Essen. Am Weihnachtsmarkt tummelt sich die Dealerszene, die neuerdings gewalttätiger wird. Veranstalter EMG und die Händler fordern mehr Sicherheit.
Das Handy-Video ist krass, wer es erstellte, ging durchaus ins Risiko: Zwei größere Männergruppen gehen am Schnittpunkt Kettwiger Straße und der Marktkirche aufeinander los, in einer schwer identifizierbaren Sprache fallen laute, böse klingende Worte, schließlich fliegen Fäuste und Gegenstände durch die Luft. Eine Seite weicht schließlich zurück und flüchtet. Offensichtlich gibt es neuerdings nächtliche Drogen-Revierkämpfe in der Essener Innenstadt, und obwohl der Weihnachtsmarkt zu diesem Zeitpunkt schon geschlossen ist, macht sich Richard Röhrhoff, Geschäftsführer des Veranstalters Essen Marketing GmbH, große Sorgen: „So kann es nicht mehr weiter gehen.“ Die Drogenszene werde immer größer, agiere immer dreister und drohe Erfolge wie den gerade gut gestarteten Weihnachtsmarkt zu überlagern.
Zentren des Drogenhandels: Umgebung der Marktkirche und der Rathaus-Galerie
Denn ein Einzelfall sei die Schlägerei am späten Mittwochabend (22. 11.) keineswegs gewesen. „Wir beobachten das Anwachsen der Szene schon länger“, sagt Röhrhoff. Dem Anschein nach erhalten die Schwarzafrikaner, die den Drogenmarkt in Essen traditionell beherrschen, zunehmend Konkurrenz von anderen Einwanderergruppen. Zentren des Handels sind das Umfeld der Marktkirche und der Rathaus-Galerie, wo in der Nacht auf Freitag (24.11.) eine zehnköpfige Gruppe einen 23-Jährigen brutal verprügelte. Zwei der Schläger erwischte die Polizei, nach den anderen wird noch gefahndet.
Insbesondere die Parkhäuser rund um die Rathaus-Galerie sind zu Angst- und Ekel-Orten herabgesunken, die längst von vielen früheren Kunden gemieden werden. Ekel deshalb, weil Drogensüchtige dort vielfach übernachten und ohne Hemmungen auch ihre Notdurft verrichten, wo immer es ihnen gerade beliebt – gerne auch direkt neben geparkten Autos.
Im Moment allerdings steht besonders der Weihnachtsmarkt im Fokus, der als Massenveranstaltung für atmosphärische Störungen anfällig ist. „Ich mache mir Sorgen, dass die Leute irgendwann meinen, sie wären auf dem Weihnachtsmarkt nicht mehr sicher“, sagt Richard Röhrhoff. Das stimme zwar nicht, weil die Szene erst nachts das Terrain beherrsche. Wirklich trösten kann das aber nicht.
„Wir müssen aufpassen, dass das nicht kippt“, so der EMG-Chef, der üblicherweise nicht bekannt ist für übertriebene Panikmache. Die Dealer-Szene wachse in der Innenstadt zahlenmäßig an und fühle sich offenkundig ziemlich sicher vor Repressionen. „Bis zu 40 Dealer haben wir gezählt, irgendwann bekommt man die nur noch schwer oder gar nicht wieder weg.“ Der EMG-Chef hält mehr Präsenz und ein entschiedeneres Auftreten der Sicherheitsbehörden für dringend erforderlich, und das nicht nur zur Weihnachtsmarktzeit.
Auch die Händler werden unruhig und sind zunehmend genervt von dem Umfeld, in dem sie arbeiten müssen. „Wir machen uns selbst die Stadt kaputt“, sagt Benjamin Vogel, der einen Glühweinstand und einen Toilettenwagen betreibt. Jüngst stellte er fest, dass dieser als Drogen-Zwischendepot missbraucht wurde. Als er dies der Polizei meldete und diese ihm zufolge erst nach über 30 Minuten eintraf, seien Dealer und Ware aber schon wieder weg gewesen.
„So einen Ort können wir doch nicht den Dealern überlassen“
„Polizei und Ordnungsamt tun zu wenig“, klagt Vogel. Er wisse, dass Personal knapp ist, doch der Bereich um die Marktkirche sei quasi das Zentrum des Zentrums von Essen. „So einen Ort können wir doch nicht den Dealern überlassen, die Behörden müssen hier vor Ort sein.“ In der Nacht zum Sonntag (26.11.) sei die Polizei dann tatsächlich nachts vor Ort gewesen, weiß Röhrhoff, dann sei seiner Kenntnis nach Ruhe gewesen. Den Einsatz bestätigen oder Details berichten konnte die Behörde am Sonntag auf Nachfrage nicht. Generell müht sich die Polizei seit geraumer Zeit, etwa durch verstärkten Einsatz von Zivilfahndern den Dealern beizukommen. Offenkundig aber mit bestenfalls durchwachsenem Erfolg.
In der Aufbauphase des Marktes gab es 14 Einbrüche
Wie ernst die Lage ist, zeigt ein bisher unbekanntes Detail aus der
diesjährigen Aufbauphase
des Weihnachtsmarktes. „Da hatten wir 14 Einbrüche in unseren Hütten und Buden, höchstwahrscheinlich Beschaffungskriminalität“, berichtet Albert Ritter, in Essen ansässiger und aktiver Präsident des Deutschen Schaustellerverbands. Das sei keine Lappalie. In mancher von außen schlicht wirkenden Holzhütte befände sich Betriebstechnik für Zehntausende Euros. Mit der Polizei sei man in Kontakt, auch patrouilliert ein privater Sicherheitsdienst im Auftrag der EMG rund um die Uhr über den Weihnachtsmarkt. Doch können die zwei Paare in dem unübersichtlichen auf mehrere Straßen und Plätze verteilten Marktareal nicht alles mitbekommen. „Früher reichte ein Paar“, erinnert sich Röhrhoff.
„Wir Schausteller fordern nicht nur, wir wollen auch helfen“, betont Albert Ritter. Jeder sei verpflichtet, an seinem Stand für Ordnung zu sorgen und verstehe sich durchaus als Auge und Ohr der Polizei. „Wir sehen viel, aber wir erwarten auch, dass die Behörden das ihnen Mögliche tun.“ Dazu gehöre auch, Orte wie Weihnachtsmärkte konsequent mit Beobachtungskameras auszustatten und idealerweise auch eine mobile Wache dort zu stationieren.
Die Sicherheit der Besucher mag in der Regel noch kein großes Problem sein, weil die zumeist längst zu Hause sind, wenn sich kriminelle Banden im großen Stil zusammenrotten. Bei den Standbesitzern und ihren Mitarbeitern sieht das anders aus. „Oft sind wir nach Betriebsschluss noch bis tief in die Nacht mit Aufräumen beschäftigt“, sagt Benjamin Vogel. „Danach gehen wir gemeinsam zu unseren Fahrzeugen, vor allem die Frauen erwarten das.“ Mitarbeitern ein Gefühl von Sicherheit zu geben, sei ihm auch deshalb wichtig, weil sie sonst womöglich kündigen, und das könne er sich nicht leisten.
Panikmache ist auch das anscheinend nicht. EMG-Chef Röhrhoff berichtet von einem Fall, in dem eine Mitarbeiterin jüngst von Unbekannten bis zum Parkhaus verfolgt und beschimpft wurde und große Ängste ausstand. „Ich will nicht, dass die Markthändler irgendwann sagen, nach Essen brauchst du nicht mehr zu gehen.“
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