Kreis Wesel. Es ist schwieriger als gedacht, Geflüchtete im Kreis Wesel in Arbeit zu bringen. Auf die Ernüchterung folgen ein Umlernen und eine neue Strategie.
Zwei Jahre lang tobt der Krieg in der Ukraine bereits. Was ist inzwischen aus den Menschen geworden, die bei uns Sicherheit gesucht haben? 1409 Frauen und 705 Männer aus der Ukraine leben nach den Zahlen des Jobcenters aktuell im Kreis Wesel, hinzu kommen 900 Kinder bis 14 Jahre. Anfangs waren die Erwartungen, die meist hoch motivierten Menschen in den Arbeitsmarkt integrieren zu können, groß. Inzwischen hat sich Ernüchterung eingestellt, mit dem „Jobturbo“ geht das Jobcenter inzwischen neue Wege.
Der Großteil der geflüchteten ukrainischen Staatsbürger im Kreis Wesel, mehr als 80 Prozent, hat nach Zahlen des Jobcenters einen Schulabschluss, ein Drittel gar die Fach- oder Hochschulreife, 42 Prozent auch eine abgeschlossene Berufsausbildung. Dennoch sind von den 2114 erwachsenen Geflüchteten bislang lediglich 317 in Arbeit. Wie kommt es dazu?
Fehlende Sprachkenntnisse stehen der Einstellung im Weg
Eine Riesenhürde waren die fehlenden anerkannten Sprachkurse, sagt Michael Müller, Geschäftsführer des Jobcenters Kreis Wesel. Es gab deutlich zu wenig davon in der Region, in der Regel warteten die Menschen zehn Monate lang auf einen Platz. „Doch auch nach diesem Kurs benötigten die Geflüchteten immer noch Dolmetscher, konnten sich nicht auf Deutsch unterhalten.“ Ein weiterer Sprachkurs bis zum Level B1 war notwendig, um eine Arbeitsaufnahme zu ermöglichen. Alles in allem dauere eine Qualifizierung auf diesem Wege drei bis fünf Jahre. „Das will man jetzt nicht mehr“, so Müller. Bislang hatte man Qualifizierung vor Vermittlung gestellt, das wird jetzt anders. Der „Jobturbo“ soll ansetzen, offiziell vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales als „Turbo zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten“ bezeichnet.
Die Idee: Menschen erwerben Grundkenntnisse der deutschen Sprache und des Lebens hier, absolvieren einen Integrationskurs, den sie mit dem Level B 1, das heißt selbstständige Sprachanwendung, oder A2, das bedeutet elementare Kenntnisse, abschließen. Rund 100 Geflüchtete verlassen derzeit Monat für Monat die Integrationskurse im Kreis Wesel. Fachkräfte, die auch ohne gute Deutschkenntnisse arbeiten können, im IT-Bereich etwa, können dann bereits vermittelt werden.
Sprache lernt sich bei der Arbeit im Umgang mit Kollegen leichter
Auch vorübergehende Vermittlungen in Helfertätigkeiten könnten sinnvoll sein, so das Bundesministerium. Wer täglich im Job die neue Sprache anwendet, lernt sie besser als jemand, der lediglich im Kurs lernt. Wie das funktionieren kann, erläutert Michael Müller: Ärzte beispielsweise müssen ihre gesamten Dokumente übersetzen lassen, bevor die Bezirksregierung entscheidet, ob ihre Abschlüsse anerkannt werden. „Diese Zeit könnten sie beispielsweise in der Pflege arbeiten.“
Die weitere Sprachqualifizierung könnte berufsbegleitend absolviert werden. Im zweiten Schritt soll es darum gehen, den Einstieg in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu schaffen, in enger Zusammenarbeit mit dem Jobcenter. Das schließlich soll die Menschen so fördern, dass sie zu Fachkräften werden und sich ihre Berufstätigkeit stabilisiert.
Soviel zum Plan. Im Alltag stößt das Jobcenter aber auf Hindernisse. Trotz verschiedener Jobbörsen und weiterer Veranstaltungen, die Unternehmen und Arbeitssuchende in Kontakt brachten, habe das keinen Erfolg gebracht. „Es gibt doch Berufe auch ohne Kundenkontakt“, sagt Müller an die Adresse der Arbeitgeber. Als Hindernis erweise sich auch das aktuell schlechte Wirtschaftswachstum, es gebe eine generelle Einstellungszurückhaltung.
Alleinerziehende Frauen suchen eher Teilzeitarbeit
Die Sprache ist die größte Hürde auf dem Weg ins Arbeitsleben, aber nicht die einzige. 1409 Frauen aus der Ukraine sind in den Kreis Wesel geflohen, das sind 67 Prozent der erwachsenen Flüchtlinge. Viele von ihnen sind mit ihren Kindern hier. Was schon bei den Sprachkursen ein Problem war, es gab zu wenig Betreuungsangebote, setzt sich bei der Arbeitsaufnahme fort: „Viele der Mütter sind alleinerziehend, die Väter im Krieg“, sagt Müller. In einer solchen Situation eine Vollzeitstelle anzutreten, ist eher unrealistisch. In Zusammenarbeit mit dem Kreis Wesel funktioniere es aber in der Regel, Kita-Plätze bereitzustellen.
Ob der „Jobturbo“ für Geflüchtete aus der Ukraine zündet, das hängt letztlich von den Unternehmen ab. „Wir würden uns wünschen, dass mehr Arbeitgeber dazu bereit wären, einzustellen“, sagt Michael Müller.