Essen. Bis 2030 muss die Stadt Essen mehr als 2500 Erzieher einstellen. Eine Taskforce soll Ideen zur Gewinnung der begehrten Fachkräfte entwickeln.
Die Stadt Essen richtet eine „Taskforce Fachkräfte“ ein, die sich um den steigenden Bedarf an Erzieherinnen und Erziehern kümmern soll. Wenn man nicht zügig handle, bestehe die Gefahr, städtische Angebote kürzen oder schließen zu müssen, wie es in anderen Kommunen schon geschehen sei, sagt Jugenddezernent Muchtar Al Ghusain. In einem ersten Schritt hat die Stadt daher den Personalbedarf in Kitas, Schulen, Heimen und Jugendzentren für die kommenden Jahre ermittelt: „Wir müssen bis zum Jahr 2030 insgesamt 2570 Erzieherinnen und Erzieher einstellen.“
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Dabei ist zum einen berücksichtigt, dass die geburtenstarken Jahrgänge in den kommenden Jahren in Ruhestand gehen, zum anderen muss die Stadt verschiedene Betreuungsbereiche weiter ausbauen. „Wir haben seit 2011 rund 7500 neue Kitaplätze geschaffen, das war ein Kraftakt – und nun fehlen noch immer etwa 1000 bis 1500 Plätze“, erklärt Jugendamtsleiter Carsten Bluhm. Sie zu schaffen, sei wegen baulicher und personeller Probleme eine Herausforderung. Immer wieder müssten Träger die Eröffnung einer neuen Kita oder nur einer zusätzlichen Gruppe um Wochen oder Monate verschieben.
Essener Kitas mussten zeitweilig Betreuungszeiten reduzieren
In jüngster Zeit hätten Kindertagesstätten wegen krankheitsbedingter Ausfälle Betreuungszeiten kürzen oder Gruppen zeitweilig abmelden müssen. Grundsätzlich sei die Personalausstattung in den Essener Kitas noch recht stabil. Sollten aber in Zukunft Stellen nicht nachbesetzt werden können, gerate der geplante Ausbau der Kita-Landschaft ins Stocken. Oder schlimmer: „Wir müssten Plätze reduzieren.“ Das wolle man auch deshalb vermeiden, weil eine zuverlässige Kinderbetreuung Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei.
Eltern dürfte es daher freuen, dass es ab 2026 auch einen Rechtsanspruch auf einen Platz im Offenen Ganztag (OGS) an den Grundschulen gibt. „Das aber intensiviert das Problem im Ganztag“, sagt Andrea Schattberg, die den Fachbereich Schule der Stadt leitet. „Schon heute können dort freie Stellen nicht immer zeitnah besetzt werden.“
Offener Ganztag soll mehr als Betreuung bieten
Bisher arbeite man im OGS ausschließlich mit Fachkräften, schon weil es dort nicht allein darum gehe, die Kinder zu betreuen, sondern sie auch zu fördern. „Wir machen uns nun Gedanken, welche Berufsgruppen wir hier auch gut einsetzen könnten“, sagt Schattberg. Bedauerlicherweise habe das Land noch kein Ausführungsgesetz vorgelegt, an dem man sich orientieren könne.
Während die Personalsituation in Kitas und Schulen aktuell noch auskömmlich ist, mussten in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit bereits Öffnungszeiten reduziert werden, weil Stellen unbesetzt blieben. Regelrecht dramatisch schildert Jugendamtsleiter Bluhm die Lage bei stationären Hilfen. „Die Essener Heimplätze sind durchgehend voll belegt, es müssten weitere geschaffen werden.“ Nach der Pandemie sei der Bedarf erhöht, doch vielen jungen Menschen könne man nicht sofort einen Platz anbieten. „Wir machen inzwischen 100 Anfragen in ganz Deutschland, um ein Kind unterzubringen, in einem Fall waren es 400. Das ist auch für die Mitarbeiter sehr belastend.“
Bündnis Fachkräfte im Sozial- und Erziehungsdienst geplant
Um Erzieherinnen und Erzieher zu gewinnen, arbeitet die Stadt Essen an einer Strategie, die alle beteiligten Stellen einbeziehen soll. Für das 4. Quartal 2023 ist ein erster Fachkräftetag geplant, auf dem ein Bündnis „Fachkräfte im Sozial- und Erziehungsdienst“ gegründet werden soll.
Im 1. Quartal 2024 soll eine Analyse zum Fachkräftebedarf vorgelegt werden, die weitere Arbeitsfelder und Berufsbilder im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe und im Bildungssystem umfasst. Im 2. Quartal 2024 soll ein Konzept zur Fachkräftegewinnung/-bindung im Erziehungsdienst vorgelegt werden; mit einem Beschlussvorschlag zur Ausweitung auf weitere soziale Berufe.
Bis zum Jahr 2030 muss die Stadt insgesamt 2570 Erzieher/innen einstellen. Der Großteil von ihnen (1371) entfällt auf die Kitas, 400 Erzieher werden in der Heimerziehung (stationäre Hilfen) benötigt. Weitere für den Offenen Ganztag und die Kinder- und Jugendarbeit.
Die noch nicht vermittelten Kinder und Jugendlichen bleiben länger in den Notaufnahmen, die eigentlich für kürzere Aufenthalte gedacht sind – und auch an ihr Limit geraten. Ein großer Träger wolle gern eine weitere Notaufnahme einrichten finde aber keine geeigneten Räumlichkeiten. Und neue Kräfte zu gewinnen, sei im Heimbereich wegen der unattraktiven Arbeitszeiten besonders schwierig. „Wir müssen aber diese Kinder versorgen, die aus schwersten Lebenssituationen kommen.“
Stadt plant Werbekampagne für den Erzieherberuf
Für Muchtar Al Ghusain zeigt das Beispiel auch, wie wichtig soziale Berufe sind: „Mit Menschen zu arbeiten, ist eine besonders wertvolle Aufgabe, die Wertschätzung verdient.“ Das wolle man mit einer Werbekampagne für den Erzieherberuf, für Sozialarbeit und verwandte Berufsfelder deutlicher herausstellen. Dazu gehöre auch, dass die Ausbildung vergütet wird, betont Andrea Schattberg.
Die Essener Berufskollegs allein werden den städtischen Bedarf nicht stemmen können: Selbst wenn alle Plätze durchgehend belegt sind, werden am Ende 1000 Erzieher und Erzieherinnen fehlen. Um die Ausbildungskapazitäten zu erhöhen, müsse das Land mehr Lehrkräfte einstellen.
Neue Taskforce mit drei Stellen
Die dreiköpfige Taskforce soll noch in diesem Jahr einen Fachkräftetag organisieren und in einem Bündnis mit allen Akteuren neue Wege finden, um Fachkräfte zu gewinnen: Gedacht ist etwa an Quereinsteiger oder ausländische Fachkräfte, deren Abschlüsse bisher nicht immer anerkannt werden. Erzieher sollen von bürokratischen Aufgaben entlastet werden und Unterstützungskräfte an ihre Seite bekommen. Um auswärtige Kräfte zu gewinnen, kann sich Muchtar Al Ghusain auch vorstellen, dass die Stadt bei der Wohnungssuche hilft. Das Gesamtkonzept soll 2024 vorgelegt werden.