Die Hochschwangere sei „fast am Platzen gewesen“, erinnert sich Dedio. Als die Wehen einsetzten, habe die Hebamme schnell reagiert. „Wir haben dann einen Dreiersitz freigeräumt. Das hat dann keine halbe Stunde gebraucht, bis das Baby da war“ berichtet sie. Eine Schere und Schuhriemen, mehr habe sie nicht gebraucht, um die Nabelschnur abzubinden und zu trennen. „Die Plazenta, die kam auch noch spontan raus - die haben wir dann in eine Plastiktüte gepackt.“ Ein Lob für ihre gute Arbeit gab es anschließend vom Notarzt, der Mutter und Kind am Zielflughafen empfangen habe.

Dedio kritisiert: Hohe Beiträge für Haftpflichtversicherung belasten freiberufliche Hebammen

Wer heute Hebamme werden möchte, erhält seine Ausbildung im Rahmen eines dualen Studiums, das im Gegensatz zu der Lehre Dedios in der Hebammenschule, mindestens drei Jahre dauert. Angehenden Hebammen möchte die 79-Jährige Folgendes mitgeben: „Mitbringen muss man eine Liebe zu einem Beruf, bei dem man voll und ganz beansprucht wird.“ Dies gelte laut Dedio im Besondern für Freiberufliche. Anlass zu Kritik sieht die Hebamme aus Moers in den stetig steigenden Haftpflichtversicherungsbeiträgen. Für dieses Jahr habe sie einen Beitrag von rund 12.400 Euro zahlen müssen. Vor fünf Jahren lag die Haftpflichtprämie für freiberufliche Hebammen dem Deutschen Hebammenverband zufolge noch bei 8174 Euro.

Von 1963 bis heute hat sich im Bereich der Geburtshilfe viel getan. Väter durften in den Siebzigern erstmals mit in den Kreißsaal, Herzton- und Ultraschallgeräte etablierten sich und die Pflicht zur Aushändigung des Mutterpasses wurde 1968 eingeführt. All dies hat Ilonka Dedio mitgemacht. Traurige Geschichten hat die Hebamme ebenfalls miterlebt, aber „es ist ein Beruf, der einem viel Freude und Glück beschert; das überwiegt“. Mit ihrer Berufswahl ist Ilonka Dedio nach 60 Jahren immer noch zufrieden: „Ich habe das nie bereut“.