An Rhein und Ruhr. Fälle von Lachgas-Missbrauch in NRW sind um das Dreifache gestiegen. Außerdem sorgen die sozialen Medien für gefährliche Trends bei der Jugend.
Vor einem Kiosk in der Kölner Innenstadt stehen mehrere Jugendliche und befüllen Ballons mit Lachgas, das sie anschließend inhalieren. Sie torkeln für einen kurzen Moment und haben Gleichgewichtsprobleme, wie in einem Beitrag von „Stern TV“ zu sehen ist. „Ich muss einmal k. o. gehen, voll geil“, sagt ein Mitglied der Gruppe. „Das ist richtig giftig, es ist aber keine Droge oder so“, meint ein anderer.
Ein berauschendes Gefühl für einige Sekunden
Das berauschte Gefühl halte nur eine halbe Minute an, und eine Flasche koste 25 Euro, somit sei der Konsum ein teurer Spaß, meint einer der Jugendlichen. Die Ausführungen der jungen Leute deuten schon an, dass Lachgas nicht ungefährlich ist, doch auch, dass sie die Gefahr unterschätzen.
Die erfassten Fälle von Lachgas-Missbrauch sind innerhalb eines Jahres von 68 im Jahr 2021 auf 215 im vergangenen Jahr um das Dreifache gestiegen. Martha Wagner von der Fachstelle für Suchtprävention der Drogenstelle Köln sieht unter anderem die sozialen Medien in der Verantwortung: „Auf Plattformen wie TikTok erleben wir, dass Konsum und Rauscherlebnisse gezeigt werden. Dann ist natürlich die Neugierde da, Risiken einzugehen, um Sachen auszuprobieren und Spaß zu haben.“
Polizei: Der Konsum ist keine Straftat
In Deutschland sei der Konsum von Lachgas zwar kein Straftatbestand, werde jedoch bei der Aufnahme von anderen Straftaten, zum Beispiel im Straßenverkehr oder bei Körperverletzungsdelikten, von der Polizei vermerkt, erklärt eine Sprecherin des Landeskriminalamts NRW. „Nichtsdestotrotz müssen wir uns dieser Entwicklung gewahr werden, und wir sehen das mit Besorgnis.“
Andere europäische Länder haben auf den Hype um Lachgas bereits reagiert: In den Niederlanden wird Lachgas seit Jahresbeginn als Betäubungsmittel eingestuft und darf nur noch für technische oder medizinische Zwecke eingesetzt werden. In Großbritannien wird über ein Verkaufsverbot diskutiert. In Deutschland ist Lachgas in Kiosken, Supermärkten oder online (noch) legal erhältlich.
Lachgas wird nur noch in wenigen Krankenhäusern verwendet
Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts soll ein Zahnarzt die schmerzlindernde Wirkung von Lachgas entdeckt haben. Heutzutage arbeiten in Deutschland aber nur noch wenige Krankenhäuser mit dem Stoff, erklärt der Anästhesist Christian Hermanns. Vor allem in der Zahnmedizin findet es nach Angaben der Bundeszahnärztekammer noch Anwendung – um ängstliche Patienten zu beruhigen. In der Gynäkologie wird es in manchen Kreißsälen bei der Geburt zur Schmerzreduktion angeboten.
Lachgas nutzen aber auch manche, um sich einen kleinen Kick zu holen. „Wird Lachgas als Schnüffelstoff eingeatmet, tritt nach wenigen Sekunden ein Rausch ein, bei dem schwache Halluzinationen, Wärme- und Glücksgefühle empfunden werden“, heißt es bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA).
Schäden bei häufigem Einatmen sind möglich
Ungefährlich ist Lachgas nicht: Bei häufigem Einatmen könnten die inneren Organe und das Nervensystem Schaden nehmen, warnt die BzgA. Um die Intensität der Inhalation und damit die Wirkung zu steigern, ziehen sich manche Konsumenten eine Plastiktüte über den Kopf. Sie können bewusstlos werden und ersticken.
„Am Anfang ist Lachgas nicht so gefährlich, aber wenn man es öfter nimmt, bis hin zu einem chronischen Gebrauch, kann es zu Vitamin-B-12-Mangel (der im schlimmsten Fall zu Lähmungen führt) kommen. Dazu kann Lachgas eine ,fette’ psychische Abhängigkeit hervorrufen“, warnt Axel Gerschlauer, Facharzt für Kinder-und Jugendmedizin sowie Pressesprecher des Landesverbandes Nordrhein der Kinder-und Jugendärzt*innen.
Eine Gefahr für die medizinische Versorgung stellt der erhöhte Konsum nicht da: „Da gibt es keinen Engpass, da das Gas nicht aus dem medizinischen Bereich abgezweigt wird, sondern aus dem industriellen Bereich kommt“, sagt ein Sprecher des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte.
Gefährliche „Wettbewerbe“ auf den sozialen Medien
Unverständlicherweise macht eine Gefahr für Gesundheit und Leben für viele Kinder und Jugendliche den Reiz bei „Social Media Challenges“ aus. Vor einigen Jahren fing es mit der „Ice Bucket Challenge“ vergleichsweise harmlos an, als sich Millionen von Menschen – auf Videos festgehalten – von Eiswasser übergießen ließen. Mittlerweile gibt es aber zum Beispiel die Deo-Challenge, bei der Unmengen von Deo in einen geschlossenen Raum gesprüht und inhaliert werden. Medien berichteten darüber, dass der 15-jährige Elias aus Olfen im Münsterland bei dieser Challenge ums Leben kam.
Ein weiterer Trend der vergangenen Wochen ist die „Hot Chip Challenge“, bei der extrem scharfe Chips gegessen werden, die gerade bei Kindern und Jugendlichen für gesundheitliche Probleme sorgen können. Erst in der vorvergangenen Woche mussten an einer Dortmunder Schule ein 14- und ein 16-Jähriger nach einer solchen Challenge medizinisch behandelt werden.
Social-Media-Experte Hendrik Unger, der eine Werbeagentur in Köln leitet, spricht von einem „deutlich höheren Wahrnehmungsradius. Früher hat es auch schon Mutproben gegeben, aber die wurden nicht aufgezeichnet, von Tausenden Leuten gesehen und eventuell sogar nachgemacht.“ Er sehe eine Verletzung der Vorbildfunktion bei den Leuten, die eine große Reichweite haben. „Mit einer großen Reichweite kommt eine große Verantwortung, den Followern spannende Sachen zu zeigen, aber sie eben nicht zu verleiten, sich in Gefahr zu begeben.“ Er finde die Rolle der Absender, „die so etwas online stellen, ganz schwierig.“
Experte sieht Mischform aus „Langeweile und Unwissenheit“
Was die Jugendlichen antreibt, sei eine „Mischform aus Langeweile und Unwissenheit. Außerdem können die Leute, die sich selber dabei filmen, Social-Media-Punkte in Form von Likes und Kommentaren ernten und die eigene Beliebtheit im Kreis der Follower gewinnen. Das treibt an“, erklärt Unger. Die User könnten aber auch selber dazu beitragen, dass die Challenges nicht nachgemacht werden, zum Beispiel durch Gegen-Kommentare oder Aufklärung.
„Letztendlich muss jeder Konsument für sich selber wissen, welche Challenges man macht oder nicht oder was man glaubt oder nicht.“ Bei Kindern und Jugendlichen sollten aber auch die Eltern zumindest ein Stück weit ein Auge drauf haben, was der Nachwuchs im Internet macht. „Es gibt die Möglichkeit, sich weltweit zu vernetzen, was positiv sein kann, aber das kann auch in eine negative Richtung gehen, und man kann sich, gerade als Jugendlicher, schnell verleiten lassen“, gibt Unger zu bedenken.
„Das Problem ist die fehlende Differenzierung, was gesundheitliche Schäden hervorrufen kann. Social Media ist so wahnsinnig schnell, da kommen wir mit der Aufklärung nicht hinterher. Bis wir angefangen haben, eine Kampagne zu planen, sind wir schon bei der nächsten Challenge“, räumt Kinderarzt Axel Gerschlauer ein.
Innenministerium warnt vor den Gefahren
„Man muss sich darüber Gedanken machen, dass man bei diesen Challenges lebensgefährliche bis hin zu tödlichen Verletzungen erleiden kann. Da kann man nur appellieren, sich nicht an solchen Challenges zu beteiligen“, betont ein Sprecher des NRW-Innenministeriums und führt weiter aus: „Es ist ein schwieriges Thema, weil sich diese Challenges auch immer wieder ändern und immer wieder neue Ideen aufploppen, aber man muss sich bewusst machen, was am Ende das Resultat sein kann.“