Kreis Wesel. Die SPD im Kreis Wesel hat sich bei einem Finanzgipfel ausgetauscht. SPD-Bürgermeister erläutern die aktuelle Situation und kritisieren den Kreis.
„Wir stehen vor einem Systemkollaps“, sagt Kamp-Lintforts Bürgermeister Christoph Landscheidt und findet damit deutliche Worte für die finanzielle Lage der Kommunen in NRW – und im Kreis Wesel. Kommunale Finanzplanung ist erstmal sperrig, dabei geht es aber um die Lebenswirklichkeit und den Alltag der Menschen vor Ort, etwa um Kinderbetreuung, Straßen, öffentliche Gebäude wie Schulen oder Schwimmbäder, kulturelles Leben. Um sich zur Situation in den Städten und Gemeinden des Kreises auszutauschen und um Lösungsansätze zu finden, hat die SPD-Kreistagsfraktion am vergangenen Freitag SPD-Mitglieder aus den kommunalen Räten sowie dem Kreistag zu einem internen Finanzgipfel nach Wesel geladen.
„In dieser Form habe ich das noch nicht erlebt“, beginnt Landscheidt seine Ausführungen zur finanziellen Misere, bedingt etwa durch Pandemie, Krieg, Inflation und Energiekrise. Landscheidt spricht an diesem Tag nicht nur als Bürgermeister aus Kamp-Lintfort, sondern auch als Präsident des Städte- und Gemeindebundes (StGB NRW). Er hat Zahlen für NRW mitgebracht: In den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres habe es keine Einnahmeprobleme gegeben. Nur stünden auf der Ausgabenseite 7,1 Milliarden Euro, davon 1,5 Milliarden Euro Sozialleistungen. „Das ist gigantisch.“ Es gehe um Probleme, die nur entlang einer Zeitschiene von zehn bis 15 Jahren gelöst werden könnten – wenn Bund und Land mitspielten. Doch eben hier sieht er aktuell keine Bewegung: Auf den parteiübergreifenden Brandbrief von 355 Bürgermeistern sei aus Düsseldorf keine Reaktion gekommen, „es gibt kein frisches Geld, das Land verweist immer auf den Bund.“ Kommunen seien daher gezwungen, die Grundsteuer B zu erhöhen, es gebe keine andere Einnahmequelle.
Zu kleinteilig: SPD-Bürgermeister üben Kritik an Struktur der Förderprogramme
Neben Landscheidt geben weitere SPD-Stadtoberhäupter einen Einblick: „Ich kann auf der Einnahmenseite tun, was ich will. Auf der anderen Seite geht es raus“, verweist Hamminkelns Bürgermeister Bernd Romanski auf Kreis- und Jugendamtsumlage. Er kritisiert, dass der Kreis deutlich mehr Geld für Personalstellen einplane. Seine Sorge: Dass der Kreis anfange, mit besseren Gehältern Kräfte abzuwerben, „über unsere Umlagen finanziert“. Genauso kritisch sieht er die Ausgleichsrücklage, die der Kreis gebildet habe. Die Stadt Hamminkeln plant, wie berichtet, die Grundsteuer B von 650 auf 1050 Prozent anzuheben. „Wir stehen in der kommunalen Familie am Ende der Nahrungskette. Aber bei uns leben die Menschen und fragen nach.“ Marode Straßen, keine sichere Kinderbetreuung bei mehr gefordertem Geld: Hier sehen Romanski und Landscheidt auch die Auswirkungen auf die Politikverdrossenheit. Die Stimmung im Land kann Romanski nachvollziehen, aber: Den Kopf in den Sand zu stecken, bringe überhaupt nichts, man müsse aufrecht stehen und erklären, dass man das mache, um gestalten zu können, betont er.
In 20 Jahren als Bürgermeisterin habe sie immer einen Haushalt im Dezember verabschieden können, nur nicht im vergangenen, schildert Ulrike Westkamp aus Wesel. Auch, weil es aus Düsseldorf hieß, man solle abwarten. „Um weiterzuarbeiten, mussten wir Steuern erhöhen und Gebühren festlegen“, sagt sie und schildert ebenfalls das Unverständnis der Menschen. „Dann müsst ihr sparen“, heiße es. Aber man spare schon, betont sie. Das meiste seien Pflichtaufgaben. Massive Kritik üben die Bürgermeisterin und ihre Kollegen an diesem Tag auch an der Struktur der Förderprogramme: zu kleinteilig, zu viel Bürokratie, das binde zu viel Personalkraft. Man brauche einen entsprechenden Topf und solle vor Ort selbst entscheiden können, was damit passiert, so Westkamp.
Finanzen: Lange Liste mit Forderungen an Kreis, Bund und Land
Dirk Haarmann aus Voerde rechnet am Beispiel der Kita-Betreuung vor. Seit 2017 habe sich der Fehlbedarf an dieser Stelle verdoppelt. Bekanntlich haben die Träger der Kindertageseinrichtungen ebenfalls ihre finanzielle Not betont – und verweisen auch stets darauf, dass sie für die Kommunen eine gesetzliche Pflichtaufgabe erfüllen. Wenn die Träger aufgeben, müsse die Stadt die Kita übernehmen, so Haarmann. Die Landesregierung hat zwar die Kibiz-Sätze erhöht, aber bis das ankommt, dauert es. Und von den 100 Millionen Euro Überbrückungshilfe profitieren die kommunalen Kindertageseinrichtungen nicht. „In meinen Augen ist das ein Skandal“, so Haarman. Durch Umlagen werde man aufgezehrt, dringende Investitionen könnten nicht weiter aufgeschoben werden. „Unter den Rahmenbedingungen ist kein strukturell ausgeglichener Haushalt möglich“, fasst er zusammen. Auch die Kosten für Aslysuchende spielten eine Rolle, sie seien aber nur ein Problem von vielen, beileibe nicht das Hauptproblem, dennoch die Trumpfkarte für Rechts.
Eine Liste mit konkreten Forderungen, die Dirk Haarmann am Ende seines Vortrags präsentiert, ist lang – sie adressiert Bund, Land und Kreis. Unter anderem geht es um die Altschuldenlösung, die Verstetigung von Programmen wie Gute Schule oder die Investitionspauschale statt der Förderanträge. Vom Kreis werde etwa die Abkehr von der massiven Personalsausweitung gefordert, ebenso eine Senkung der ÖPNV-Umlage. Angesprochen sind damit auch die Mitglieder der SPD-Kreistagsfraktion: Peter Paic, der als Vorsitzender zum Gipfel geladen hat, betont die Bedeutung des Austauschs an diesem Tage, man sehe sich bestätigt, Aufgabe sei es nun, den Finger in die Wunde zu legen.