Essen. Vor der Marktkirche hat die Polizei eine Überwachungs-Anlage aufgebaut. Sie steht dort vier Wochen. Die Atmosphäre ist trostlos.
An der Porschekanzel, mitten im Zentrum der Essener Innenstadt, gibt es seit dieser Woche eine neue Video-Überwachungsanlage der Polizei. Die „mobile Videobeobachtung“, so der offizielle Name, ist auf einen Polizei-Anhänger aufgebaut, der von Bauzäunen abgesichert wird, direkt auf dem weitläufigen Gelände der Porschekanzel, zwischen Kettwiger Straße und Kennedyplatz, zwischen dem Zugang zur Rathaus Galerie und direkt vor der Marktkirche und dem grünlich schimmernden Krupp-Denkmal.
„Ist mir gar nicht aufgefallen“, sagt ein Mann Anfang 50, der sich auf den Stufen vor der Marktkirche niedergelassen hat mit einer Portion Currywurst-Pommes. „Ich bin nicht von hier, ich bin vom Niederrhein.“ Er habe geschäftlich in Essen zu tun, und grundsätzlich sei er gegen Videokameras im öffentlichen Raum, „wir leben schließlich nicht in einem Überwachungsstaat.“
Drogen an der Porschekanzel: Baulärm, kein Schatten – man will hier sowieso schnell weiter
Als er erfährt, dass die Maßnahme akut helfen soll gegen die Drogenszene, die von der Porschekanzel Besitz ergriffen hat, antwortet er spontan: „Ach, wenn das so ist, ist das natürlich richtig. Zumindest, wenn man es zeitlich begrenzt.“
Der abgestellte Polizei-Anhänger mit der Kamera-Anlage soll erst mal einen Monat lang auf der Porschekanzel stehen. Dann wird neu entschieden und ausgewertet. Die Polizei-Installation wirkt einerseits wie ein Fremdkörper auf der freien Fläche. Auch, weil er recht rustikal eingezäunt ist mit Bauzäunen. Andererseits passt er ganz gut in die morbide Atmosphäre, die zumindest derzeit den Schauplatz dominiert. Aus dem großen Geschäftsgebäude, das einst „Hema“ und die Mayersche Buchhandlung beherbergte, dringt unentwegt Baulärm. Das Gelände ist mit Zäunen abgesichert; frühestens im Frühjahr 2026 soll hier die zentrale Stadtbibliothek einziehen.
An diesem Mittag tut die heiße Sonne ihr Übriges dazu, dass man sich eigentlich gar nicht lange aufhalten will an diesem Ort. Julian (17) sitzt auf der Treppe vor der Marktkirche und behauptet, er sei „krank geschrieben“, deshalb müsse er nicht in die Schule, „und ob die Kamera gegen die Dealer hilft, glaub‘ ich nicht.“ Der Drogenhandel finde nämlich hinter der Marktkirche im Schatten zweier Kastanien und Linden statt. Dort, am Flachsmarkt, beobachtet der Betreiber eines Kiosks täglich die Szene und sagt: „Die Trinker haben wir schon mit Erfolg vertrieben. Die Drogensüchtigen tun eigentlich nichts. Es sei denn, sie kriegen keinen Stoff.“ Tatsächlich hat sich die Alkoholiker-Szene, die noch vor zwei Jahren das Bild zwischen Kettwiger und Viehofer Straße dominierte, verzogen – auf den Kopstadtplatz. Dort führen an diesem Mittag ein knappes Dutzend Männer lautstarke Gespräche, alle haben braune Bierflaschen in der Hand.
Zurück zur Porschekanzel: „Hier laufen auch kleine Kinder herum, das ist ganz schlimm, und die Videoüberwachung ist richtig“, sagt eine Frau Anfang 30. Sie selbst halte sich regelmäßig in dieser Ecke auf, „und die Dealer sind vor allem unten am Parkhaus unter der Rathaus Galerie. Dort müssten sie auch Videokameras aufstellen.“
Je länger man an der Porschekanzel steht, desto mehr erfasst einen die morbide Atmosphäre
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Je länger man an der Porschekanzel steht, einem Ort, den man im Alltag nur schnell überquert, desto stärker erfasst einen die morbide Atmosphäre. Plötzlich sieht man sie: die Flaschensammlerin, eine Frau vielleicht Anfang 40. Plötzlich hört man es: das Geschrei, das von der Kettwiger Straße herüberweht. Vor einem Handy-Geschäft gibt es Ärger zwischen zwei Männern, der eine offenbar ein Angestellter, der andere womöglich ein Ladendieb. Dann wieder Flaschensammler. Dann wieder Gestalten, die erkennbar keinem bürgerlichen Beruf nachgehen und nicht sonderlich gesund aussehen. Ein junger Mann mit Punk-Frisur stapft übers Pflaster, verabredet sich lautstark mit seiner Begleiterin zum „Saufen im Park gleich“, sieht die Videoüberwachungsanlage der Polizei. Der Mann streckt dem Masten demonstrativ einen ausgestreckten Mittelfinger entgegen. Der Mann und seine Begleiterin lachen.
„Es ist die Armut, die das Problem ist“, sagt Peter Gerold, der vor der Marktkirche steht. „Nicht die Drogen.“ Gerold arbeitet als Aufpasser für die Evangelische Kirche, der die Marktkirche gehört. Er passt auf, dass in der Marktkirche alles ruhig ist und draußen, im Umfeld, auch. Ob die Kameras was bringen werden? „Muss man sehen“, sagt Gerold.
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