Kreis Wesel. Noch nie ist den vergangenen rund 90 Jahren so wenig Regen im Kreis Wesel gefallen wie in diesem Jahr. Wasserwirtschaftsverbände ziehen Bilanz.
Der zeitweise fallende Regen täuscht nicht darüber hinweg: Es ist viel zu trocken. Die Böden sind knochenhart und die Wasserstände so niedrig, dass Bäche entgegen ihrer Natur austrocknen. Die im Kreis Wesel zuständigen Wasserwirtschaftsverbände Lineg und Emschergenossenschaft/Lippeverband nennen die vergangenen drei Monate einen trockenen Sommer historischen Ausmaßes.
Moers-Repelen: Hier steht die älteste Messstation der Linksniederrheinischen Entwässerungsgenossenschaft (Lineg). Seit 1911 liefert sie Daten zu den Niederschlagsmengen. Und was sie im vergangenen August gemessen hat, klingt ziemlich dramatisch. Gerade einmal fünf Millimeter Regen sind dort im vergangenen Monat niedergegangen. Für das gesamte 620 Quadratkilometer große Verbandsgebiet hat die Lineg 6,5 Millimeter gemessen. Zum Vergleich: Der Mittelwert für den Monat August aus den vergangenen 30 Jahren liegt im Lineg-Gebiet bei rund 81 Millimetern.
Trockenheit im Kreis Wesel: Lineg und Lippeverband sind warnen vor Wetterextremen
Lediglich drei Regentage habe es im August gegeben, sagt Lineg-Sprecher Ingo Plaschke bei der Präsentation der Sommerbilanz. Und dass es für das gesamte Jahr nicht wirklich besser wird, erklärt Lineg-Mitarbeiterin Antje Bröcking-Prangenberg. So könne der jährliche Mittelwert von 783 Millimeter bis zum Ende des Wasserwirtschaftsjahres Ende Oktober nicht erreicht werden. Stand jetzt liege man bei 442. Um an den Durchschnittswert zu kommen, hätte man bereits über 600 liegen müssen.
Die extreme Trockenheit setze die Gewässer unter Stress, sagt die Geschäftsleiterin für den Bereich Wasserwirtschaft, Gesa Amstutz. 600 Kilometer Gewässer liegen im Lineg-Gebiet, und viele Bereiche, so Amstutz, seien trocken gefallen. Darunter auch solche, die normalerweise ganzjährig Wasser führen, wie etwa der Plankendicks Kendel in Neukirchen-Vluyn oder der Landwehrbach.
Gleichzeitig müsse man mit den Starkregen-Ereignissen umgehen. „Die Extreme nehmen zu - in beide Richtungen“, so Amstutz. Extreme Trockenheit, extremer Regen, darauf müsse man sich einstellen, sowohl bei den Gewässern als auch bei Retentionsflächen. Im Lineg-Gebiet gibt es zum Beispiel extra angelegte Versickerungsflächen. Wasser, das woanders abgepumpt werde, könne dort versickern, erklärt Geschäftsleiterin Amstutz, die fordert, dass bei der Klimafolgenanpassung alle mit anpacken müssen. Zum Beispiel arbeite man im Wasserverbund Niederrhein und gemeinsam mit dem Landwirtschaftsverband an einer zukunftsfähigen Lösung, auch bezüglich der Wasserentnahmen.
Darüber hinaus arbeitet die Lineg an der Entwicklung einer Art künstlicher Intelligenz, um die Wasserpumpen vorausschauend arbeiten zu lassen. „Digitale Gewässerbewirtschaftung“ heißt das Projekt, mit dem sich die Lineg um eine Förderung des Bundesumweltministeriums bewirbt. Der Antrag sei bereits gestellt, sagt Gesa Amstutz.
Auch bei Emschergenossenschaft und Lippeverband arbeitet man mit verschiedenen Projekten am Hochwasserschutz. Wasserrückhaltemöglichkeiten und weitläufige Auelandschaften seien ebenso wichtig wie die Versorgung trockener Böden, um mit dem Regenwasser umgehen zu können, sagt Pressesprecher Ilias Abawi. Zum Beispiel dürfe der Regen nicht über versiegelte Flächen ins Abwasser abfließen, sondern müsse aufs offene Feld geleitet werden, sagt Abawi.
Pegelstände und Sauerstoffgehalt bei Emscher und Lippe sind am Limit
Bei Emscher und Lippe sinkt der Grundwasserspiegel ebenfalls und fallen Gewässer trocken. Flora und Fauna werden einem Stresstest unterzogen. Ilias Abawi nennt als Beispiel etwa den Rotbach in Dinslaken. Für Emscher und Lippe gibt er Entwarnung, wenn auch vorsichtig. Beide Flüsse führten noch Wasser und würden ständig mit gesäubertem Wasser aus den Kläranlagen versorgt, „aber die Pegelstände und der Sauerstoffgehalt sind am unteren Limit“.
Bei der alten Emschermündung in den Rhein zum Beispiel zeige sich ein Bild, „das wir zehn Jahre nicht mehr gesehen haben“, so Abawi mit Blick auf die trockengelaufenen Uferränder. Das Wasser sei dort so niedrig, dass es nicht mehr durch die Mündung fließen könne.
In allen drei Sommermonaten erreichte der gefallene Regen im Gebiet des Lippeverbandes bislang nicht gekannte Tiefstwerte. Im Juni zum Beispiel fielen 41 Millimeter Regen, der langjährige Mittelwert liegt für diesen Zeitraum laut Lippeverband bei etwa 71. Im Juli fiel der Wert von 81 auf 36 Millimeter. Doch vor allem der vergangene August lässt in der Essener Zentrale die Alarmglocken schrillen: 17 Millimeter Regen fielen in dieser Zeit im Verbandsgebiet, normal wären 76 Millimeter gewesen. Abawi spricht vom trockensten Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen vor 91 Jahren.
„Irgendwann müssen unsere Regentänze Wirkung zeigen“, sagt Ilias Abawi. Allerdings könne kommender Regen die vergangenen Monate kaum kompensieren. Entweder sei er zu wenig oder es komme zu Starkregen-Ereignissen. „Die Böden sind aber momentan so hart, dass das Wasser gar nicht versickern kann“, so Abawi. Die Folge: Überflutungsgefahr.
Der Boden müsse zunächst wieder seine Schwammfunktion entwickeln, dafür brauche man leichten, aber lange anhaltenden Regen, so Abawi weiter. „Ein schöner Landregen wäre toll“, sagt auch Gesa Amstutz. Doch der ist leider nicht in Sicht.