Essen. Ihr Glück im eigenen Haus währte nur drei Wochen, dann kam das Hochwasser: Essener Familie muss ihr Zuhause in Essen-Überruhr verlassen.
Ein paar Klamotten, ihre Kulturbeutel und Arbeitssachen haben sie sich noch geschnappt. Spielsachen für ihren kleinen Sohn haben Nils und Eileen Hübscher nicht mehr aus ihrem Haus in Überruhr holen können, als das Wasser hineinfloss. Nun steht es 1,50 Meter hoch in der Küche, im Wohn- und Kinderzimmer. Ihr Traum vom Glück währte kurz, mit dem Hochwasser folgte der Alptraum - nach nur drei Wochen. Die junge Familie weiß nicht, wie es weiter geht - und wie solch ein Unglück künftig vermieden werden kann.
Gerade sind die Eltern mit ihrem zweieinhalbjährigen Sohn am Rüpingsweg eingezogen, haben noch ein schönes Weihnachtsfest und auch Silvester im neuen Zuhause gefeiert. Dann wurden sie vom Hochwasser überrascht. Es war am Donnerstagmorgen (4. Januar), als die Mutter ihren Sohn zur Kita bringen wollte: „Es war noch dunkel, daher habe ich nur etwas Wasser im Vorgarten gesehen.“ Nur wenig später klingelte ihr Handy: „Der Garten steht voll“, rief ihr Mann Nils, der soeben noch den Kinderwagen aus dem Schuppen rettete. Sie eilten in den Baumarkt. „Wir haben Sandsäcke gekauft und vor die vier Türen auf der Gartenseite gestapelt.“
Das Essener Paar hatte noch wenige Minuten, um ein paar Dinge mitzunehmen
Sie haben dann die Feuerwehr gerufen. Die sei sofort herbeigeeilt, habe den ganzen Tag geholfen, das Wasser abzupumpen und Sachen hoch zu tragen, beschreibt Eileen Hübscher (32) dankbar, da sie einiges haben in die erste Etage in Sicherheit bringen können. „Leider mussten die Einsatzkräfte irgendwann gegen die Wassermassen aufgeben.“ Schließlich stellte Westnetz den Strom ab, das Gas wurde abgedreht. Zuvor hatten sie noch wenige Minuten, um ein paar Dinge mitzunehmen.
„Jetzt steht unser Erdgeschoss bis auf Brusthöhe unter Wasser“, sagt Eileen Hübscher, die verzweifelt vor dem Haus steht. Ihr Sohn ist im Auto geblieben, möchte am liebsten gar nicht mehr herkommen, fragt stattdessen immer wieder verunsichert: „Mama, warum schwimmt unser Haus?“ Das rund 3000 Quadratmeter große Grundstück gleicht einem See, mittendrin die Immobilie. Nils Hübscher (34) hat gerade von der Rückseite einen Blick darauf geworfen. „Überall schwimmen Bänke, Stühle und Spielzeug.“ Dazwischen riesige Mengen Kaminholz, das sie noch den Vorbesitzern abgekauft haben.
Eileen Hübscher hat sich so sehr auf den Kamin und die wohlige Wärme in ihrem Haus gefreut. Alles schien perfekt. Thema war der Hauskauf für die beiden (sie arbeitet bei einer Krankenkasse, er ist Controller im Großhandel) schon seit ihrer Schwangerschaft, da wohnten sie zu zweit in Rüttenscheid und wollten gern in den Essener Süden ziehen. Die dreijährige Suche führte sie schließlich nach Überruhr. Zuvor hatten sie sich so manche Immobilie angeschaut, die am Rüpingsweg sei die erste gewesen, an der sie nichts Negatives hätten entdecken können. Dabei wussten sie, dass Haus und Grundstück im Überschwemmungsgebiet liegen. Es war ihnen bekannt, dass das ursprünglich 1896 gebaute Haus von der Jahrhundertflut 2021 getroffen und danach saniert worden war.
„Wir haben sofort eine entsprechende Versicherung abgeschlossen und haben uns bereits über Schutzmaßnahmen für Türen, Fenster und Fassade sowie Pumpen informiert“, sagen sie und waren doch nicht schnell genug. Sie hätten einfach nicht damit gerechnet, dass das Hochwasser sie gleich nach ihrem Einzug so stark trifft. Seitdem hätten sie eine enorme Hilfsbereitschaft erfahren, sind bei ihren Eltern untergekommen („sonst stünden wir quasi auf der Straße“), Freunde, Bekannte, Feuerwehr, alle packen mit an. Die Versicherung habe die Übernahme des Schadens signalisiert. Und dennoch gesteht die junge Mutter: „Wenn mein Sohn nicht wäre, würde ich durchdrehen.“
Das Essener Paar hat nun noch viele offene Fragen
Ihr größter Wunsch ist zunächst, dass ihr Haus leer gepumpt wird und trocknen kann. „Obwohl überall gesagt wird, dass die Pegel sinken, tut sich bei uns nichts“, sagt Eileen Hübscher verzweifelt. Einsatzkräfte der Feuerwehr kämen zwar regelmäßig vorbei, um die Lage zu beobachten und auch am Telefon seien dort alle stets nett und hilfsbereit. Aber selbst die Helfer von Feuerwehr und THW seien wohl machtlos, solange nicht geklärt sei, woher und warum das Wasser immer wieder nachkomme.
Zwischen ihrem Grundstück und der Ruhr liege zunächst noch das Grundstück der Wassergewinnung Essen, dann kommt noch der Bahndamm. Dort fahre normalerweise die S9, beschreiben die beiden die Situation. „Es gibt schon lange ein Abwasserrohr, welches Regenwasser über unser Grundstück durch den Damm zur Wassergewinnung ableitet“, sagt Eileen Hübscher zu den Gegebenheiten. Der Damm sei nach der Jahrhundertflut im Juli 2021 noch komplett erneuert worden. „Warum führt dieses Rohr aber auf unser Grundstück?“, ist nun eine der Fragen, die sich dem jungen Paar stellt.
Ob nun eventuell auch das Grundwasser von unten dazu komme oder sich das Wasser zusätzlich durch den Damm zu ihnen durchdrücke, auch diese Fragen habe ihnen noch keiner beantworten können. „Die Nachbarn, die teilweise seit über 50 Jahren im Rüpingsweg wohnen, haben es jedenfalls noch nie erlebt, dass das Wasser uns auf diesem Weg alle überschwemmt“, haben sie inzwischen erfahren. Derzeit sind am Rüpingsweg auch weitere Anwohner betroffen, die sich alleingelassen fühlen.
Eileen und Nils Hübscher wollten derweil ihre Fragen zudem bei der Wassergewinnung GmbH loswerden, zuständig sind dort die Stadtwerke Essen und Gelsenwasser. Auch von der Bahn sei jemand da gewesen, um sich von den angrenzenden Gleisen ein Bild zu machen. „Von diesen Stellen bekommen wir aber keine Antworten, Erklärungen oder Unterstützung“, sagt das Paar, das viel lieber weiterhin Pläne für ihr Leben mit einem weiteren Kind geschmiedet hätte, statt sich ums Haus zu sorgen.
Stadtwerke und Stadt Essen verweisen auf das Überschwemmungsgebiet
„Wir sind selbst betroffen, auch unser Grundstück steht unter Wasser, wenn die Ruhr über die Ufer tritt“, sagt Stadtwerke-Sprecher Roy Daffinger. Das seien jedoch wie bei der Jahrhundertflut die Folgen höherer Gewalt. Derzeit seien die Unterböden durch den anhaltenden Regen gesättigt, Wasser staue sich überall, obwohl die Ruhr sich wieder zurückziehe. Das dauere nun ein bisschen, sagt er und betont, dass sie nicht dafür zuständig seien, andere Grundstücke zu schützen. Und selbst, wenn sie Maßnahmen planen würden, eine Umsetzung würde Jahre dauern.
Zudem verweisen Roy Daffinger wie auch Stadtsprecher Burkhard Leise auf das Überschwemmungsgebiet, in dem Familie Hübscher lebt. Das sei gesetzlich festgelegt, sagt Leise. „Die Zuständigen vom Umweltamt tun nun alles, um zu helfen“, versichert er. Es soll untersucht werden, wie das passieren konnte. Und: „Das Umweltamt ist mit den Eigentümern und der Wassergewinnung Essen, also den Stadtwerken und der Gelsenwasser AG, im Gespräch über die Ursache des langsamen Wasserablaufs.“ Es soll auch einen Termin vor Ort mit den Betroffenen geben.
„Wir möchten wissen, wie es weitergeht, wann wir ins Haus können und wie groß der Schaden sein wird. Alles ist noch offen, genauso wie die Frage danach, wer verantwortlich ist, wer zuständig ist oder wer uns wirklich helfen kann“, sagt Eileen Hübscher und sorgt sich auch darum, was mit dem Mauerwerk passieren kann, wenn es nun Dauerfrost gibt. „Ist ein Totalschaden möglich?“, fragen sie sich ängstlich und müssen auf einen Sachverständigen warten, der ihnen Auskunft gibt.
Mit all diesen Dingen müssen sich Eileen und Nils Hübscher nun auseinandersetzen und möchten zudem wissen, was sie selbst tun können, um künftig solche Katastrophen zu verhindern. „Eine Warnung, dass das Wasser zu uns herüberkommen wird und wir uns und unsere Sachen in Sicherheit bringen sollten, haben wir nie erhalten“, sagen sie zum aktuellen Hochwasser und hoffen jetzt so sehr auf eine Lösung und vielleicht einen Lichtblick.
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