Kreis Wesel. Das Land hat neun Regionen auf Innovationspotenziale geprüft. Wie der Kreis Wesel abschneidet und warum er hier nicht zum Niederrhein zählt.
Die Wirtschaft steht unter Druck. Am Freitag wurde in Berlin nun doch ein Wachstumschancenpaket beschlossen. Ob es tatsächlich durchkommt, ist noch nicht klar. Aber wie stehen die Chancen in den einzelnen Regionen? Ganz grundsätzlich? Ziemlich gut, wenn man das NRW-Wirtschaftsministerium fragt, das für insgesamt neun Regionen sogenannte Innovationsprofile hat erstellen lassen. „Die Innovationsprofile heben die regionalen Stärken und Chancen hervor und unterstützen die Regionen dabei, sich weiterzuentwickeln in Richtung einer leistungsstarken, digitaleren, nachhaltigeren und resilienteren Zukunft“, so Wirtschaftsministerin Mona Neubaur in einer Pressemitteilung.
Innovationsprofile: Darum zählt das Land den Kreis Wesel nicht zum Niederrhein
Das Kompetenzzentrum „NRW.innovativ“ und der Netzwerkverbund „regionen.NRW“ haben im Auftrag des Wirtschaftsministeriums auch die Niederrhein-Region beleuchtet. Sie bescheinigen ihr unter anderem eine positive Bevölkerungsentwicklung. Dazu eine breit aufgestellte Branchenstruktur mit vielen Kleinst-, Klein-, Mittelstands- und Familienunternehmen, eine bedeutende und stark wachsende Landwirtschaft, eine hohe Exportquote, intensive Außenhandelsbeziehungen sowie eine gute Forschungs- und Entwicklungs-Basisinfrastruktur mit den Hochschulen Rhein-Waal und Niederrhein, weiteren Forschungseinrichtungen und „zahlreiche Hidden und Innovation Champions“.
Alles in allem eine recht hoffnungsvolle Auswertung, mit einer Besonderheit: Der Kreis Wesel zählt nicht dazu.
In der Niederrhein-Region sind die Kreise Kleve, Viersen, Rhein-Kreis-Neuss sowie die beiden kreisfreien Städte Krefeld und Mönchengladbach zusammengefasst. Der Kreis Wesel findet sich indes in der Metropolregion Ruhr wieder. Geschuldet ist dies laut Ministerium vor allem der Mitgliedschaft des Kreises im Regionalverband Ruhr (RVR). Auch Landrat Ingo Brohl kann diese Zuweisung nachvollziehen: „Dass der Kreis Wesel dem Innovationsprofil Metropole Ruhr zugeordnet ist, liegt an der Mitgliedschaft im Regionalverband Ruhr als Regionalplanungsbehörde. Insofern gibt es bei der Herleitung eine gewisse Nachvollziehbarkeit und Konsistenz.“
Lesen Sie auch: Haushaltskrise: IHK Niederrhein sagt schwere Zeiten voraus
Inhaltlich und gemessen an den Schwerpunkten hätte er es aber „besser gefunden, wenn der Kreis Wesel der Region Niederrhein zugeordnet worden wäre“. Deutlicher Hinweis darauf sei beispielsweise die Nennung der Hochschule Rhein-Waal im Innovationsprofil Niederrhein oder auch die direkten Verflechtungen und Beteiligungen des Kreises Wesel in der Rheinschiene, so Brohl weiter. Als Beispiele nennt der die Beteiligung des Kreises an den beiden Gesellschaften Standort Niederrhein und Niederrhein Tourismus. „Ich bin weiterhin der Auffassung, dass unsere besondere Position als Niederrhein Kreis Wesel im Viereck zwischen Rheinland, Ruhrgebiet, den Niederlanden und dem Münsterland sehr viele Vorteile hat und uns eine gute Dynamik bringt.“
Im Vergleich mit den Kreisen und Städten der Niederrhein-Region hinkt die Dynamik des Kreises Wesel allerdings ein bisschen hinterher. Ob das Bruttoinlandsprodukt je Einwohnerin und Einwohner, der Anteil des Personals für Forschung und Entwicklung oder die generelle Gründungsintensität. Beinahe überall belegt der Kreis Wesel den letzten Platz. Auch bei der Gründungsintensität nach technologie- und wissensintensiven Branchen liegt der Kreis Wesel im Bereich High-Tech-Sektor, Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) und wissensintensive Dienstleistungen laut Wirtschaftsministerium hinter den Städten und Kreisen des Niederrheins.
Wirtschaft in Zahlen
Die Wirtschaftsregion Niederrhein weist insgesamt ein BIP je Einwohnerin/Einwohner von 34.897 Euro und liegt damit unterhalb des Landes (NRW: 38.756 Euro). Das BIP je Einwohnerin/Einwohner ist mit 40.619 Euro in der kreisfreien Stadt Krefeld am höchsten und im Kreis Kleve mit 29.617 Euro am niedrigsten. Das BIP je Einwohnerin/Einwohner liegt im Kreis Wesel mit 29.420 Euro leicht darunter. Im Rhein-Kreis Neuss beträgt der Anteil des Personals im Bereich Forschung und Entwicklung an der Gesamtbeschäftigung 1,18%, während er in NRW bei 0,91% liegt. Mit 0,72% liegt der Anteil des FuE-Personals im Kreis Wesel an der Gesamtbeschäftigung unter dem Landesschnitt. Bezüglich der Gründungsintensität, also der Anzahl der Gründungen je 10.000 Erwerbsfähige, liegt der Rhein-Kreis Neuss mit 33,2 vor dem Kreis Viersen mit 32,7 und Mönchengladbach mit 31,0.
Die Gründungsneigung im Kreis Wesel ist mit einer Gründungsintensität von 27,1 unterdurchschnittlich – sowohl gegenüber dem Land (30,8) als auch der Region Niederrhein (31,1). Bei der Gründungsintensität nach technologie- und wissensintensiven Branchen liegt der Kreis Wesel im Bereich High-Tech-Sektor, IKT-Sektor und wissensintensive Dienstleistungen hinter den Städten und Kreisen des Niederrheins. Die Patentintensität, gemessen an den Patentanmeldungen je 100.000 Erwerbsfähige, ist im Rhein-Kreis Neuss mit 152 deutlich höher als in NRW mit 98. Im Vergleich zu den Städten und Kreisen des Niederrheins ist die Patentintensität im Kreis Wesel mit 63 unterdurchschnittlich..
In der Kreativwirtschaft und der Zahl der Patentanmeldungen je 100.000 Erwerbsfähige gibt der Kreis Wesel das Schlusslicht an den Kreis Kleve ab. Einen Spitzenrang würde sich der Kreis Wesel unterdessen in der Fördermittelakquise sichern. Laut Ministerium habe der Kreis mit 128 Förderprojekten deutlich mehr nationale Förderprojekte eingeworben als die Spitzenreiter Krefeld und Rhein-Kreis-Neuss mit jeweils 98 Projekten.
In die Analyse sind laut NRW-Wirtschaftsministerium zahlreiche Daten aus verschiedenen Quellen eingeflossen, sowohl von staatlichen Stellen als auch aus privaten Quellen und Datenbanken. „Die Profile sollen die Regionen dabei unterstützen, sich zu vernetzen, Partnerschaften anzubahnen und Impulse für den innovationspolitischen Dialog zwischen Regionen und Landesregierung geben“, erklärt das Ministerium auf Nachfrage. Es sei eine Analyse des Status Quo zu regionsspezifischen Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken.
Zweimal im Jahr treffen sich die Regionen zu einem „interregionalen Erfahrungsaustausch“, moderiert von Ministerium und Kompetenzzentrum NRW.Innovativ. An diesen Treffen nimmt auch die Standort Niederrhein GmbH teil. Und Geschäftsführer Bertram Gaiser mahnt, die Zahlen differenziert zu betrachten. In vielen Fällen hinke die Statistik „ein, zwei Jahre hinterher“, so Gaiser, einige Zahlen stammten demnach aus der Corona-Zeit. Hinzu komme die Frage nach der tatsächlichen Vergleichbarkeit. Der Vergleich mit dem Rhein-Kreis-Neuss etwa, der seit Jahren zu den wirtschaftsstärksten Regionen Deutschlands zähle, sage wenig über die tatsächliche Schöpfungskraft der anderen Kreise aus, so Gaiser, der die Innovationsprofile atmende Systeme nennt, die bei der nächsten Überarbeitung im kommenden Jahr wieder anders aussehen könnten.