Kreis Wesel. Die Wohlfahrtsverbände im Kreis Wesel stehen unter Druck, das kommt auch in der Pflege und den Schulen an. Die Fakten und ihre Folgen.
Für Wohlfahrtsverbände wird die Luft aktuell dünner. Das bekommen auch die Bewohner ihrer stationären Pflege und beispielsweise Familien, die den Offenen Ganztag der Schulen nutzen, zu spüren. Brunhild Demmer, Vorstandsvorsitzende des Caritasverbandes Moers-Xanten und Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Wohlfahrtsverbände Kreis Wesel, zählt Faktoren und Folgen auf: Neben den Kosten für Energie steigen die für Dienstleistungen aktuell rasant. Wäscherei, Putzfirmen, Caterer fürs Schulmittagessen, Fahrdienstunternehmen – die Liste ist lang. „Alle haben ihre Preise erhöht“, sagt Demmer, „das müssen wir weitergeben“.
Pflegesatz und Eigenanteil in den Pflegeeinrichtungen werden steigen
Die Verbände selbst seien nicht in der Lage, die Kostensteigerungen abzufedern. Beispiel Altenpflege: Wegen der Kostensteigerungen verhandeln die Verbände mit den Pflegekassen. Aber auch der Eigenanteil der Bewohner wird sich absehbar erhöhen. „Wir haben in NRW derzeit mit 2600 bis 2700 Euro im Monat die höchsten Eigenanteile“, erläutert Bernd Riekemann vom Awo-Vorstand Kreisverband Wesel und fragt kritisch: „Wer kann das bezahlen?“ Unterm Strich nur diejenigen, die es haben. Kann es sich jemand nicht leisten, springt die Kommune ein – auf sie und damit die Steuerzahler kommt eine Kostenlawine im Rahmen der „Hilfe zur Pflege“ zu, „irgendjemand muss die Rechnung bezahlen“, sagt Brunhild Demmer.
Weiteres, großes Problem sind die Personalkosten. Mit Sorge betrachten die Verbände, dass die Gewerkschaft Verdi aktuell für den Öffentlichen Dienst 10,5 Prozent Lohnaufschlag fordert. Die Wohlfahrtsverbände seien in der Regel an diesen Tarif gekoppelt, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung. Sie freue sich, wenn die Mitarbeiter gut entlohnt werden, sagt Demmer, aber „in der Kopplung sind all diese Dinge gewaltig“. Wie real der Druck auf die Wohlfahrtsverbände ist, zeigt ein Beispiel aus Ostwestfalen-Lippe: Dort hat die Awo auf Sparkurs umgestellt, schließt das Frauenschutzzentrum Minden und ein Berufskolleg in Bielefeld. Begründung ist neben den Kostensteigerungen ein weiteres, dickes Problem: Fachkräftemangel.
Fachkräftemangel bedroht stationäre Einrichtungen und ambulante Dienste
Bernd Riekemann sieht tatsächlich auch hier auf Dauer Einrichtungen als gefährdet an. Fachpersonal fehle, und zwar in der stationären und in der ambulanten Pflege. „Wir müssen Menschen ablehnen“, sagt er. Seniorenheime können nicht alle Plätze belegen. In der Pflege sei es überhaupt kein Problem, neue Kunden zu bekommen – leider fehlen die qualifizierten Menschen, die sie betreuen können. „Das ist im ambulanten Bereich schon seit Jahren so. Die Altenheime sind nur deshalb so voll, weil geeignete ambulante Angebote fehlen.“ Die hiesige Awo versucht gegenzusteuern, setzt auf Ausbildung. Rund 90 Azubis gibt es aktuell im Bereich Senioreneinrichtungen und Kitas. Doch auch dieser Ansatz stößt auf Grenzen: Der Awo-Kreisverband Wesel wollte eine eigene Pflegefachschule auf die Beine stellen und hatte bereits alles in trockenen Tüchern. Leider fehlte das Fachpersonal, um den Nachwuchs zu qualifizieren, „wir haben keine entsprechende Lehrkraft mit Master-Abschluss gefunden“, so Riekemann. Das Projekt ist gescheitert.
Wohlfahrtsverbände im Kreis Wesel navigieren auf Sichtweite
Brunhild Demmer verdeutlicht das Problem, das sich noch verschärfen werde: Auf der einen Seite erreichen die geburtenstarken Jahrgänge das Rentenalter, auf der anderen die eher schwachen Jahrgänge das Alter für die Ausbildung. „Dieses Delta wird uns begleiten“, so Demmer. Ideen, mehr Geld zu zahlen und Pflegeberufe attraktiver zu machen, könnten das Dilemma nicht lösen, „es erhöht die Zahl der jungen Menschen nicht. Und wir konkurrieren mit allen anderen Branchen“. Zudem sei die Pflege mit Schichtdienst verbunden, „Menschen sind nicht nur von Montag bis Freitag bedürftig.“
Lösungen sind derzeit nicht in Sicht. Die Verbände navigieren auf Sichtweite, sie und ihre Kooperationspartner seien aber wach. Die Finanzierung der Arbeit müsse gelingen, „sonst müssten sich in einem zweiten Schritt die Anforderungen ändern“, sagt Demmer, das würde Abstriche bei der Qualität bedeuten. Aber so weit sei man noch nicht.