Kleve/Emmerich. Gericht: Madiea G. (27) wollte mehr als 50 Kilo Drogen einschmuggeln. Sie sagt: Ich dachte, es seien Dopingmittel. Der Verteidiger will Revision.
Um 13.52 Uhr endete die Karriere der niederländischen Top-Sprinterin Madiea G. vor dem Landgericht Kleve. Die zweite Strafkammer des Landgerichts unter Vorsitz von Richter Jürgen Ruby verurteilte die 27-Jährige zu einer Haftstraße von achteinhalb Jahren. Damit ging die Kammer sogar um ein Jahr über das von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafmaß hinaus. „Und die Staatsanwaltschaft Kleve ist nicht für ihre Milde bekannt“, so Verteidiger Norman Werner.
Er kündigte an, gegen das Urteil in Revision zu gehen. Madiea G. brach nach der kaum zehnminütigen Urteilsbegründung in Tränen aus. Die drahtige junge Frau im dunklen Blazer mit dem Pferdeschwanz lässt ihr Gesicht auf die Anklagebank sinken, um ihre Gefühle zu verbergen. Kaum vier Stunden hatte das Strafverfahren gedauert, dass das Ende einer hoffnungsvollen Sportlerkarriere bedeutet. Sie begann in Bijlmermeer, einem Amsterdamer Problemstadtteil.
Zollfahnder halten die Sportlerin am Grenzübergang Elten an
Dort wurde Madiea mit 13 Jahren entdeckt und gefördert, gehörte schon bald zur niederländischen Leichtathletikmannschaft. Und auch die familiäre Bindung hält bis heute: Nach dem Urteil dürfen die Eltern und die sechs Jahre jüngere Schwester der aus der pakistanischen Region Belutschistan stammenden Familie noch einige ungestörte Minuten um Gerichtssaal verbringen.
Seit dem 18. Juni 2019 haben sie einander nicht mehr in die Arme nehmen können. An diesem Tag morgens um 9 Uhr stehen Zollfahnder am Grenzübergang Elten-Autobahn. Was Zollsekretär van Kevelaer an diesem Dienstag um 9 Uhr dazu bewegt, den Toyota Yaris des Niederländischen Olympischen Sportbundes herauszupicken, bleibt im Dunkeln. Doch er setzt sich mit seinem Streifenwagen vor das Leasingfahrzeug, gibt Haltesignale, eine Kollegin im zweiten Fahrzeug folgt.
Van Kevelaer schildert vor Gericht, wie er die junge Dame auf dem Parkplatz „Hohe Heide“ bittet, den Kofferraum zu öffnen. Was in den Kartons sei, wird sie gefragt. „Sportschuhe“ antwortet die Sprinterin. Van Kevelaer geht zum Dienstfahrzeug, um ein Messer zu holen und die Kartons aufzuschneiden. Währenddessen beichtet Madiea: „Es sind keine Sportschuhe.“ Von Dopingmitteln allerdings erwähnt sie auch nichts.
„War in einem Leistungstief und hatte beschlossen zu dopen.“
Denn das ist am Montag vor dem Klever Landgericht die überraschende Geschichte der Sportlerin, die sich vorher nicht geäußert hat. Ihr Anwalt verliest zu Beginn des Verfahrens eine persönliche Erklärung: Sie sei verzweifelt gewesen, habe sich in einem Leistungstief befunden und beschlossen, zu dopen. In einem Café in Amsterdam sei sie an zwielichtige Gestalten geraten. Der Deal: Sie bringt Dopingmittel nach Deutschland, bekommt dafür die Substanzen für den Eigenbedarf deutlich günstiger. Damit macht sie sich auf den Weg nach Düsseldorf, Training für die Leichtathletik WM im September. Doch statt Doha gibt es Dinslaken: Madiea kommt in U-Haft.
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So gibt der Anwalt die Aussage der Olympionikin von Rio 2016 wieder, wo sie in der 4x400-Meter-Staffel der Niederlande antrat. Mehr will die junge Frau nicht sagen. Keine Angabe zu Kontaktleuten, Hintermännern, die es in der Leichtathlektik- und Radsportszene geben soll.Später wird Richter Rudy, ein eher gemütlich wirkender älterer Herr, der in der Verhandlungspause schon mal versonnen in den Innenhof der Klever Schwanenburg schaut, wo das Landgericht untergebracht ist, diese Aussage als „in sich heraus unglaubwürdig“ einordnen.
Tausende MDMA-Pillen: Ecstasy mit Markennamen wie „Red Bull“ oder „Punisher“
Kein Dealer packe einfach so 50 Kilo Drogen im Straßenverkaufswert von 1,5 Millionen Euro in den Kofferraum einer nicht eingeweihten Kurierfahrerin. Die könne ja nachsehen und dann vor Schreck die Ware wegwerfen – oder gar zur Polizei fahren. Und dass man in Deutschland gefahrloser dopen könne, wie Madiea erklärt, sei auch fragwürdig. „Die Kontrollen finden in dem Land statt, wo man zum Wettbewerb antritt“, so Richter Ruby.
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Wenn die Dopinggeschichte denn eine Strategie der Verteidigung war, so ist sie in diesem Moment gescheitert: Bei Doping wäre Madiea G wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz verurteilt worden, drei bis vier Jahre wäre dann das Strafmaß gewesen, so ihr Verteidiger. So aber wird sie verurteilt, weil die Gutachter am Ende der Untersuchung mehr als ein Zentner MDMA im Kofferraum finden. Ecstasy, eine eher „leichte bis mittlere Droge“, so der Richter, in Pulver- und in Pillenform, in rosa, orange und blau, wo sie dann „Red Bull“, „Tesla“ oder „Punisher“ heißen, zu Tausenden.
Hoffnungsvolle Sportlerkarriere bis zum 18. Juni
Dazu noch zwei Kilo Crystal Meth und ebenfalls mehrere Kilo des Narkosemittel Ketamin, das allerdings nicht unter die Drogengesetzgebung fällt, sondern tatsächlich „nur“ ein Arzneimittel ist. Diesen Verstoß lässt das Gericht außer Acht: Bei dem fast tausendfachen einer so genannten „nicht geringen Menge“, die Madiea G. geschmuggelt hat, liegt das Strafmaß zwischen zwei und 15 Jahren.
Mildernd berücksichtigt das Gericht, dass Madiea G bislang unbescholten ist, weder in den Niederlanden noch in Deutschland auffällig wurde und bis zu jenem Dienstag im Juni eine hoffnungsvolle Sportlerkarriere hingelegt hatte.