Moers. In Moers werden sieben neue Stolpersteine gelegt. Warum die Nazis 1943 eine Familie mit einem Kind und zwei schwangeren Frauen auslöschten.
Seit 2013 legen der Verein ‘Erinnern für die Zukunft’ und die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Stolpersteine, um an die Moerser erinnern, die Opfer der nationalsozialistischen Terrorherrschaft wurden. 121 solcher Steine, die jeweils die Namen dieser Opfer tragen, gibt es bereits in der Grafenstadt. Am Dienstag kommen sieben dazu, unter anderem um der Familie Leiss zu gedenken.
Ihr Schicksal sei besonders tragisch und zudem einmalig, wie Lutz Hartmann vom gemeinsamen Arbeitskreis Stolpersteine der beiden Vereine jetzt berichtete. Sieben ihrer Mitglieder, darunter ein dreijähriges Kind und zwei schwangere Frauen, wurden 1943 im Konzentrationslager Sachsenhausen ermordet. Als Grund für das Auslöschen der Familie reichte der Krefelder Gestapo-Außenstelle in Moers aus, dass ein Sohn, Panzergrenadier Wenzeslaus Leiss, an der Ostfront im Dezember 1942 angeblich desertiert war. Es handelte sich, so berichtete Lutz Hartmann, um den einzigen bekannten Fall aus Moers, in dem Hinrichtungen mit Fahnenflucht begründet wurde.
Schon seit 1946 gibt es eine Straße in Meerbeck, die nach Familie Leiss benannt ist. Für die Ehefrau Theodora Leiss und ihre kleine Tochter Marianne wurden 2013 Stolpersteine an der Augustastraße 2, ihrem letzten Wohnort, gelegt. An der Ruhrstraße 76 liegen seit 2014 Erinnerungssteine für Wenzelaus’ Mutter Josefa und Bruder Josef. Nun werden drei weitere Stolpersteine an der Ruhrstraße für Bruder Felix, Schwester Johanna und deren Ehemann Wilhelm Christen gelegt.
Zwei Opfer der NS-Euthanasie
Mit den beiden nächsten Stolpersteinen wird zweier Opfer der NS-Euthanasie gedacht. Einer von ihnen war Heinrich Wichert, geboren 1919 als siebtes Kind einer Bergarbeiterfamilie in Meerbeck, wo er in der Bismarckstraße 52 lebte. Spätestens in seinem achten Lebensjahr traten bei ihm epileptische Anfälle auf. Mehrfach war er in Heil- und Pflegeanstalten, wurde zwangssterilisiert. Im Alter von 21 Jahren starb er 1943 in der Heil- und Pflegeanstalt Großschwednitz, einem Zentrum der Euthanasie, angeblich an Lungenentzündung. vermutlich aber an Medikamentenüberdosierung, Unterernährung oder Unterkühlung, so Lutz Hartmann.
Wie Wichert erging es auch Karl Mondorf. Der 70-jährige Hauer lebte ganz in der Nähe in der Bismarckstraße 70 und wurde 1943 wegen „Verwirrtheit“ in Heilanstalten untergebracht, zuletzt in Ueckermünde, wo man ihm „körperliche Hinfälligkeit“ bescheinigte. Bald darauf hieß es, Mondorf sei an „Altersschwäche“ gestorben.
Fanny und Simon Vollmann wurden 1942 nach Theresienstadt deportiert
Zwei weitere Stolpersteine sind Fanny und Simon Vollmann gewidmet. Das Geschäft, das die Familie an der Kirchstraße 11 betrieben hatte, durfte sie nach der Reichspogromnacht nicht wieder öffnen. Fannys Bruder Max und seine Frau wurden 1941 nach Riga deportiert und ermordet. Für Fanny und Simon Vollmann und 19 weitere Moerser Juden kam die Deportation nach Theresienstadt 1942, wo Simon knapp zwei Jahre später ermordet wurde. Fanny überlebte durch einen glücklichen Umstand: Sie war eine von 1000 Jüdinnen und Juden, die am 5. Februar 1945 den einzigen Transport von Theresienstadt in die Schweiz besteigen durften. Nach dem Krieg lebte sie bei ihrer Nichte in Enschede.
Wie immer ist das Legen der Stolpersteine keine „einsame Aktion“ der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und von ‘Erinnern für die Zukunft’. In allen bisherigen Fällen waren Schulen und Jugendgruppen einbezogen. Diesmal werden Schülerinnen und Schüler des Grafschafter Gymnasiums, der Hermann-Runge-Gesamtschule, der Hilda-Heinemann-Schule und der Anne-Frank-Gesamtschule die Verlegungen mit ihren Beiträgen begleiten. (wit)
>>> Vortrag über die Geschichte der Familie Leiss <<<<<<
Um die Geschichte der Familie Leiss geht es in einem Vortrag am Mittwoch, 15. Juni, um 19.30 Uhr im Alten Landratsamt (Kastell 5). Maren Schmidt von ‚Erinnern für die Zukunft‘ berichtet über die Familie aus Hochstraß, die 1943 in sogenannter Sippenhaft von den Nationalsozialisten ermordet wurde. Auch auf den Monitoren der neuen interaktiven Ausstellung im Alten Landratsamt sind ihre Schicksale nachvollziehbar.
80 Jahre nach ihrer Hinrichtung, im Februar 2023, wird Moers der Familie auch im früheren KZ Sachsenhausen ein Erinnerungszeichen setzen.
Vor Beginn des Vortrags – um 18.30 Uhr – gibt es eine 30-minütige Kurzführung durch die neue Dauerausstellung.