Kleve/Moers. Am Landgericht Kleve wurde ein neues Urteil gegen den Hauptangeklagten im Moerser Raserprozess gesprochen. Die Strafe fällt deutlich milder aus.
Als die Kammer am Montagabend (7. Juni) um 19:39 Uhr ihr Urteil verkündete, jubelten die Angehörigen des Angeklagten im Gerichtssaal: Schuldig wegen der Teilnahme an einem illegalen Kraftfahrzeugrennen, nicht aber wegen Mordes, darauf erkannte die 5. große Strafkammer in der Neuauflage des Prozesses gegen einen 23 Jahre alten Moerser. Dafür verhängte das Gericht eine Freiheitsstrafe von vier Jahren – zwei davon hat der Angeklagte bereits in Untersuchungshaft abgesessen.
Der ebenfalls im Raum stehende Mordvorwurf – und damit eine lebenslange Freiheitsstrafe – hätte einen bedingten Vorsatz erfordert, so die Strafkammer unter Vorsitz von Richter Winfried van der Grinten. Den konnte das Gericht aber nicht erkennen. So blieb nur die Verurteilung wegen der Teilnahme an dem Rennen, bei dem eine 43 Jahre alte, unbeteiligte Frau ums Leben gekommen war.
43-Jährige starb auf der Bismarckstraße in Moers
Das letzte Wort vor der Urteilsverkündung hatte der Angeklagte H., 23 Jahre alt: „Ich möchte mich entschuldigen für meine Taten und für mein Verhalten.“ Dadurch sei eine unschuldige Mutter ums Leben gekommen. „Ich habe viele Fehler gemacht, und das bereue ich zutiefst. Ich hoffe, dass die Familie S. mir eines Tages verzeihen kann.“
H. hatte sich am Ostermontag 2019 abends zu einem Autorennen verabredet, das 5 Sekunden dauerte, und in dessen Verlauf er seinen geliehenen Mercedes S 63 AMG auf 167 km/h beschleunigte – auf der Bismarckstraße in Moers. Als eine 43 Jahre alte Frau mit ihrem Kleinwagen in die Bismarckstraße abbog, kam es zu einem Crash, bei dem sie so schwere Verletzungen erlitt, dass sie an deren Folgen verstarb.
Raserprozess Moers: BGH kassierte erstes Urteil
Die Justiz beschäftigt sich seit über einem Jahr mit dem Fall, in einem ersten Prozess im Februar des vergangenen Jahres erkannte das Landgericht Kleve auf Mord und verhängte gegen den Unfallfahrer eine lebenslange Freiheitsstrafe. Dieses Urteil kassierte der Bundesgerichtshof, sodass seit Anfang Juni eine andere Kammer des Klever Gerichts mit dem Fall beschäftigt war.
Vor dem Urteil ging es also darum, wie die Parteien im Lichte der Entscheidung aus Karlsruhe das Geschehen bewerteten. Rechtsanwältin Dr. Jenny Lederer, eine der beiden Rechtsbeistände des Angeklagten, argumentierte: „H. ist kein Mörder. Es liegt kein Tötungsvorsatz vor.“ Er habe immer darauf vertraut, dass das Geschehen gut ausgehe.
Der zweite Anwalt, Lars A. Brögeler, führte dann weiter aus, dass somit nur noch eine Verurteilung wegen der Teilnahme an einem illegalen Kraftfahrzeugrennen mit Todesfolge infrage komme. Und da glaubte er sogar Merkmale zu erkennen, dass es sich nur um einen minderschweren Fall dieses Delikts handele, schließlich habe H. keiner „Raserszene“ angehört. Somit hielt er eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten für angemessen.
Zweiter Angeklagter muss fast vier Jahre ins Gefängnis
Insgesamt fielen die Argumente der Verteidigung so aus, dass die Staatsanwalt nach den Plädoyers noch acht Korrekturen zu Protokoll gab. Auch das von Brögeler geforderte Strafmaß verwunderte. Der zweite Teilnehmer des illegalen Rennens, der nicht verunglückte, war im ersten Verfahren zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Dieses Urteil blieb unangefochten. Die Ausführungen von Rechtsanwalt Brögeler müssen den Hinterbliebenen des Opfers wie ein Schlag ins Gesicht erschienen sein. Sogar das abgebrühte Verhalten des Angeklagten unmittelbar nach dem Unfall war für den Strafverteidiger ein „normaler Fluchtreflex“.
Zur Erinnerung: Der damals 21 Jahre alte H. hatte sich unmittelbar nach dem Unfall, den er nahezu unverletzt überstand, in eine Teestube geflüchtet und dort die Kleidung gewechselt, um nicht erkannt zu werden. Der Mercedes wurde Minuten später als gestohlen gemeldet. Erst fünf Tage nach dem Crash stellte er sich der Polizei.
Raserprozess: Staatsanwalt forderte lebenslange Haftstrafe
Die Staatsanwaltschaft und auch Christian Stieg, der als Nebenkläger die Interessen der Hinterbliebenen vertrat, blieben hingegen bei ihrer Einschätzung, dass eine Verurteilung wegen Mordes gerechtfertigt sei. Die Kriterien für einen „bedingten Vorsatz“, wie dies juristisch genannt wird, seien erfüllt. Staatsanwalt Thorsten Althoff: „Wer in einem Wohngebiet mit 167 km/h auf der Gegenfahrbahn fährt, der nimmt das in Kauf.“
Stieg ergänzte, der 612 PS starke Sportwagen sei ein „gemeingefährliches Mittel“, das sich in den Händen eines Menschen befunden habe, dem es nicht einmal in vier Anläufen gelungen sei, die theoretische Fahrprüfung zu schaffen. Der Angeklagte hatte bekanntlich keinen Führerschein.
Im Gerichtssaal selbst waren viele Angehörige und Bekannte des Angeklagten. Seine Verteidigung wurde auch nicht müde zu betonen, wie wichtig die Familie für ihn sei. Wegen Corona habe der in der JVA Kleve einsitzende H. seine Angehörigen sieben Monate überhaupt nicht treffen können. Aktuell seien Kontakte nur via Skype möglich. Darauf erwiderte Rechtsanwalt Stieg, dass der Ehemann und die Kinder von S. ihre Frau bzw. ihre Mutter überhaupt nicht mehr sehen können.