Essen. Das verbreitete Gefühl, der jüngsten Islamisten-Demo etwas entgegenzusetzen, findet Sonntag ein Ventil: Breites Bündnis erwartet 2000 Teilnehmer.

Islamistische Parolen und Israel-feindliche Plakate, eine Scharia-kompatible Demo-Aufstellung und Forderungen nach einem Kalifat – was den Menschen in Essen und anderswo seit Freitag großes Unbehagen und manchem auch schlicht Angst bereitet, sind keine Prügelszenen auf einer eskalierenden Demo. Sondern verstörende Bilder eines abendlichen Marsches durch die Innenstadt als eine Art Machtdemonstration, die viele Essenerinnen und Essener auch Tage danach noch umtreibt. Sie wollen das düstere Ereignis nicht unkommentiert stehen lassen, sondern ein Licht dagegensetzen – am kommenden Sonntagabend bei einer Menschenkette an der Alten Synagoge.

Eine Antwort soll es sein, aber keine Gegendemo. Ein Ausrufezeichen für ein friedliches Miteinander, aber keine gezielte Provokation, weshalb als Einlader die „Essener Allianz für Weltoffenheit, Solidarität, Demokratie und Rechtsstaat“ auftritt. Jenes vor sieben Jahren im Zuge der damaligen Flüchtlingskrise gegründete Bündnis, das immer dann in Erscheinung tritt, wenn in der Stadt weithin sichtbar sein soll, dass hier niemand das Geschehen für sich vereinnahmt – keine Partei, keine Kirche, keine Organisation. Sondern das, was man so gerne die „Zivilgesellschaft“ nennt.

Geringe Zahlen trotz viel Mobilisierungs-Potenzial: 2000 Teilnehmer werden erwartet

Unternehmen und Gewerkschaften sind mit von der Partie, aber auch Kirchen und Wohlfahrtsverbände, Sport und die großen Parteien, Stadtverwaltung und Kreishandwerkerschaft, der Verbund der Immigrantenvereine genauso wie die Jüdische Kultusgemeinde oder die Kommission Islam und Moscheen. Ein buntgewürfeltes Spektrum, auch wenn der Verbund nie so recht den Vorwurf abschütteln konnte, ein eher theoretisches Konstrukt der Wohlmeinenden zu sein.

Das lässt sich vielleicht auch an der bescheidenen Zahl der Demonstranten ablesen, mit denen die auf den ersten Blick nach viel Mobilisierungs-Potenzial klingenden Partner der Allianz für die Menschenkette rechnen. Erwartet werden rund 2000 Personen, die sich da am Sonntag ab 18 Uhr vor der Alten Synagoge am östlichen Rand der Innenstadt einfinden dürften. Es gehe, so heißt es in einem von der Stadt verbreiteten Aufruf, um „ein klares Zeichen der Solidarität“: um Frieden und den Zusammenhalt in Essen, um Solidarität und den Schutz von jüdischem Leben in Essen wie in Israel. „Die Allianz verurteilt die Terrorangriffe der Hamas“, heißt es dazu weiter. „Gleichzeitig fordert sie humanitäre Hilfen für die Menschen im Gaza-Streifen.“

Man will nicht viele Worte machen, sondern ein Zeichen setzen, eine Stunde lang

Es ist am Ende ein Gegenentwurf zur Islamisten-Demo: Gegenseitiger Respekt sei die Grundlage für das Zusammenleben in Vielfalt, appelliert das Bündnis. „Dieses Zusammenleben der verschiedenen Religionen und Kulturen in Frieden und Freiheit gilt es zu wahren. Die Verherrlichung von Gewalt – gleich von wem diese ausgeht – darf es in Essen nicht geben.“ Jeglicher Form von Antisemitismus und radikaler Ideologie stelle man sich entschieden entgegen.

Als äußeres Zeichen sollen die Teilnehmer ein Licht mitbringen und es nach der etwa einstündigen Veranstaltung vor der Alten Synagoge ablegen. Viele Worte will man nicht machen, Oberbürgermeister Thomas Kufen spricht ein Grußwort, darüber hinaus wird ein gemeinsames Statement des Initiativkreis Religionen in Essen (IRE) verlesen.

Die nächste „Pro Palästina“-Veranstaltung steht ebenfalls schon in den Startlöchern

Ob die erwartete oder besser: erhoffte Zahl der Teilnehmer sich am Ende einfindet, wird sich zeigen. Doch den Erfolg, so wird bereits im Vorfeld klar, messen die Organisatoren nicht allein an der Masse der Demonstranten. Vielmehr folgen viele Beteiligte dem Impuls, dem aggressiven Tenor von Freitag ein versöhnliches Zeichen folgen zu lassen. Nicht die Wut, nicht die Aggression soll das letzte Wort haben. Dabei gehören die Kirchen zu den treibenden Kräften der Veranstaltung, aber auch bei der Stadt, so heißt es im Rathaus, hätten sich viele empörte Bürgerinnen und Bürger gemeldet, die ihrerseits ihrer Empörung Ausdruck verleihen wollen.

Vertreter von 14 Essener Organisationen und Religionsgemeinschaften gründeten vor sieben Jahren die Allianz für Weltoffenheit, die immer wieder in Erscheinung tritt, wenn es darum geht, sich für die Wahrung der Menschenwürde, von Toleranz und Gewaltlosigkeit stark zu machen. Hier unterzeichnen die Superintendentin der evangelischen Kirche Marion Greve und Oberbürgermeister Thomas Kufen die Willenserklärung.
Vertreter von 14 Essener Organisationen und Religionsgemeinschaften gründeten vor sieben Jahren die Allianz für Weltoffenheit, die immer wieder in Erscheinung tritt, wenn es darum geht, sich für die Wahrung der Menschenwürde, von Toleranz und Gewaltlosigkeit stark zu machen. Hier unterzeichnen die Superintendentin der evangelischen Kirche Marion Greve und Oberbürgermeister Thomas Kufen die Willenserklärung. © FUNKE Foto Services | Knut Vahlensieck

Dabei ist längst klar, dass die „Pro Palästina“-Veranstaltung vom vergangenen Freitag nicht die letzte bleibt. Die nächste folgt bereits am kommenden Sonntagnachmittag, noch bevor die Menschenkette an der Alten Synagoge und der Schützenbahn Aufstellung nimmt. Wie Polizeisprecher Thomas Weise am Mittwoch auf Anfrage erklärte, sei eine Versammlung unter dem Motto „Frieden im Nahen Osten“ südlich des Hauptbahnhofs angemeldet worden. Geschätzte Teilnehmerzahl: 300.

Eine neue Machtdemonstration der Islamisten? Noch gibt es darauf keine Hinweise

Nach einer Auftaktkundgebung gegen 14 Uhr am Beginn der Rellinghauser Straße werde sich der Zug in Richtung Rüttenscheid aufmachen und schließlich gegen 17 Uhr wieder am Startpunkt enden. Versammlungsleiter sei ein Mann aus Hattingen, bei der Anmelderin handele es sich um eine Essenerin. Beide hatten mit vertauschten Rollen bereits zu einer Versammlung am 27. Oktober aufgerufen, die jedoch regelrecht ins Wasser fiel. Bei strömendem Regen fanden sich da nur wenige Dutzend Protestler ein.

Ein sogenanntes Kooperationsgespräch mit den Veranstaltern ist bereits erfolgt, und bislang, so Weise, gebe es keinen Hinweis, dass die Demonstration tendenziell islamistisch angedacht sei. Nach den Erfahrungen des vergangenen Freitags seien die Behörden aber in intensiven Gesprächen, die Lage werde ständig neu bewertet. Dazu bedient sich das Essener Polizeipräsidium nach eigenem Bekunden auch der Erkenntnisse von Landes- und Bundeskriminalamt.

Ursprünglich sei von der Anmelderin beantragt worden, die Demo vom Willy-Brandt-Platz mitten durch die Innenstadt bis zum Jakob-Funke-Platz ziehen zu lassen. Die Polizei habe dem mit Verweis auf die Arbeiten für den Weihnachtsmarkt jedoch nicht folgen wollen. So habe man sich auf die alternative Route geeinigt.