Kamp-Lintfort. Vor 900 Jahren war Kloster Kamp ein Meilenstein für die Entwicklung der Region. Wie es heute Menschen berührt, erzählt Peter Hahnen im Interview.
Einen 900. Geburtstag feiert man nicht alle Tage. Im Interview spricht Peter Hahnen, Leiter des Geistlichen und Kulturellen Zentrums Kloster Kamp, über die Geschichte des Klosters und was es heute für eine Bedeutung für die Menschen in der Region hat.
Herr Hahnen, wie bewahrt man 900 Jahre Kloster Kamp?
Gar nicht. Erstens könnte man das gar nicht, man würde sich überheben. Und zweitens bewährt sich Kloster Kamp, wenn wir klug mitwirken, von alleine. Wäre Kloster Kamp nutzlos, würde es vergehen – und dann wäre das gut so.
Wie viel Kloster steckt heute denn noch in Kloster Kamp?
Würde man die kirchenrechtliche Definition verwenden, müssten sich hier Ordensleute aufhalten. Das ist definitiv schon lange nicht mehr der Fall. Von daher ist das Kloster natürlich kein aktives Kloster mehr. Aber der Ort ist ein aktiver Platz. Und diese Aktivität hat an das, was das Kloster an Ausstrahlung besaß, nicht nur angeknüpft, sondern den Ball aufgenommen und spielt mit diesem Ball als Zeitgenosse von heute. Nichts anderes ist richtig und wichtig, sonst wären wir ein Populärmuseum – und da sei Gott vor!
900 Jahre zurück, 1123, finsterstes Mittelalter. War die Klostergründung auf Kamp ein Lichtblick in einer solchen Zeit?
Ich teile die These vom finsteren Mittelalter nicht. Das Mittelalter war intellektuell und von den Mentalitäten her sehr viel weiter, als wir heute vermuten. Nach Kamp kamen Reformmönche aus Frankreich, die Ernst machen wollten mit der Sache Jesu: Gastfreundschaft, bewusst leben, umkehrbereit leben, glaubhaft beten und von der eigenen Hände Arbeit leben. Zu den ,Lichtblicken’ dieser Reformmönche zählte, dass sie es jedem zugestanden, seine eigenen Talente zu entdecken und sie zu entfalten. Sie hatten einen großen Anspruch an ihre landwirtschaftlichen Tätigkeiten, haben das Neueste vom Neuen an Saatgut oder an landwirtschaftlichen Geräten immer europaweit ausgetauscht. Der Europagedanke war damals schon ganz weit. Die Mönche hatten auch kein Problem damit, ihr Wissen an die Bevölkerung weiterzugeben. Kamp hatte im Laufe der Jahrhunderte ja auch eine großartige Bibliothek angelegt, die nicht nur Fachidioten interessierte. Die Zisterzienser wollten nicht nur wissen, wie man betet, sondern warum und wie man richtig betet.
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Wie viel ist denn aus den frühen Anfangsjahren noch bekannt?
Da muss man sehr zurückhaltend sein. Wir wissen, dass 1123 der Startschuss gegeben wurde, wir wissen, dass vorher mindestens ein Mönch aus Burgund auf Einladung des Kölner Erzbischofs in der Region weilte um zu schauen, wo eine Ansiedlung möglich war. Es gibt aber keine wirklichen Beweise, wo das gewesen ist. Wir haben ja leider keine baulichen Reste, zumal davon ausgegangen werden muss, dass die anfänglichen Bauten aus Holz waren. Was wir wohl wissen ist, dass sie hier recht bald angefangen haben, Ziegel selbst herzustellen und ziemlich schnell auf den Berg gezogen sind.
Was lohnt es, aus diesen 900 Jahren Geschichte mitzunehmen in die Gegenwart?
Vieles. Allen voran die Gastfreundschaft, und zwar eine motivierte Gastfreundschaft als Haltung. Die Mönche haben ihr Leben als Hingabe begriffen, das ist das Zauberwort von Kloster Kamp. Wenn ich bei Führungen die Legende der Heiligen Agatha erzähle, von der wir Reliquien in der Abteikirche bewahren, schreckt viele die blutige Geschichte ab. Aber für Agatha, wie für Maria, die Mutter Jesu, und die Zisterzienser hieß es: Wir sind von Gott geliebt, aber diese Liebe muss Konsequenzen haben. Allerdings lässt sich über Liebe kein Haushaltsbuch führen. Deshalb macht man gewisse Dinge ohne Kalkül. Weil man sie für selbstverständlich erachtet. Heute ist das unser Segen, das Spendencafé oder eine Preisgestaltung von Konzerttickets bis zu Seminargebühren, die hoffentlich niemanden ausschließt.
Mitnehmen kann man aber auch Reformbereitschaft, und, für uns als Zentrum immer wieder die Frage: was bedeutet uns die Sache Jesu? Uns geht es hier nicht um Frömmelei oder um bekannte Formen der Spiritualität – dann wären wir eine Fortsetzung von Kirchengemeinde an anderer Stelle. Aber wir können und wollen etwas von der Gastfreundschaft und der Wärme spüren lassen. Genauso wie von der Offenheit, dieselben Fragen stellen zu können, wie vor 900 Jahren die Mönche: Wer bin ich, wo komme ich her und wo will ich hin?
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Reicht ein Museum, um das lebendig zu halten?
Nein, ganz bestimmt nicht. Die Bedeutsamkeit unseres Museums erschließt sich zunehmend mehr nur noch Hardcore-Historikern und den Bildungsbürgern, und von beiden gibt es immer weniger. Heißt: Die Materie eines Museums muss ich vermitteln. Da versuchen wir so einiges, etwa mit unserer Museums-App. Und die darf nicht belehrend, sondern muss im guten Sinne unterhaltend sein. Oder mit unseren Führungen, in die wir viel Zeit und Manpower investieren.
Funktioniert das Bewahren der Historie auch über die Arbeit des Geistlichen und Kulturellen Zentrums?
Unsere Angebote, egal ob Origami-Kurs, Konzert oder Kunstausstellung, sollen in erster Linie über die Sinne erfahrbar sein. Diese sinnliche Erfahrung führt im Idealfall zu Sinnerfahrung. Kunst und Kultur machen aus uns halben Portionen oft ganze Persönlichkeiten. Ein starkes Kunsterlebnis kann erschütternd, bereichernd und auch verändernd sein. Und da ist unsere Kulturarbeit eine spirituelle.
Wo schlägt heute das Herz von Kloster Kamp? In der Abteikirche, im Terrassengarten, im Kräutergarten, im Spendencafé?
Das schöne an Kloster Kamp ist, dass man das nicht genau definieren kann. Und anders als vielleicht die Kirchen, insbesondere die katholische Kirche, definieren wir nicht, wo Menschen etwas zu verorten haben. Das wichtigste hier oben ist Freiheit, keine Kontrolle. Wir machen keine Gewissenskontrolle, keine Konfessionskontrolle, keine Sexuelle-Orientierungs-Kontrolle – all das machen wir nicht.
Das Geistliche und Kulturelle Zentrum hat einen kleinen Trägerverein, der Laden würde ohne ehrenamtliches Engagement nicht laufen. Wie geht es in die nächsten 900 Jahre?
Das ist so gar nicht mein Thema. Wenn man sich vor 20 Jahren bei der Gründung überlegt hätte, wo uns das hinführt und was alles passieren oder schief gehen kann, dann hätte man den ersten Schritt ja gar nicht zu denken gewagt. Das Bistum ist mittlerweile unser größter Zuschussgeber, ohne sich in irgendeiner Form einzumischen. Und auch die Kirchengemeinde St. Josef hilft uns, wo sie kann. Zuschüsse kommen außerdem von der Stadt. Alles andere müssen wir selber hinbekommen – das ist für uns aber auch eine große Freiheit.
Was bedeutet Kloster Kamp heute für Kamp-Lintfort und die Region?
Das müssen Sie die Menschen in Kamp-Lintfort und in der Region selbst fragen. Ich könnte das nur aus dem beantworten, was die Menschen mir erzählen. Für mich ist immer schön, morgens als erstes ins Gästebuch des Spendencafés zu gucken. Da stehen Dinge drin, ähnlich wie auch in den Ausstellungs-Gästebüchern, die immer wieder Staunen lassen. Wo Menschen erschüttert und/oder dankbar zum Ausdruck bringen, dass sie hier etwas finden konnten, was sie woanders nicht finden. Was ihnen woanders verwehrt wird, oder was sie anderen Institutionen, oft ist es die Kirche, nicht mehr zutrauen. Das ist da, wo wir merken, was wir bedeuten. Und das haut einen immer wieder um!