Kreis Wesel. Mehr als ein Drittel der Menschen im Kreis Wesel hat „Rücken“. Ein Experte erläutert die komplexe Krankheit, nennt Risikofaktoren und gibt Tipps.

Mehr als jeder Dritte – genauer 35,1 Prozent – der Kreis Weseler hatte im Jahr 2021 Rückenschmerzen. Das geht aus aktuellen Daten zu Muskel-Skelett-Erkrankungen hervor, welche die AOK NordWest veröffentlicht hat. Der Kreis liegt damit leicht über dem NRW-Schnitt mit 33,1 Prozent. Der Kreis Wesel ist bekannterweise ehemalige Bergbauregion, möglicherweise seien die Folgen der schweren Arbeit unter Tage ein Grund dafür, dass hier im Schnitt mehr Menschen betroffen seien, sagt Dottore Nikolaos Kampas, seit Oktober neuer Chefarzt der Klinik für Konservative Orthopädie und Schmerztherapie am St. Bernhard-Hospital in Kamp-Lintfort. Nicht ohne Grund gilt die Erkrankung als Volksleiden: „80 Prozent der Gesamtbevölkerung hat einmal im Leben Rückenschmerzen, 14 Prozent der AU-Tage entfallen darauf“, weiß der Mediziner, der in Italien studiert hat und seit 2010 in Deutschland praktiziert.

Und er vermutet, dass die Zahlen inzwischen noch mal gestiegen sein könnten. Der Grund? Die Pandemie, viele Menschen arbeiten nun im Homeoffice, sind inaktiv. „Bewegung ist das A und O“, sagt der Chefarzt wenig überraschend. Bei Rückenschmerzen können Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule betroffen sein, „die Schmerzen können aber auch in Arme oder Beine ausstrahlen.“ (Bsp Bandscheibe ) Neben Bewegungsmangel und sitzender Tätigkeit seien Übergewicht, Fehlhaltungen, schwache Rücken- sowie Bauchmuskulatur, Stress sowie genetische Faktoren, beispielsweise angeborene Fehlbildungen wie eine Verkrümmung der Wirbelsäule oder Skoliose weitere Risikofaktoren.

Experte aus Kamp-Lintfort: Inaktivität führt nur zu noch mehr Problemen

Es handele sich um eine komplexe Erkrankung, betont Kampas. Er erläutert das anhand eines Beispiels: Es beginne mit starken Schmerzen, der Patient – Arbeitnehmer oder Selbstständiger – könne nicht arbeiten gehen. Das genaue Problem sei so schnell nicht herauszufinden, auf einen Termin beim Facharzt müsse man schon mal warten. Der Patient bleibe zuhause, lege sich hin, dabei führe die Inaktivität nur zu mehr Problemen. Studien zeigten, dass Patienten trotz Schmerzen aktiv bleiben sollten. Druck und Belastung aufgrund der andauernden Erkrankung und Arbeitsunfähigkeit kommen hinzu, ein Teufelskreis.

Dottore Nikolaos-Xantos Kampas, ist Chefarzt der Orthopädischen Klinik im St. Bernhard-Hospital in Kamp-Lintfort.
Dottore Nikolaos-Xantos Kampas, ist Chefarzt der Orthopädischen Klinik im St. Bernhard-Hospital in Kamp-Lintfort. © NRZ | Bettina Engel-Albustin | Fotoagentur Ruhr moers

Denn Kampas macht den Unterschied zwischen akuten und chronischen Rückenschmerzen deutlich: Je nach Schwere könnten Schmerzmittel oder physiotherapeutische Übungen erst mal Abhilfe schaffen. „Chronische Schmerzen dauern mehr als sechs Monate an“, erläutert Kampas. Neben organischen Ursachen, beispielsweise einer Blockade oder einem Bandscheibenvorfall, können auch psychische Belastung, Konflikte oder Stress, oder soziale Faktoren, wie Einsamkeit eine Rolle spielen. Er betont die alarmierenden Symptome neben den Schmerzen: Taubheitsgefühl, kribbelnde Beine oder Arme, Kraftverlust in Fuß oder Hand, Probleme beim Blase entleeren, Wasserhalten- oder -lassen, genauso Fieber und Schüttelfrost, „das ist eine Notfallsituation, in der man sofort ins Krankenhaus sollte.“ Wenn auch viele Menschen an Rückenschmerzen erkrankten, dieser Verlauf sei nicht so häufig, ordnet Kampas ein.

Rückenschmerzen verhindern: Ausbalancierte Haltung, Sport und Bewegung

Alle Altersgruppen seien betroffen, aber: „Je älter desto mehr Verschleiß gibt es“, erläutert Kampas. Frauen erkrankten mitunter etwas häufiger. Der Mediziner nenntdie hormonelle Umstellung nach der Menopause, dann steige das Risiko, an Osteoporose zu erkranken. Wie man präventiv vorbeugen kann? „Calciumreiche Ernährung sowie Vitamin D, wenn Letzteres nicht ausreichend durch die Sonne aufgenommen werden könne, gebe es Substitutionen. Außerdem verweist der Arzt auf Messverfahren zur Knochenqualität. Und natürlich auch hier zu nennen: die Bewegung.

Wie lässt sind ansonsten vorsorgen und welche Tipps gibt der Experte? Kampas nennt hier natürlich den Sport – Schwimmen, Laufen/Joggen sowie die Verstärkung von Bauch- und Rückenmuskulatur, den Gang ins Fitnessstudio etwa. Außerdem empfiehlt Kampas eine gesunde Ernährung, eine aufgerichtete und ausbalancierte Haltung bei der Arbeit, um die Belastung der Wirbelsäule zu minimieren. Schweres Heben sei möglichst zu vermeiden, wenn das nicht möglich ist, sei auf die Haltung zu achten, Informationen gebe es bei Spezialisten. Als weitere Hilfsmittel nennt der Chefarzt aus Kamp-Lintfort ergonomische Schreibtische und Stühle, um zwischenzeitlich aufzustehen, „nicht acht Stunden zu sitzen“. Aber nicht nur wenig Bewegung, auch schwere Arbeit birgt ein Risiko: Wenn möglich sollte übermäßiger Kraftaufwand reduziert werden, genauso übermäßige Vibrationen, wie sie beispielsweise auf Baustellen vorkommen. Es gebe beispielsweise auch ergonomische Werkzeuge.

Dottore Kampas wird am Mittwoch, 24. Januar, um 17 Uhr in der Aula des St. Bernhard-Hospitals einen Vortrag zu den Erkrankungen der Wirbelsäule halten. Wer daran teilnehmen möchte, kann sich unter 02842/708132 anmelden.