Kreis Kleve. Zwiespalt im Kreis Kleve: Gibt Corona die Chance, Gruppenunterkünfte zu überprüfen? Oder geht das Recht auf Wohnen vor? Weiter Kritik am Landrat.
Gespalten ist die Stimmung unter den Bürgermeistern darüber, dass Landrat Wolfgang Spreen Gruppenunterkünfte von Leiharbeitern in den grenznahen Kommunen nicht generell überprüfen will. „Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gäbe es für das Kreisgesundheitsbehörde jetzt die Möglichkeit,“ die Räume zu betreten, hygienische und gleichzeitig baurechtliche Gegebenheiten zu überprüfen. „Aber der Landrat tut es nicht. Das ist bedauerlich“, sagt der Kranenburger Bürgermeister Günther Steins.
Wie berichtet, sieht Spreen keine Zuständigkeit, weil nicht bewiesen sei, welche in Deutschland wohnenden Arbeitsmigranten in den Niederlanden Schlachttiere zerlegen. Nur auf sie beziehe sich aber der Erlass des Landesarbeitsministerium vom 13. Mai.
Kranenburgs Bürgermeister: Egal, ob Leiharbeiter in Fleisch- oder Bauindustrie arbeiten
Für Kranenburgs Bürgermeister Steins ist es egal, ob die Leiharbeiter in der Fleisch- oder der Bauindustrie oder dem Gemüseanbau tätig sind. Sie wohnen jedenfalls mit mehreren Personen auf engem Raum in Kranenburg. „Dass hier auf deutscher Seite prekäre Wohnverhältnisse herrschen, weiß der Landrat, weiß das Gesundheitsamt“, beklagt Steins. Mehrfach habe er in der Vergangenheit vergeblich um Überprüfung etwa der Alten Schule in Mehr auf hygienische und brandschutzrechtlich Defizite gebeten (bei kleinen Gemeinden ist dafür der Kreis zuständig, bei Städten die Kommune selbst).
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Alle Gemeinden kooperieren zurzeit mit den niederländischen Zeitarbeitsfirmen (Uitzendburos), bekommen von dort Daten, wohin Arbeitnehmer vermittelt werden. Das melden sie dem Kreis.
Tatsächlich kann eine kommunale Ordnungsbehörde „nicht aufs Geratewohl einfach Wohnungen betreten“, weiß Timo Güdden von der Gemeinde Bedburg-Hau, in der nur wenige Leiharbeiter wohnen. „Der Gesetzgeber gibt uns keine Handhabe“, aber das Gesundheitsamt könne jetzt in der pandemischen Lage nach Infektionsschutzgesetz Zutritt erhalten. Die Kommunen leisten dazu „gerne die Vorarbeit“, so Güdden.
Ebenso ist Kleves Bürgermeisterin Sonja Northing „dem Landrat gern behilflich“. „Ich halte einen Zuständigkeitsstreit nicht für zielführend. Wenn ich dazu beitragen kann, die Lebensumstände der Arbeiter zu verbessern, tue ich das.“
Klever Bürgermeisterin: Unterkünfte betreten ist ein Eingriff in die Grundrechte
Eine generelle Kontrolle aller Unterkünfte sei „ein Eingriff in die Grundrechte“. Sie hofft auf Folgen einer Telefonkonferenz mit Heimat- und Bauministerin Ina Scharrenbach, dass Gruppenunterkünfte gesetzlich als „Beherbergungsbetriebe“ eingestuft werden, dann müsste den Kommunen eine Belegungsliste gemeldet werden. Bisher müssen sich Leiharbeiter drei Monate lang nicht registrieren.
Die Stadt Goch versteht den Landrat so, dass es um Arbeitsmigranten in Gemeinschaftsunterkünften in Deutschland gehe, „die in den Niederlanden nicht nur, aber überwiegend in der fleischverarbeitenden Industrie tätig sind. Insofern gibt es da keinen Dissens.“ Brandschutzrechtliche und baurechtliche Gegebenheiten habe die Stadt Goch selbst mehrfach überprüft, dem Landrat Belegungszahlen genannt und um hygienerechtliche Kontrolle gebeten. Wegen eng verzahnter Zuständigkeit von Kreis und städtischer Ordnungsbehörde sei es „unerlässlich, in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe die anstehenden Problematiken einheitlich zu lösen“.
Emmericher Bürgermeister: Was der Kreis macht, kann ich nicht nachvollziehen
Genau die vermisst Günther Steins in Kranenburg: „Wir Bürgermeister würden uns wünschen, das es gute Zusammenarbeit wie unter uns auch auf Kreisebene gäbe“.
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Emmerichs Bürgermeister Peter Hinze, der mit seinem Brief an Arbeitsminister Josef Laumann eine bundesweite Beachtung des Themas erwirkte, weiß, dass Menschen aus den 40 Emmericher Leiharbeiterwohnungen zu 90 bis 99 Prozent in niederländischen Schlachtbetrieben arbeiten. Doch „ob unter 20 Arbeitern aus der Fleischindustrie sich auch zwei Spargelstecher befinden, ist doch gar nicht entscheidend“, so Hinze. Es gehe um die Situation in den Unterkünften selbst. „Was der Kreis im Moment macht, kann ich nicht nachvollziehen.“
Der Kreis Kleve antwortet der NRZ auf Anfrage, dass man bei einem konkreten Covid19-Fall eine Unterkunft unabhängig von der Branche kontrollieren werde. Auf die Frage der NRZ, ob Interesse bestehe, Gruppenunterkünfte der Arbeitsmigranten zu überprüfen, unabhängig davon, wo sie arbeiten, antwortet die Kreissprecherin: Es gehe nicht um „Interesse“, „sondern um die Gesetzmäßigkeit öffentlichen Verwaltungshandelns.“ Die Wohnung sei unverletzlich.
Landrat: Ein konkreter Verdacht ist erst mal nötig
„Ein allgemeines Betretungsrecht für das Gesundheitsamt – ‘schnüffeln’ – gibt es nicht.“ Vielmehr müsse es einen belegten Corona-Verdacht für eine konkrete Person geben. „In diesem Zusammenhang ist der Erlass des MAGS vom 13. Mai 2020 zu sehen, der darum bittet, sicherzustellen, dass in geeigneter Weise Unterkünfte von Personen überprüft werden“, so der Landrat. Es müsse feststehen, „dass die Unterkunft von einer Person bewohnt wird, die in der niederländischen Fleischindustrie arbeitet“. Und: „Die Untere Gesundheitsbehörde ist für den Bereich der Seuchenabwehr zuständig, nicht für die Beurteilung der Qualität von Wohn- und Arbeitsverhältnissen.“
Nebenan hat der Kreis Borken übrigens Leiharbeiterwohnungen überprüft, in Isselburg waren von 81 Corona-Tests sieben positiv.
Das schreibt das Ministerium für Arbeit,Gesundheit und Soziales NRW
Laut Staatssekretär im Gesundheitsministerium NRW „hat das zuständige Gesundheitsamt die erforderlichen Ermittlungen anzustellen“. Bisher mussten alle Tätigen in NRW-Schlachtbetrieben „unverzüglich“ auf SARS-CoV-2 getestet werden. Das gelte nun auch für hier wohnende Leiharbeiter in der gleichen NL-Branche.
Getestet werde „nach Ermessen der Gesundheitsämter“ und ihrer „eigenen seuchenhygienischen Gefährdungsbeurteilung“. Der Staatssekretär empfiehlt „bei der Begehung der Unterkünfte die Arbeitsschutzbehörden und „dringend die unteren Bauaufsichtsbehörden oder Wohnungsaufsicht zu beteiligen