Kamp-Lintfort. „Heinrich + Berta“ nennt der Architekt die Pläne für die Beamtensiedlung. Anwohner fürchten um den Gesamteindruck der Siedlung.
Rita Tölke ist traurig. Sie wohnt in einer ehemaligen Direktorenvilla. Jahrelang hat sie ein angrenzendes großes Grundstück zwischen Friedrich-Heinrich-Allee und Bertastraße als Garten nutzen können, hat es gehegt und gepflegt. Es war nicht ihres, klar, aber es lag brach und es wurde geduldet. Knall auf Fall hieß es dann, so berichtet sie, das Grundstück sei zu räumen.
Es muss für einen Neubau vorbereitet werden. Pool weg, Treibhaus weg, Garage weg, und zwar flott. Da kommt jetzt ein Haus hin. Und das stößt nicht nur bei Rita Tölke auf wenig Gegenliebe. 37 Unterschriften gegen die Pläne haben Anwohner in der Beamtensiedlung gesammelt, nachdem klar war, dass hier am Ende des Wendehammers der Bertastraße in L-Form ein 11-Parteienhaus hin soll. Die Stadt habe allerdings bisher auf ihre Initiative aus dem Mai 2021 nicht reagiert, sagen die Anwohner.
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Dieter Engelbogen, der direkt neben dem geplanten Neubau wohnt, hat nicht lange gefackelt. Eine Klage beim Oberverwaltungsgericht ist anhängig. Er erwartet, so sagt er der NRZ, eine Entscheidung im Februar. Er stellt klar: „Wir sind nicht grundsätzlich dagegen, dass hier gebaut wird, aber das sollte sich schon einfügen.“ Von einer „Baulücke“, die hier – und im übrigen auch an der Ecke Friedrich-Heinrich-Allee/
Heinrichstraße mit einem 26-Parteien-Entwurf – geschlossen werden soll, wollen sie nicht reden. Der Architekt Robert Wetzels schon – auf der Homepage seines Büros bob-Architektur. Dort wird auch versichert: „Die Kubaturen der Neubauten orientieren sich an der Nachbarbebauung und fügen sich durch ihre Trauf- und Firsthöhen, ihre Dachneigungen sowie durch die imposanten Zwerggiebel ein, welche mit ihren enthaltenen Wintergärten ein gutes Stück Lebensqualität spenden.“
Den Bewohnern der Beamtensiedlung fehlt allerdings der Glaube, bei elf Parteien und einer Tiefgarage, dass sich das charmant ins Gesamtbild einfüge. Sie fragen sich, wie so etwas genehmigt werden konnte. Und sie verweisen auf die Gestaltungssatzung, an die sich alle zu halten hätten. Ein Anwohner klagt: „Wenn ich eine neue Haustüre einbauen will, muss ich mir das absegnen lassen.“ Auch Dieter Engelbogen hat seine Erfahrungen gemacht: „Ich wollte weiße Fensterrahmen haben, durfte ich nicht.“
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Bürgermeister Christoph Landscheidt sieht die Krux: „Wir stehen als Stadt zwischen dem Bauherren und den Anwohnern. Hätten wir die Baugenehmigung nicht erteilt, würde uns jetzt der Bauherr verklagen“, fürchtet er. Hintergrund, so erklärt der Bürgermeister: Es gebe keinen Bebauungsplan für die Grundstücke. Da bleibe nur der Paragraf 34 des Baugesetzbuchs, der regelt, wann wie innerhalb eines bestehenden Baugebiets gebaut werden darf. „Eine sehr schwierige Ermessensfrage“, sagt der Jurist Landscheidt. Die
neuen Vorhaben in der Beamtensiedlung nennt er in dem Zusammenhang „einen klassischen Konfliktfall“. Schließlich wolle der Bauherr (AIP Wohnen aus Moers) sein Grundstück ausnutzen. Im Zweifel müsse das eben gerichtlich entschieden werden. Allerdings seien die Pläne auch im Gestaltungsbeirat der Stadt abgestimmt worden.
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Die aufgewühlten Anwohner haben noch mal nachgerechnet: Während ansonsten, so sagen sie, in der Siedlung von einem Grundstück neun bis 11 Prozent bebaut werden, seien es beim Projekt „Berta“ 30 Prozent. Und zwar laut ihrer Erkenntnis jeweils an die klassische drei-Meter-Marke zum Nachbarn links und rechts heran. Auch das treibt Dieter Engelbogen die Sorgenfalten auf die Stirn: „Unsere Häuser sind 110 Jahre alt. Wenn die jetzt hier Tiefgaragen in den Boden rammen, was passiert dann? Da rennen wir doch den Schäden jahrelang hinterher.“
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Architekt Robert Wetzels möchte sich angesichts der Lage nicht gegenüber unserer Redaktion äußern, nur soviel: „Wir haben eine Baugenehmigung.“ Ansonsten verweist er auf den Bauherrn. Der war am Montag nicht für uns telefonisch erreichbar.
>>> INFO
bob-Architektur, das mit dem Slogan „Bauen ohne Bauchschmerzen“ wirbt, prägt mit mehreren Bauprojekten das neue Stadtbild in Kamp-Lintfort. Hinter dem Büro steht der gebürtige Niederrheiner Robert Wetzels. Diese Bauten wurden von bob-Architektur entworfen: Rewe-Markt in der Altsiedlung, das Mehrfamilienhaus an der Kamperdickstraße 16, das schwer zu bebauende Eckhaus Markgrafen-/Wilhelmstraße, das Einkaufszentrum EK 3, das Studentenwohnheim an der Ecke Ringstraße/Friedrichstraße, das C&A-Gebäude, Halle und Büros der Firma KMS, Umbau der Wilhelmschule für die Diakonie.
Wer die Entwürfe zu „Heinrich + Berta“ anschauen will: www.bob-architektur.de