Kamp-Lintfort. Liesel Jesse aus Kamp-Lintfort engagiert sich für die Bewegung Maria 2.0. Sie hält am Glauben fest, hat aber eine klare Meinung zur Kirche.
Klar, dass Liesel Jesse zum Interview mit einem Aufkleber kommt: Hand in Hand für eine geschlechtergerechte Kirche steht darauf. Das ist seit drei Jahren eines der wichtigsten Anliegen im Leben der 71-Jährigen Kamp-Lintforterin. Was die ehemalige Pastoralreferentin über die Bewegung Maria 2.0 denkt und wie sie heute zur Institution Kirche steht, erzählt sie im Interview.
Sie gehören einer Generation an, in der Frauen gefühlt noch weniger Mitsprache- und Mitgestaltungsrecht in der katholischen Kirche hatten als heute. Wann und warum haben Sie zu Maria 2.0 gefunden?
Ich war 18 Jahre alt, als das 2. Vatikanum 1969 die Fenster der Kirche zur Welt öffnen wollte, voller Elan und mitten drin im Gemeinde-Leben. Es ist bis heute nicht umgesetzt! Wir waren in den 70ern im täglichen Leben viel näher dran an der Botschaft Jesu – in Gemeinschaften, Jugendzentren, Ferienfreizeiten und Wochenenden mit Ehrenamtlichen, mit denen wir Gottesdienste und ohne Übergang das Zusammensein gefeiert haben, das auch dann in Disco überging. Mein Bruder war junger Priester, mit dem konnte ich über alles reden. Also, was meine Generation betrifft, treffe ich heute auf immer mehr Frauen, die sogar älter sind und mich mit ihren Fragen und Interesse an der Erneuerung immer wieder ermutigen. Ich will aber auch ehrlich sagen: Gott sei Dank hatte ich zu meiner aktiven Zeit hier in St. Josef gestalterische Freiheiten.
Als ich im Mai 2019 von der Aktion Maria 2.0. gehört und gelesen habe, war ich sofort Feuer und Flamme und dachte: Ob das tatsächlich eine neue Chance ist, die Botschaft der Bibel „upzudaten“? Denn das 2. Vaticanum ist ja bis heute längst nicht in seinen Möglichkeiten umgesetzt Dazu habe ich – Gott sei gelobt, getrommelt und gepfiffen – zwei ganz besondere Mitstreiterinnen gefunden. Wir leben in dem Spannungsbogen zwischen Bleiben und Gehen. Aus dieser Frage ist das Engagement gewachsen im Sinne von: Bleibt drin, mischt Euch ein!
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Lange Zeit haben Sie als Pastoralreferentin in der St. Josef-Gemeinde gearbeitet und sich dort engagiert. Warum sind Sie jetzt nicht mehr dort aktiv?
Ich war hier wirklich sehr gerne und bin auch heute noch mit vielen Menschen in St. Josef verbunden, die mir ans Herz gewachsen sind, die ähnlich wie ich ticken. Aber ich finde, dass es gut ist, mit dem Ausscheiden auch wirklich abzutreten und den ehemaligen Wirkungsbereich Nachfolger/in und Kolleg/in mit neuen und vielleicht anderen Ideen zu überlassen. Hier vor Ort bin ich in der Caritasarbeit der Gemeinde St. Josef mit meiner Freundin aber noch gerne mit dabei, etwa wenn es sonntags darum geht, die „warme Mahlzeit“ auszugeben.
Wäre ein Kirchenaustritt eine Lösung für Sie?
Das ist für viele die Frage, nach diesen verheerenden Erkenntnissen zum Missbrauch im Bistum Münster, die Gott sei Dank mal gut recherchiert und bekannt gegeben wurden. Natürlich habe ich auch und immer wieder darüber nachgedacht – aber nicht einfach resigniert und hingeschmissen, wie so viele. Ich vertraue immer noch auf die heilige Geisteskraft Gottes und habe mich inspirieren lassen durch Gespräche und Austausch. Ich bin bis heute engagiert, indem ich versuche, möglichst gut an den Lebenswirklichkeiten der Menschen zu sein, zu begleiten, Anwältin und Übersetzerin zu sein für so Vieles, was mir in dieser Kirche schon immer unverständlich war.
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Was kann Maria 2.0 tatsächlich für Frauen – und für die katholische Kirche – erreichen?
Zunehmende Verwunderung in die Gesellschaft bringen, dass es doch noch Menschen jeden Alters – vor allem ältere Frauen, 50- bis 90-jährige, – gibt, die sich wundern und freuen, dass sich endlich etwas tut. Wir werden nicht kleinlaut gehen, sondern Stachel im Fleisch bleiben, weiterhin auf die Straße oder den Markt gehen und sehr laut werden und unsere Forderungen vorbringen. Ehrlich gesagt ist es mir wichtig, dass der Glaube nicht verloren geht – ob die Institution dabei überlebt, das liegt inzwischen nur noch ihrer eigenen Verantwortung. Ich denke an die vielen Menschen, die mit uns kämpfen, sich engagieren, sich nicht unterkriegen lassen; ich weiß nicht so genau, wie lange sie noch bereit sind, für diese Institution länger zu leiden. Ich hoffe aber dennoch, dass es im Sinne Jesu ein Aufeinander Hören gibt und eine Einigung im Sinne des Evangeliums gibt – und nicht so sehr im Sinne des Kirchenrechts, was ja veränderbar wäre, wenn die Entscheider nicht so sehr an ihrer alleinigen Macht kleben würden.
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Hätten Sie gerne mehr Männer an der Seite, die Maria 2.0. mit unterstützen?
Sehr gerne mehr Menschen. Wir wollen uns doch ergänzen und bereichern und nicht bekämpfen – die Talente und Verantwortlichkeiten sollen gleich und berechtigt verteilt sein unter allen Geschlechtern.
Was können Frauen in Kamp-Lintfort tun, wenn sie sich für Maria 2.0. einsetzen wollen?
Ich weiß aus der langjährigen Zusammenarbeit mit ihnen, dass die Sehnsucht da ist, aber auch Not, dass sich endlich etwas ändert. Bei vielen, denen ich bis heute verbunden bin, finde ich die grundsätzliche Einstellung auf der Grundlage zum Beispiel der Thesen von Maria 2.0. Ich war ja Präses der verschiedenen Frauengruppen der kfd in St. Josef. Daher bin ich sicher, dass sich auch hier etwas bewegt und weiterbewegen lässt. Suchende und Engagierte gibt es immer noch genügend. Jetzt ist natürlich die große Hoffnung, dass dieses Denken und Reden von der neuen Gemeindeleitung nicht blockiert, sondern auch von allen Hauptamtlichen gefördert und mitgetragen wird.
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Hatten Sie schon einmal das Gefühl, dass dies ein Kampf gegen Windmühlen ist?
Ach, wissen Sie: Der Glaube versetzt Berge. Ja, es gibt Windmühlen in den Köpfen vieler Menschen, die nicht verstehen können oder wollen, dass das Leben und der Glaube sich verändern. Gott sei Dank kenne ich zunehmend mehr ältere „jung denkende“ Menschen, die ein Amt in der Kirche hatten und haben. Sie denken und leben und predigen jung und dynamisch. Ich bin sicher, dass es sehr hilft, in leicht verständlicher Sprache etwas von der Liebe Gottes weiterzugeben. Ja, und dann gibt es tatsächlich Amtsträger, die sind 20 Jahre jünger - und beharren darauf: „Sie seien anders geprägt“. Mit großer Sorge höre ich daraus, dass sie keinesfalls vorhaben, irgendetwas zu aktualisieren.
Was bringt Ihnen persönlich das Engagement bei Maria 2.0.?
Ich möchte mithelfen, das Ausbluten der katholischen Kirche zu stoppen, denn das Evangelium ist eine frohe Botschaft, die den Menschen das Leben in Fülle verspricht. Ich arbeite, kämpfe und streite, damit die Lebenswirklichkeit der Menschen mit dem Glauben in Berührung kommt und nicht immer mehr aus dem Blick gerät! Neben allem was Maria 2.0, was alle die Menschen fordern, die in der Kirche sich nicht mehr zu Hause fühlen wegen all der schlimmen Vorkommnisse, fordere ich, endlich endlich eine Sprache zu wählen, die die Menschen verstehen und die andockt in ihrem Lebensalltag.