Kreis Wesel. Mutproben gehen über Video-Apps wie Tiktok viral – und sie bergen Gefahren. Was Experten aus der Jugendarbeit im Kreis Wesel berichten und raten.
Mit der „ALS Ice Bucket Challenge“ hat es 2014 angefangen – der Hintergrund damals noch ein guter Zweck: Die Online-Aktion, bei der sich Menschen vor laufender Kamera kaltes Wasser über den Kopf schütteten, sollte auf eine Nervenkrankheit aufmerksam machen. Daraus entwickelt hat sich allerdings ein äußerst gefährlicher Trend in sozialen Netzwerken.
So sollen die Todesfälle einer 17-Jährigen und eines 15-Jährigen aus Deutschland mit einer Challenge in Verbindung stehen, bei der Deo auf die Haut gesprüht oder eingeatmet wird. Auch die sogenannte „Hot Chip“-Challenge führt immer wieder zu Rettungseinsätzen, in den USA ist ein Kind gestorben.
Solch extreme Fälle sind Mark Bochnig-Mathieu vom Kinder- und Jugendbüro der Stadt Moers oder Markus Krieft, Leiter der Außenstelle vom Jugendzentrum Karo in Wesel-Schepersfeld, glücklicherweise nicht bekannt. Dass Kinder und Jugendliche aber auch hier über diese Challenges reden und das ausprobieren, da sind sich die Experten einig.
Wer kann die meisten Sit-Ups machen, wer möglichst lange in der Unterarmstütze bleiben? Ursprünglich seien diese Herausforderungen auch im Fitnessbereich populär geworden, damals noch eher für Erwachsene, erinnert sich Bochnig-Mathieu. Dann wandelte sich das, Plattformen wie Snapchat und Tiktok kamen ins Spiel: „Jugendliche suchen sich eigene Räume.“ Vor zwei bis drei Jahre sei das Phänomen mit gefährdenden Inhalten vermehrt aufgekommen.
Challenges wie Mutproben: „Alters- und entwicklungsgerechtes Verhalten“
Grenzen austesten, sich beweisen: Grundsätzlich funktionierten diese Challenges wie Mutprobe und seien so betrachtet „alters- und entwicklungsgerechtes Verhalten“. Problematisch wird das, wenn gesundheitsgefährdende Handlungen ins Spiel kommen. Den Verzehr von Spülmaschinen-Tabs oder das Würgen bis zur Bewusstlosigkeiten, die sogenannte Blackout-Challenge, nennt Bochnig-Mathieu hier etwa ergänzend. Man könne den jungen Menschen keinen Vorwurf machen, sie könnten die Konsequenzen noch nicht absehen.
Und natürlich spielen auch die Plattformen eine Rolle, genauso diejenigen, welche zu Challenges aufrufen und Reichweite erlangen wollen, für junge Menschen sind sie mitunter Vorbilder. Inhalte könnten gemeldet werden, aber man habe keinen Einfluss darauf, wie schnell reagiert werde, so Bochnig-Mathieu. Markus Krieft aus Wesel sieht die Video-App Tiktok auch wegen Falschinformationen als äußerst problematisch an. Er verweist darauf, dass die EU-Kommission soziale Medien, unter anderem Tiktok, zuletzt etwa wegen der Verbreitung von Falschinformation im Zusammenhang mit dem Hamas-Angriff auf Israel verwarnt habe. Bei den vergangenen Landtagswahlen sei die AfD auf Tiktok sehr aktiv gewesen, führt er ebenfalls an.
Sich informieren und im Austausch bleiben: Experten geben Tipps
Aufklärung und Prävention ist also gefragt, um junge Menschen zu schützen. Was können Eltern nun tun? „Es bleibt dabei, mit Kindern in Kontakt zu bleiben, sich in ihre Lebenswelt hineinzuversetzen“, sagt Bochnig-Mathieu. Bei Kindern bis zehn Jahre empfiehlt er, den Medienkonsum sehr genau zu überwachen und ihnen über die Schulter zu schauen, ein eigenes Smartphone erst ab der weiterführenden Schule zu erlauben. Denn das Thema werde in dem Moment relevant, sobald Jugendliche ein eigenes Endgerät haben und sich Apps herunterladen.
Zwar ließen sich Stores sperren, das kann aber auch kontraproduktiv sein. Mit Teenagern sollte man am besten vorher besprechen, wie sie das Smartphone nutzen, regelmäßig nachfragen, was sie konsumieren, sich das genau zeigen lassen. Wenn Eltern mitbekommen, dass etwas Problematisches verbreitet werde, sei auch die Schule zu informieren. Denn Bochnig-Mathieu sieht diese ebenso in der Pflicht, Aufklärung zu leisten. Eine Idee: die Challenges in etwas Positives verwandeln.
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Die Mitarbeitenden aus der Kinder- und Jugendarbeit wissen, wie schnelllebig die sozialen Netzwerke sind, auch sie müssen sich immer wieder informieren, um auf dem aktuellen Stand zu sein. Gleiches gilt für die Eltern, die ebenfalls in der Pflicht sind, Bescheid zu wissen: „Man muss dran bleiben“, sagt Markus Krieft. Natürlich sei das lange Gespräch schwieriger, als einfach ein Verbot auszusprechen, aber „mit Aufklärung kommt man relativ weit“.
Krieft empfiehlt, sich zum Beispiel auf der Internetseite Klicksafe zu informieren, eine EU-Initiative, die über digitale Themen informiert, es gehe unter anderem auch um die AGB. Zudem sind dort Anlaufstellen zu finden, die Nummer gegen Kummer zum Beispiel. Genauso nennt Krieft das Format Funk der öffentlich-rechtlichen Sender mit Faktenchecks und jugendgerechten Erklärungen. Die Experten sind sich einig: Der erhobene Zeigefinger bringt nichts, genau und gemeinsam hinschauen schon. Die Kinder und Jugendlichen seien die Experten, „lassen Sie sich das erklären und blicken dann mit der Elternperspektive darauf“, so Bochnig-Mathieu.