Kleve. . Im Prozess um zwei Männer, die 2014 einen Bekannten in einem Klever Lidl-Markt erstochen hatten, kamen nun die psychologischen Gutachter zu Wort.
Was ging schief im Leben von Adil und Mekin O.? Wer einen Blick auf den Lebenslauf der beiden jesidischen Brüder wirft, stellt fest, dass die 32- und 23-jährigen Männer mitnichten dem Klischee von migrantischen Parallelgesellschaften entsprechen. Beide gelten als mustergültig integriert und sind beruflich erfolgreich. Adil O. legt gar einen großen beruflichen Ehrgeiz an den Tag und wäre beinahe zum Filialleiter eines in Geldern ansässigen Baumarktes aufgestiegen. Stets tritt er vermittelnd und kommunikativ auf – schon als kleiner Junge spricht er hervorragend Deutsch und fungiert für seine Eltern öfters als Dolmetscher, für sie ist er die Schnitt stelle zwischen Familie und Außenwelt.
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Und fragt man Mekin O. nach seiner Einstellung zu traditionellen Normen und Werten in seinem Kulturkreis, so antwortet er im Gespräch mit einem Psychologen knapp: „Ich hatte nie Bock auf diese Kultur.“
Fall wird nach Revision eines Nebenklägers neu aufgerollt
Und doch haben die Männer am Nachmittag des 31. März 2014 eine Bluttat begangen, die weit über den Kreis Kleve hinaus für Entsetzen sorgte. Um den versuchten Mord an einem anderen Bruder Familie zu rächen, hatten die beiden dem 43-jährigen Mann beim Einkaufen in einem Supermarkt in Materborn aufgelauert. Es kam zum hitzigen Wortgefecht, an dessen Ende die Brüder ihren Widersacher schließlich mit 44 Messerstichen töteten. So starb der Mann irgendwo zwischen Supermarktregalen, umgeben von Flaschen und Konservendosen.
Bei dem Opfer handelte es sich um den geschiedenen Ex-Mann einer Schwester der Angeklagten, mit dem die Familie bereits sein Jahren im Clinch lag. Nachdem die 4. Strafkammer des Landgerichts Kleve die beiden bereits im Dezember 2014 wegen einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt hatte, wird der Fall auf die Revision eines Nebenklägers hin aktuell neu aufgerollt.
Angeklagte berufen sich auf Gedächtnislücken
Haben die Brüder die Tat im Affekt begangen? Wussten sie zu jeder Zeit, was sie taten, oder waren sie von einer alles beherrschenden Angst vor dem ewigen Kontrahenten getrieben, wie sie selbst behaupten. Diese Fragen ging das Schwurgericht unter Vorsitz von Richter Gerhard van Gemmeren mithilfe der beiden psychologischen Gutachter Dr. Jack Kreutz vom LVR-Klinikum und Professor Pedro Faustmann von der Ruhr-Universität Bochum nach. „Gerade Fragen nach einer angeblichen Amnesie sind forensisch schwer zu klären, da dies von Angeklagten auch häufig als Schutzbehauptung vorgeschoben wird“, machte Jack Kreutz deutlich. Denn beide Angeklagten berufen sich auf Gedächtnislücken – mit den ersten Messerstichen wollen sie sich an nichts mehr erinnern können. Die „Steuerungsfähigkeit“ der Angeklagten, wie der psychiatrische Fachbegriff lautet, sei aber laut Kreutz ausreichend vorhanden gewesen.
Nach Darstellung der Brüder schwebte eine subtile Bedrohung durch das spätere Mordopfer nach dessen Entlassung aus dem Gefängnis fortwährend wie ein Damoklesschwert über ihrer Familie. Einer der Angeklagten verglich seinen vormaligen Schwager gar mit der Filmfigur „Michael Myers“, ein unberechenbarer, stets maskierter Serienmörder aus der Horrorfilmreihe „Halloween“. Denn nicht nur, dass der 43-Jährige es beinahe geschafft hätte, jenen Bruder der Angeklagten zu töten, der als das stärkste Familienmitglied galt – auch ihre geliebte Schwester soll er immer wieder geschlagen und nach der Scheidung weiter drangsaliert haben.
Angebliche Aussprache eskalierte plötzlich
Kam ein Familienmitglied aus dem verfeindeten Clan in den Baumarkt, bat Adil O. seine Kollegen, den Kunden zu bedienen. Aus reiner Angst habe er einen kleinen Waffenschein gemacht und sich mit Messer und Gaspistole bewaffnet, um der omnipräsenten Gefahr begegnen zu können. Angeblich habe man mit dem späteren Opfer nur reden wollen, um den Konflikt aus der Welt zu schaffen, was dieses mit unflätigsten Beleidigungen quittierte.
Die Plädoyers von Verteidigung und Staatsanwaltschaft werden für den 13. Juni erwartet.