Neukirchen-Vluyn. NRZ-Interview mit der Bundestagsabgeordneten Kerstin Radomski (CDU): Warum sie Bundeskanzler Olaf Scholz zum Einsparen auffordert.
Kerstin Radomski (CDU) vertritt den Wahlkreis Moers, Neukirchen-Vluyn und Krefeld Mitte/Nord seit fast zehn Jahren im Deutschen Bundestag, doch das vergangene Jahr war für sie „in keiner Weise mit den vorherigen Jahren vergleichbar“. Warum? Darüber tauschte sie sich mit Matthias Alfringhaus (NRZ) aus.
Was unterscheidet das vergangene Jahr (2022) von Ihrer bisherigen Zeit im Bundestag?
Kerstin Radomski: In meinen ersten acht Jahren im Haushaltsausschuss war ich Mitglied einer Koalitionsfraktion; seit dem Regierungswechsel schaue ich nun sehr kritisch darauf, wofür die Ampel-Mehrheit Geld ausgeben möchte – und wo Steuergeld nicht gut eingesetzt wäre. Mit Blick auf die konkreten Abläufe bin ich froh, dass nach der Phase der strikten Corona-Regeln nun wieder mehr persönlicher Austausch möglich ist und Sitzungen in der Regel wieder in Präsenz stattfinden. Abgesehen davon ist das Jahr 2022 aufgrund der zahlreichen Krisen und des Krieges in der Ukraine in keiner Weise mit den vorherigen Jahren vergleichbar.
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Was hat die Oppositionsrolle Ihrer Partei für Sie konkret bedeutet?
Da die Unionsfraktion weniger Abgeordnete als vor der Wahl stellt, bin ich Berichterstatterin für drei statt für zuvor zwei Einzelpläne: das Bundeskanzleramt, das Bundespräsidialamt und das Bundesbildungsministerium. Dadurch rede ich auch häufiger im Plenum des Deutschen Bundestages: acht Haushaltsreden in einem Jahr; das ist mein bisheriger Rekord. Dieser direkte Schlagabtausch mit den politischen Kontrahenten ist das Herzstück einer lebendigen Demokratie.
In welche Richtung geht die CDU in der Nach-Merkel-Ära?
Die CDU befindet sich in einer Doppelrolle. Im Bundestag stellen wir den Oppositionsführer, in Nordrhein-Westfalen den Ministerpräsidenten – und das mit einer neuen Koalition. Durch die Regierungsbeteiligungen auf Länderebene kann die Union im Bundesrat Gesetzesvorhaben korrigieren, wie es kürzlich der Fall war. Ich freue mich nun auf die weitere Erarbeitung des neuen CDU-Grundsatzprogramms – das letzte stammt aus einer Zeit, in der es keine Pandemie-Herausforderungen, Home Office oder Smartphones gab.
Mehr Asylbewerber abschieben, sich gegen das Bürgergeld sperren: Sind Sie mit allen Äußerungen Ihres Vorsitzenden Friedrich Merz einverstanden?
Wir leben ja nicht in einem zentralistischen Staat – daher wäre es falsch, wenn eine frei gewählte Abgeordnete alles abnicken würde. Aber gut, dass Sie das Bürgergeld ansprechen. Friedrich Merz ging es darum, dass Arbeitnehmer mit kleinen und mittleren Einkommen weiterhin wissen, dass ihre Berufstätigkeit finanziell Sinn macht und die Nachbarsfamilie neben ihrem monatlichen Bürgergeld nicht auch noch 150.000 Euro Schonvermögen besitzen darf.
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Sie haben im Bundestag über Ausbildung gesprochen. Was ist Ihre Kritik?
Ich habe die Bundesbildungsministerin direkt angesprochen und aufgefordert, sich stärker als bisher um die berufliche Ausbildung zu kümmern. Derzeit werden nicht ausreichend Handwerkerinnen und Handwerker ausgebildet, obwohl in den Betrieben viele Plätze frei sind. Wer soll denn dann den dringenden Bedarf hinsichtlich besserer Gebäudeisolierung oder modernen Heizanlagen bedienen? Die Verantwortlichen dürfen nicht einseitig auf die künftigen Akademikerinnen und Akademiker blicken.
Wie ist Ihr Verhältnis zum Wahlkreis?
Hier bin ich geboren und hier lebe ich. Es ist für mich immer wieder das Schönste, in meiner Heimat unterwegs zu sein und mit vielen Menschen zu sprechen – bei Vereinen oder Volksfesten, in Bürgersprechstunden oder bei Betriebsbesuchen. Ich höre nach, wo der Schuh drückt, und trage die Anliegen als Botschafterin nach Berlin. Besonders froh bin ich, wenn ich konkret unterstützen oder Bundesmittel für Vereine und Gebäudesanierungen für den Wahlkreis organisieren kann.
Was nehmen Sie wahr: Welche Themen sind den Menschen im Moment besonders wichtig?
Ganz klar die steigenden Preise für Energie und alle anderen Bereiche von Lebensmitteln bis Kreditzinsen. Hier besteht viel Gesprächsbedarf – etwa als unsere Bäckereibetriebe sich zu Recht von der Bundesregierung vergessen fühlten und in ihrer Existenz bedroht sahen. Daraufhin habe ich Robert Habeck kontaktiert. Die Menschen dürfen mit ihren Sorgen nicht alleine gelassen werden, sondern wir müssen gemeinsam durch die aktuelle Phase gelangen.
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Was halten Sie für so wichtig, dass Sie es 2023 umgesetzt sehen möchten?
Wenn es um meine persönliche Arbeit als Haushaltspolitikerin geht, dann möchte ich erreichen, dass der Bundeskanzler doch noch Vernunft annimmt und den Erweiterungsbau seines Kanzleramtes wegen der stark gestiegenen Kosten nicht in dieser Dimension durchdrückt. Inklusive Risikokosten möchte er dafür 777 Millionen Euro ausgeben – wegen der unvorhersehbaren zusätzlichen Belastungen für den Bundeshaushalt habe ich ihn kürzlich im Bundestag zum Einsparen aufgefordert. Da hat Olaf Scholz nur stumm zur Seite geblickt.