Kamp-Lintfort. Thomas Riedel ist Pastoralreferent der St. Josef-Gemeinde. Warum er Kritik an der Kirche teilt und Verständnis für Menschen hat, die austreten.

Nach den erneuten Diskussionen um den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche und dem Outing queerer kirchlicher Mitarbeitender haben wir mit Thomas Riedel, Pastoralreferent der Kamp-Lintforter St. Josef-Gemeinde, im Interview über diese Themen gesprochen.

Vor zwei Wochen haben sich 125 Mitarbeitende der katholischen Kirche als queer geoutet. Wie finden Sie das als pastoraler Mitarbeiter der St. Josef-Gemeinde?

Ich finde das genial. Das ist mutig und hat mich tief gerührt. Was für ein Statement und zugleich was für ein Glaubensbekenntnis, beziehungsweise ein Bekenntnis zur Botschaft Jesu!

Sollten sich Ihrer Meinung nach noch viel mehr Mitarbeitende outen?

Ich wünschen mir zum einen, dass das ohne Angst möglich wird und keine Bedeutung hätte. Genauso wenig wie mich keiner nach meiner Heterosexualität fragt. Ja, ich fände es gut und zugleich kann ich nachvollziehen, wie viel Mut und zugleich Furcht besteht, welchen Preis queere Menschen dafür zahlen.

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Kennen Sie im erweiterten Kollegenkreis Menschen, die sich nicht trauen, darüber öffentlich zu sprechen?

Ich sage mal so: Ich kenne einige, die die schmerzliche Konsequenz gezogen haben und aus dem kirchlichen Dienst ausgestiegen sind. Da hat sich ja leider nichts dran geändert. Was ja ermutigend ist, dass Bischöfe mittlerweile klar benennen, dass sie es nicht gut finden. Aber gerade für die Hauptamtlichen im Bereich der Verkündigung, also Pastoralreferentinnen und -referenten, Religionslehrerinnen und -lehrer – das sind ja nicht einfach nur Angestellte. Für die hat sich nach wie vor nichts geändert, auch wenn es heißt, dass keiner Sanktionen zu befürchten hat. Rechtlich ist das noch nicht spruchreif.

Pastoralreferent Thomas Riedel bei einer Pressekonferenz für das Projekt „Gemeinsam gegen einsam“ im letzten Jahr.
Pastoralreferent Thomas Riedel bei einer Pressekonferenz für das Projekt „Gemeinsam gegen einsam“ im letzten Jahr. © FUNKE Foto Services | Volker Herold

Ist das auch Thema im Kamp-Lintforter Pastoralteam?

Ja, für uns war es ja auch sehr wichtig, uns im letzten Jahr klar zu positionieren und ein Zeichen zu setzen bei dem Thema Segnung für Paare egal welcher sexuellen Veranlagung. Wir haben uns in der letzten Woche zusammengesetzt und das Thema diskutiert. Wichtig ist uns, dass es in der Gemeinde ein Gesprächsangebot gibt. In welcher Form das stattfinden soll, steht noch nicht ganz fest, da sind wir innerhalb der Gemeinde noch im Austausch.

Warum war Ihnen das so wichtig?

Das liegt in meinem tiefen persönlichen Glauben, dass der Mensch Abbild Gottes ist. In der Bibel steht nicht drin, in welcher Art Geschlechtlichkeit. Wenn wir noch weitergehen ans Ende des Schöpfungsberichts steht da: „Und es war alles sehr gut“ – dann sind wir alle von Gott zutiefst geliebte und gewollte Wesen. Es ist mir auch wichtig, weil ich das Leid, das durch diese stehen gebliebene mittelalterliche kirchliche Sexuallehre verursacht wird, von hoch geschätzten Kolleg*innen und im Bekanntenkreis mitbekommen habe. Wie sehr Menschen das umtreibt, was sie mit ihrer ,nicht normierten sexuellen Neigung’ machen sollen.

Was muss Ihrer Meinung nach passieren?

Wesentlich ist, dass wir als Christen dahin kommen, das zu glauben und zu leben, was in der Botschaft Jesu verkündet wird, uns nicht davor drücken, die befreiende Botschaft immer wieder in Bezug zu dem konkreten menschlichen Leben zu verstehen. Hier ganz konkret in der Frage der Geschlechtlichkeit und gelebter Sexualität. Grundsätzlich als Christen für Menschen da sein, die aus welchen Gründen auch immer, am Rande der Gesellschaft stehen. Ich glaube, dass das eine Herausforderung ist. Eine Herausforderung auch innerhalb unserer Gemeinde! Es wäre komisch, wenn sich dies nur in der Leitungsebene abzeichnet. Da haben wir durchaus viel Unsicherheit auch im Durchschnitt unserer Kirchengemeinde – so, wie es auch gesamtgesellschaftlich ist.

Wie geht man in Ihrer Funktion aktuell mit der massiven Kritik an der katholischen Kirche um?

Ich kann nur sagen – die Menschen haben zu 80, 90 Prozent Recht mit ihrer Kritik. Dass wir seit zwölf Jahren als Institution nicht in der Lage sind, klar zu benennen, was fehl gelaufen ist und Konsequenzen daraus zu ziehen … Wenn ich mir überlege, ich habe jahrzehntelang Familien und Kinder auf die Erstkommunion vorbereitet, dazu gehört auch das Sakrament der Beichte. Da geht es um Schuldeingeständnis, um Reue und Wiedergutmachung. Und der höchste Repräsentant unserer Kirche hat die Dreistigkeit zu sagen, oh, ,das war ein Versehen’. Der sagt, wenn ein Priester vor einem Mädchen onaniert, sei das kein Missbrauch. Das macht mich sprachlos und zugleich wütend.

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Fühlen Sie sich in einer Verteidigungsposition, wenn Sie in der Gemeinde auf so etwas angesprochen werden?

Nein, ich fühle mich nicht in einer Verteidigungsposition. Was sollte ich verteidigen, wenn ich selber 80-90% dieser Kritik teile. Was es besser beschreibt: Ich bedaure es so sehr, dass die Glaubwürdigkeit der Botschaft Jesu so abnimmt, weil diejenigen, die dafür leben oder stehen, mit in Mitleidenschaft gezogen werden.

Gibt es in der Gemeinde St. Josef konkrete Reaktionen auf die erneute Diskussion? Leute, die sagen, jetzt reicht es mir und die der Institution Kirche den Rücken kehren?

In Kamp-Lintfort ist es mir noch nicht begegnet. Aber ich kenne das aus dem Bekanntenkreis, dass viele schmerzhaft ringen. Und das bis in die eigene Familie hinein.

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Was kann man dagegen tun?

Ich weiß nicht. Ich wünschte mir den Mut, einen Brief nach Münster zu schreiben und zu sagen: Geschätzte Bistumsleitung, verkaufe doch das Borromaeum in Münster,(Bischöfliches Priesterseminar, Anm.d.Red.), ein Filetstück in zentraler Lage. Vor allem mit dem Gedanken – das ist der Ort, der priesterliches Leben ausbildet und grundlegt, an dem Verantwortlichkeit grundgelegt wird und wurde. Zieht damit einen Schlussstrich unter die bisherige Ausbildung. Benutzt das Gebäude nicht mehr. Alles, was ihr für dieses Filetstück bekommt, zahlt das in den Fond, aus dem Menschen dann angemessen entschädigt werden. Aber eigentlich fühle ich mich wie gelähmt, sprach- und hilflos.

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Sie würden der Kirche nicht den Rücken kehren?

Nein. Der Grund, warum ich dabei bleibe, sind hunderte Menschen, die mir in der Zeit in der ich als Pastoralreferent in den Gemeinden arbeiten konnte, begegnet sind. Die aufrichtig die Botschaft Jesu in ihrem Leben umsetzen wollen. Seien es die Jugendlichen mit den hervorragenden Angeboten wie Ferienfreizeiten, die jungen Eltern, die spüren, dass sie ihren Kindern einen lebendigen Bezug zum Geheimnis Gott grundlegen wollen, seien es die Katechet*innen von 16 bis 70 Jahren Lebensalter, die sich und ihren Glauben als „Mehrwert“ für ein gelingendes Leben anbieten, seien es die Menschen, die Nächstenliebe praktizieren. Hier beeindruckt mich am meisten der Einsatz für Menschen in unterschiedlichster Not und auch die vielen Kolleg*innen, die darum ringen, dass die Botschaft Jesu nicht im Strudel der Skandale untergeht. Ebenso dazu gehört die persönliche Gottesbeziehung, die Erfahrung, dass diese Botschaft Jesu nicht nur schöne Worte sind, sondern Worte, die das - mein - Leben kostbar machen. Und zugleich habe ich so viel Verständnis für jeden getauften Menschen, besonders Frauen und queere Menschen, der die Spannung nicht mehr aushält. Der sich selbst schützen und im Spiegel anschauen können will - und darum gehen muss.