Moers. Wiaczeslaw und seine Mutter flohen vor dem Ukraine-Krieg. Dank einer Patenschaft kann er in der Moerser Musikschule wieder Unterricht nehmen.

Endlich kann Wiaczeslaw wieder eine Geige in den Händen halten. Klassik spielt der 17-Jährige besonders gern. Am liebsten Werke von Vivaldi oder Mozart. Gemeinsam mit seiner Mutter Jaroslava Domanczuk floh Wiaczeslaw vor dem Krieg aus der Ukraine. Mitnehmen konnten die beiden nur das Allernötigste. Seine Geige musste Wiaczeslaw zurücklassen.

Vor gut zwei Wochen standen der junge Ukrainer und seine Mutter gemeinsam mit der Betreiberin eines Neukirchen-Vluyner Hotels, in dem Wiaczeslaw und Jaroslava Domanczuk aktuell leben, vor Konrad Gökes Haustür. „Sie haben mich gefragt, ob ich eine Geige übrig hätte“, erzählt der Moerser Kulturschaffende. Zwar hatte er ein Instrument da, so richtig funktionstüchtig war das aber nicht mehr. „Die Saiten sprangen immer weg.“ Göke hatte aber eine Idee.

Geflüchteter erhält Leihinstrument von der Moerser Musikschule

Mit einem Anruf bekam Wiaczeslaw ein Leihinstrument: Georg Kresimon, Leiter der Moerser Musikschule, lud den jungen Mann aus Kiew spontan in die Musikschule ein und stellte ihm eine Geige zur Verfügung. In der vergangenen Woche hatte er seinen ersten Geigenunterricht bei Lehrerin Margaretha Zagubien. Auf Polnisch konnten sich die beiden sofort verständigen.

Vor der ersten Stunde sei er ziemlich aufgeregt gewesen, gesteht Wiaczeslaw. „Es hat aber problemlos geklappt. Was wir mit Worten nicht klären können, regeln wir über die Musik. Musik ist wirklich eine internationale Sprache“, sagt Zagubien. Weil es zeitlich passt und weil Wiaczeslaw sehr gut spielt, darf er auch direkt im Orchester der Musikschule mitproben.

Geigenunterricht sorgt für Ablenkung

Seit vier Jahren spielt der Ukraine Violine. „Mir gefällt vor allem der Klang des Instruments“, erklärt der 17-Jährige. Deutsch sprechen er und seine Mutter natürlich noch nicht. Margaretha Zagubien übersetzt die Gespräche. Jaroslava Domanczuk ist über die Hilfsbereitschaft, die ihr und ihrem Sohn entgegengebracht wird, sichtlich gerührt. „Es bedeutet uns sehr viel“, betont sie.

Und der Musikunterricht tue ihrem Sohn gut. „Wir haben hier endlich Ruhe. Die Ablenkung hilft uns, das Erlebte zu verarbeiten.“ Das Mutter-Sohn-Gespann kam allein nach Deutschland und aus Zufall nach Moers. Bekannte haben sie hier nicht. Wiaczeslaws Vater und weitere Familienangehörige sind in Kiew geblieben.

Musiklehrerin Margaretha Zagubien mit ihrem Schüler Wiaczeslaw Domanczuk und seiner Mutter Jaroslava (vorne v.l.) sowie Ibrahim Yetim, Landtagsabgeordneter, Anneke van der Veen, Grafschafter Diakonie und Konrad Göke, Kulturschaffender (hinten v.l.), vor der Moerser Musikschule.
Musiklehrerin Margaretha Zagubien mit ihrem Schüler Wiaczeslaw Domanczuk und seiner Mutter Jaroslava (vorne v.l.) sowie Ibrahim Yetim, Landtagsabgeordneter, Anneke van der Veen, Grafschafter Diakonie und Konrad Göke, Kulturschaffender (hinten v.l.), vor der Moerser Musikschule. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Von dem Engagement der Musikschule ist auch Ibrahim Yetim begeistert. Der Landtagsabgeordnete der SPD übernimmt die Patenschaft für Wiaczeslaw und kommt für die wöchentlichen Unterrichtskosten auf.

„Ich habe früher selbst Unterricht in der Moerser Musikschule genommen und weiß, wie gut so ein Hobby tut. Und es ist doch nachvollziehbar: Was die jungen Ukrainer in ihrer Heimat gerne gemacht haben, würden sie auch hier gerne fortsetzen“, erklärt Yetim.

Weitere Paten gesucht

Mit der Patenschaft wolle er Wiaczeslaw ein Stück Halt und Zuversicht geben. Und der Politiker würde sich freuen, wenn sich noch weitere Paten finden, die sich bei Sportvereinen, Bildungseinrichtungen – wie der VHS – oder bei der Musikschule melden, um Patenschaften zu übernehmen. „So könnte den Geflüchteten aus der Ukraine schnell und unbürokratisch geholfen werden und sie würden einen Anschluss in der Gesellschaft finden.“

Es gibt bereits vier weitere Anfragen für Musikunterricht für ukrainische Flüchtlingskinder. Das überrascht Georg Kresimon nicht. „In der Ukraine hat der Musikunterricht einen viel höheren Stellenwert als in Deutschland“, weiß er. Neben der Suche nach Paten versucht der Musikschulleiter Sponsoren ins Boot zu holen. Einige Lehrkräfte der Musikschule hätten zudem angeboten, die Kinder eine Zeit lang ehrenamtlich zu unterrichten.