Essen. Der RWTÜV in Essen geht die Suche nach Talenten strategischer an. Er ist ein Beispiel dafür, wie sich Unternehmen heute anstrengen müssen.

In den frühen Jahren des Rheinisch Westfälischen TÜV (RWTÜV) in Essen ging es erst um die Sicherheit von Dampfkesseln und später dann auch um die von Autos. Heute, über 150 Jahre später, sind seine Aufgaben nicht weniger anspruchsvoll: Unter anderem kümmert sich der RWTÜV um Themen wie Sicherheit in der IT und in der Energieversorgung.

Etwas hat sich in all den Jahren nicht verändert: Für seine Aufgaben braucht er hochqualifiziertes Personal. Und das zu finden, wird immer schwieriger. Denn der Konzern angelt vor allem in den Berufsfeldern, die auf dem Arbeitsmarkt bereits als ziemlich leergefischt gelten: Elektrotechnik, Maschinenbau, Bauingenieurswesen, Informatik.

RWTÜV Essen bündelt Knowhow aus über 100 Tochterunternehmen weltweit

Thomas Biedermann ist seit vier Jahren Geschäftsführer. Er hat dem Konzernverbund RWTÜV GmbH eine Personal-Strategie verpasst. Die Struktur des RWTÜV macht dies jedoch zu einer Herausforderung. Denn im Grunde ist dieser „nur“ eine Managementholding, hat selbst kein operatives Geschäft. Die Holding sitzt mit zwölf Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in der Kronprinzenstraße 30 in Essen. Ihr gehören jedoch nicht weniger als 106 Tochterunternehmen mit zusammen 2400 Beschäftigten weltweit. Auch am TÜV Nord, der in Essen im Stadtteil Frillendorf sitzt, ist die Gruppe im Übrigen mit beteiligt. Die TÜV-Töchter sind in den Zukunftsbereichen Energie und Umwelt, Telekommunikation und Versicherungsservices tätig.

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In der Regel sind das kleine bis mittelständische Unternehmen, die mit einer strategischen, groß angelegten Personalpolitik ihre Probleme hätten, was für Firmen dieser Größe nichts Ungewöhnliches ist. Deshalb springt ihnen das Mutterunternehmen nun verstärkt bei, um ihnen auch in der Zukunft die dringend notwendigen Fachkräfte zu sichern.

TÜV-Gruppe will 500 Beschäftigte in den nächsten Jahren einstellen

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Für Thomas Biedermann, den früheren Personalvorstand beim TÜV Rheinland, ist das kein Selbstzweck. Die RWTÜV-Gruppe will in den nächsten Jahren weiter kräftig wachsen. Dafür braucht sie kluge Köpfe. „Wir skalieren über die Mitarbeitenden, die den Umsatz erbringen“, so der Chef. Heißt: mehr Mitarbeiter, mehr Umsatz. Schon heute sind rund 100 Stellen in den Unternehmen unbesetzt. Bis 2030 soll die Gruppe um weitere, etwa 500 Beschäftigte wachsen.

Wie hart jedoch der Kampf um die geeigneten Fachkräfte ist, erfährt Biedermann quasi täglich. Nicht nur Leute von den Hochschulen zu gewinnen, sei „ein Riesenkampf“. Auch die Konkurrenz versucht, fleißig abzuwerben. „Wir müssen deshalb ein Top-Arbeitgeber werden“, sagt Biedermann selbstbewusst. Sein Ziel dabei: sich von anderen abzuheben, sich attraktiv machen. „Da bin ich Überzeugungstäter.“

Die RWTÜV GmbH sitzt in der Kronprinzenstraße 30 in Essen. Sie kümmert sich von hier aus um mehr als 100 Tochterunternehmen weltweit.
Die RWTÜV GmbH sitzt in der Kronprinzenstraße 30 in Essen. Sie kümmert sich von hier aus um mehr als 100 Tochterunternehmen weltweit. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Der RWTÜV hat sich deshalb ein ganzes Bündel an Maßnahmen überlegt und umgesetzt. So lobt er mittlerweile einmal im Jahr in der Belegschaft einen Innovationspreis aus. Vergangenes Jahr lautete das Thema: Was können wir tun, um noch mehr Frauen fürs Unternehmen zu gewinnen? Eine Jury kürt die besten Ideen. Dafür gibt’s 4000, 3000 und 2000 Euro netto. Das nächste Thema wird sich mit dem Einsatz künstlicher Intelligenz beschäftigten.

Nicht nur, dass das Unternehmen damit die Schwarmintelligenz seiner Beschäftigten für das eigene Fortkommen nutzt. Aus Sicht von Biedermann zahlt das auch auf die Bindung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein. „Für mich ist das Wertschätzung und Teilhabe.“

RWTÜV: Für jeden Mitarbeiter gibt es monatlich 50 Euro obendrauf

Als „Zückerchen“ bietet der RWTÜV die Givve-Card an. Jedem Beschäftigten werden monatlich 50 Euro steuerfrei auf die Karte zur freien Verfügung geladen. Das summiert sich immerhin auf 600 Euro im Jahr. Das Jobrad, ein vom Unternehmen bezahltes Fahrradleasing, gibt’s nicht nur für Mitarbeiter, sondern auch für deren Partner.

Außerdem wirbt das Unternehmen mit flexiblen Arbeitszeiten und der Möglichkeit zum Homeoffice in den Bereichen, in denen das möglich ist. Wie viele Unternehmenslenker schaut auch Biedermann zweigeteilt auf die Arbeit von zu Hause aus. „Für das soziale Gefüge ist Präsenz wichtig. Aber auch, um einmal Gedanken spinnen zu lassen und für den sozialen Austausch.“ Würde man den Beschäftigten aber die Möglichkeit zum Homeoffice wieder nehmen, „dann wären viele frustriert“. Es gelte daher, die Balance zu finden. Bis zu drei Tage in der Woche können die Beschäftigten am heimischen Schreibtisch arbeiten.

Auch bei der direkten Personalsuche ist der RWTÜV als Marke in den sozialen Medien LinkedIn und Instagram unterwegs. Und seit etwa einem halben Jahr auch bei TikTok, wo sich vorwiegend ein junges Publikum tummelt. Mit einer augenzwinkernden Kampagne habe man dort „eine unglaubliche Reichweite“ von 250.000 Menschen erreicht. „Wichtig war, zu zeigen: Wir sind nicht der steife TÜV. Wir können auch lustig und anders“, meint Biedermann. In nächster Zeit will der RWTÜV verstärkt auch in Schulen gehen, um den Schülern zu zeigen, „was wir machen“. Denn unter den Berufsbildern könnten sich viele nichts vorstellen.

Auch an den Hochschulen ist die Gruppe unterwegs, stiftet Partnerschaften und gibt jährlich Stipendien unter anderem an Studierende der Uni Duisburg-Essen. Künftige Fachkräfte erhofft sich das Unternehmen ebenso von der Eurobits Women Academy, kurz Ewa. Der RWTÜV hat dort 200.000 Euro investiert. Bei Ewa sollen Frauen zu IT-Sicherheitsexpertinnen umgeschult werden.

RWTÜV-Chef verlangt aber auch Leistung

Das alles zeigt, wie enorm der Aufwand und die Herausforderung heute sind, um Talente zu gewinnen. Aber wie schaut Biedermann eigentlich auf die aktuelle Generation Z? Zu ihr zählen laut Definition Menschen, die zwischen 1995 und 2010 geboren wurden. Die „Gen Z“ legt im Vergleich zu vorherigen Generationen deutlich mehr Wert auf Work-Life-Balance und sucht sich gezielt Arbeitgeber aus, die flexiblere Arbeitszeitmodelle anbieten. Bei allen Unkenrufen, die der Generation zuteilwerden: Biedermann setzt dennoch auf deren Leistungswillen: „Wir wollen die Leute haben, die bei uns wachsen wollen und auch bereit sind, dafür die Extrameile zu gehen.“

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