Moers. 50 Lineg-Mitarbeitende übten in Moers die richtigen Handgriffe für den Fall eines Hochwassers. Wie realistisch der Ernstfall in der Region ist.

Mit der Schaufel befüllte Holger Michels immer wieder den Trichter mit Sand. Sein Kollege hielt den Jutesack vor das Rohr und ließ den Sand hineinlaufen. Die Handgriffe saßen, die Säcke stapelten sich. Über 120 Stück haben die Männer am Dienstagvormittag schon befüllt. Am Ende des Tages kippten sie die Säcke wieder aus, im Ernstfall würden diese die Menschen am Niederrhein vor Hochwasser schützen.

Auf dem Gelände der Lineg an der Pattbergstraße in Moers absolvierten rund 50 Mitarbeitende am Montag und Dienstag eine betriebsinterne Hochwasserschutzübung. Zum dritten Mal schulte das Unternehmen seine Mitarbeitenden in Theorie und Praxis. Bereits 2011 und 2019 gab es ähnliche Übungen.

Lokale Starkregenereignisse könnten zunehmen

„Wir müssen davon ausgehen, dass lokale Starkregenereignisse durch den Klimawandel in Zukunft zunehmen werden“, sagte Lineg-Sprecher Ingo Plaschke und erinnerte an die Flutkatastrophe im Ahrtal im vergangenen Jahr. „Vermeiden können wir das nicht, aber wir können uns darauf vorbereiten, um die Folgeschäden so gering wie möglich zu halten.“

An mehreren Stationen wurden verschiedene Hochwasserereignisse simuliert. Es wurden unter anderem Rohre zum Abpumpen verlegt, ein kleines Loch im Deich künstlich erzeugt, das mit einem Ringwall aus Sandsäcken stabilisiert werden musste, um den steigenden Wasserpegel zu stoppen und es wurde gezeigt, wie die dafür benötigten Sandsäcke schnell und effektiv befüllt werden müssen.

Zu Übungszwecken wird der gebrochene Deich mit Sandsäcken stabilisiert.
Zu Übungszwecken wird der gebrochene Deich mit Sandsäcken stabilisiert. © FUNKE Foto Services | Volker Herold

„Es ist wichtig, ein Gefühl dafür zu kriegen, wie viel Sand in so einen Sack muss und wie schwer er dann ist“, erklärt Ralf Kempken, Hochwassereinsatzleiter der Lineg. Die Station ging ganz schön in die Arme: Rund 15 Kilogramm wiegt ein befüllter Sack. Gestapelt auf einer Palette schaffen es die 90 Säcke sogar auf 1,2 Tonnen.

Lineg lagert 100.000 Sandsäcke

Die Sandsäcke wurden aber nicht ganz, sondern nur zu zwei Dritteln befüllt. „Sonst könnte man sie nicht mehr umschlagen oder zubinden “, sagte Teo Tramontana, Handwerksmeister der Lineg-Werkstatt und neben Ralf Kempken einer von sechs zertifizierten Hochwasserschutz-Fachberatern der Lineg.

Im Ernstfall könnte man mit solchen Sandsäcken – rund 100.000 Stück lagern bei der Lineg – zum Beispiel den Moersbach stabilisieren. Neben den Sandsäcken hat der Wasserwirtschaftsverband auch einen Mobildeich, den die Mitarbeiter ebenfalls kennenlernten. Das Konstrukt aus Kunststoffgewebe kann mit Wasser befüllt und als Schutzbarriere aufgestellt werden.

So wird eine Hochwasserwahrscheinlichkeit berechnet

Im Falle eines Hochwassers könnten alle Mitarbeiter einberufen werden, die die Schulung absolviert haben – auch Mitarbeitende der Verwaltung. Einer von ihnen ist Kai Löwe, eigentlich zuständig für die Fachbereichsleitung Organisation. „Es ist für mich selbstverständlich, die Übung mitzumachen. Wenn es ernst ist, müssen alle mitziehen“, sagte er. Sein Kollege Holger Michels, gelernter Schlosser und derzeit Personalratsvorsitzender, stimmte ihm zu. „Jetzt können wir das in Ruhe üben. Wenn im Ernstfall Stress aufkommt, wissen dann alle, was zu tun ist.“

Gesa Amstutz, Geschäftsbereichsleiterin für Wasserwirtschaft bei der Lineg, zeigt ein Überflutungsmodell.
Gesa Amstutz, Geschäftsbereichsleiterin für Wasserwirtschaft bei der Lineg, zeigt ein Überflutungsmodell. © FUNKE Foto Services | Arnulf Stoffel

Regen ist für Gesa Amstutz weit mehr als nur Wasser, das von oben kommt. Sind starke Regenfälle angekündigt, hat die Geschäftsbereichsleiterin für Wasserwirtschaft bei der Lineg immer einen Blick auf die Wetterdaten und Pegelstände. Der Hochwasserschutz gehört zu den zentralen Aufgaben der Lineg.

Und das nicht nur in der Praxis, sondern auch mit aufwendigen Berechnungen in der Theorie. Anhand verschiedener Modelle können die Experten vorhersagen, wie sich extreme Regenfälle auf die Gewässer am Niederrhein auswirken würden.

„Wir kennen das Profil von jedem Gewässer in unserem Einzugsgebiet und wissen, wie viel Wasser im Regelfall ankommt. Anhand der Berechnungswassermengen für Mittelwasser, Hochwasser sowie Extremereignisse können wir ausrechnen, wie viel Wasser zusätzlich ins System kommt“, erklärt Amstutz.

Renaturierung als natürlicher Hochwasserschutz

Für die Realität bedeutet das: So lange der Rheindeich nicht breche, ist der Hochwasserschutz für den linken Niederrhein gegeben, so die Geschäftsbereichsleiterin. Die kleineren Gewässer würden ebenfalls nicht allzu stark über die Ufer treten. Steigen die Pegel, springen die Grundwasserpumpanlagen der Lineg in den Gewässern an. Diese leiten das Wasser in den Rhein.

Durch die Renaturierung der Bachläufe will die Lineg die Pumpen nach und nach aber reduzieren. „Die Verbreiterung der Gewässer ist die nachhaltigste Maßnahme für den Hochwasserschutz“, sagt Amstutz. Aktuell wird der Anrathskanal zwischen Neukirchen-Vluyn und Kamp-Lintfort renaturiert. Am Moersbach im Moerser Stadtpark möchte die Lineg in diesem Jahr noch mit der Renaturierung beginnen, ebenso am Issumer Fleuth in Kamp-Lintfort.

So antworteten die Befragten des NRZ-Umweltchecks.
So antworteten die Befragten des NRZ-Umweltchecks. © funkegrafik nrw | Anna Stais

Die Angst vor Hochwasser ist in der Bevölkerung eher gering. Das ergab der NRZ-Umweltcheck. 74 Prozent der Menschen in Moers fühlen sich gut vor Hochwasser geschützt – der höchste Wert im Vergleich zwischen Moers, Neukirchen-Vluyn (68 Prozent) und Kamp-Lintfort (66 Prozent).

Am größten ist in den drei Städten die Sorge vor Sturm. Rund 40 Prozent der Befragten gaben an, sich nicht gut vor Sturm geschützt zu fühlen. Auch zunehmende Hitzewellen beschäftigen die Menschen. Jeder Vierte in Neukirchen-Vluyn fühlt sich vor Hitze nicht gut geschützt, in Kamp-Lintfort ist es hingegen nur knapp jeder Fünfte.