Moers. Wie geht es weiter nach dem Lockdown? Was ist für die Schulen richtig? Lungenfacharzt und Spahn-Berater Thomas Voshaar aus Moers im Interview.
Dr. Thomas Voshaar vom Bethanien-Krankenhaus in Moers hat sich bei der Behandlung von Corona-Patienten mit seinem „Moerser Modell“ weltweit Achtung verschafft. Er gehört zum Beraterstab von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Im NRZ-Interview mit Matthias Alfringhaus spricht er über die aktuelle Corona-Lage und über die Ansteckungsgefahr in Bussen und Bahnen.
Wie schätzen Sie die Situation ein: Kann der neue Lockdown die Infektionszahlen bis Ende November spürbar senken?
Dr. Thomas Voshaar: Ich bin sicher, dass wir die Zahlen reduzieren können. Ob das im gleichen Ausmaß geschehen kann, wie im Frühjahr, da bin ich ehrlich gesagt nicht sicher. Es geht im Moment wirklich darum, jede Reduktion mitzunehmen und zu erreichen, die wir bekommen können. Das Wichtigste aber, und das wird entscheidend sein, ist, ob wir die Menschen erreichen können, auch im privaten Bereich, im persönlichen Bereich. Dazu kann es eigentlich nur helfen, immer wieder zu erklären, warum das so wichtig ist, aber den Leuten auch zu sagen, dass wir jetzt eine gewissen Gelassenheit und Ruhe brauchen.
Kommt im Winter eine dritte Welle, wenn die Maßnahmen im Dezember wieder gelockert werden?
Es ist unglaublich schwer, diese Dinge wirklich vorherzusagen. Meine Ansicht war, dass wir auch jetzt keine so bedeutsame zweite Welle bekommen würden, und ich habe mich getäuscht. Wenn wir bis dahin nicht eine stärkere Teilimmunität in der deutschen Bevölkerung haben, dann müssen wir damit rechnen, dass nach der nächsten Lockerung die Zahlen vielleicht wieder etwas ansteigen. Vielleicht können wir dann durch gut erträgliche Maßnahmen des fortgesetzten Schutzes mit Masken, und wenn alle gelernt haben, für längere Zeit grundsätzlich ein bisschen vorsichtig zu sein, einen weiteren Gipfel vermeiden.
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Befürchten Sie am Bethanien-Krankenhaus jetzt eine Überlastung durch stark steigenden Corona-Intensivfälle?
Wir waren im Frühjahr gut aufgestellt und sind es auch jetzt. Wir haben wirklich viel Erfahrung. Uns kommt zugute, dass wir praktisch nie Patienten intubieren. Diese Patienten liegen viel länger auf den Intensivstationen und blockieren damit auch Betten.
Der neue Lockdown trifft Hotels und Gastronomie besonders hart. Sind die Maßnahmen medizinisch gerechtfertigt?
Schwierige Frage. Man kann natürlich grundsätzlich sagen, Politiker sollten immer nur auf der Basis einer wissenschaftlichen Erkenntnis entscheiden. Jetzt muss man aber ganz klar sagen, dass wir uns als Experten auch keineswegs immer einig sind. Das heißt nichts anderes, als dass die Erkenntnisse noch nicht klar sind. Die Frage, ob jede einzelne Maßnahme wissenschaftlich gerechtfertigt ist, ist praktisch gar nicht zu beantworten. Politiker müssen aber trotzdem entscheiden. Es gibt natürlich einige Maßnahmen, die erscheinen mir und anderen im Moment nicht unbedingt gerechtfertigt. Die große Überschrift ist aber: Versuchen wir im Moment wirklich, alle unnötigen Kontakte zu reduzieren?
Zu den Schulen: Wäre eine Teilung von Klassen jetzt nicht besser, um auch dort das Infektionsrisiko zu reduzieren?
Es gibt keine einzige Schule als Cluster. Insofern bin ich erst einmal ganz bei der politischen Entscheidung, die Schulen offen zu lassen. Ich würde die Schulen weiterführen, auch wenn wir einen noch stärkeren Lockdown haben. Wenn man die Möglichkeit hat, die Gruppen noch kleiner zu machen, dann würde ich das machen, aber ich halte das nicht für eine zwingende Bedingung, damit die Schulen offen bleiben können.
Ist eine Maskenpflicht draußen, zum Beispiel in Fußgängerzonen, sinnvoll?
Klar müssen wir jetzt tun, was verfügt worden ist. Wissenschaftlich ist vollkommen klar: Sie brauchen draußen keine Maske, wenn Sie den Abstand wahren. Diesen Diskurs muss man auch weiterführen, selbst wenn es politisch gerade eine andere Anordnung gibt.
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Wie hoch ist das Infektionsrisiko in Bussen und Bahnen?
Ich glaube, dass das nach wie vor ein unterschätztes Risiko ist. Das ist ein enger Raum mit sehr vielen Menschen, und die Lüftungsmöglichkeiten sind noch schlecht. Aber auch das wird sich in den nächsten Monaten bessern. Wir werden in Taxis, Bussen und Bahnen ganz sicher neue Lüftungs- und Filtersysteme haben. Wer öffentliche Verkehrsmittel nutzt, MUSS eine wirksame Maske tragen.
Teilen Sie die Einschätzung von Professor Christian Drosten, dass im nächsten Sommer das Schlimmste überstanden ist?
Ein bisschen Optimismus ist immer gut. Es gibt schon Hinweise aus anderen Ländern, dass die Durchseuchung anders läuft als wir gedacht haben. Die Immunität schreitet schneller voran, als wir bisher gedacht haben, auch wenn es nur eine Teilimmunität ist. Zeit spielt eine wichtige Rolle, ich glaube schon, dass wir Monat für Monat mehr auf die sichere Seite kommen.