Bochum. Gras ist bald legal, hat der Bundestag beschlossen. Zum Anbau sollen Cannabis-Clubs entstehen. Aber warum sollten Kiffer sich das antun?
Gras wird legal in Deutschland. Im April soll das nun vom Bundestag beschlossene Cannabis-Gesetz in Kraft treten. Dies könnte sich zwar noch verzögern, wenn die Länder im Bundesrat den Vermittlungsausschuss bemühen. Aber zustimmungspflichtig ist das Gesetz nicht. Die Legalisierung wird also kommen.
Die Kiffer im Ruhrgebiet haben sich längst darauf eingestellt. Bereits in den vergangenen zwei Jahren sind die Cannabis-Clubs ins Kraut geschossen: In Essen, Gelsenkirchen, Herten haben sich Anbauvereine für Marihuana gegründet, in Duisburg zwei, in Düsseldorf gar vier. Einer der ersten aber war der Cannabis Social Club Bochum (CSC). Allerdings haben die Bochumer noch keine Pflanzenlichter und Substrate bestellt oder einbruchsichere Fenster für die Anbauhalle, wie die Kollegen in Kleve es minuziös geplant haben. In Bochum will man einen entspannten Club gründen. Und wie das gehen soll, nach den Vorgaben des neuen Gesetzes, da hat Matthias Otto seine Zweifel.
„Eine Anbauvereinigung darf kein Geld verdienen“, erklärt der 43-jährige Informatiker und Vorsitzende des CSC Bochum. Sie soll aber für bis zu 500 Mitglieder produzieren, was der Gründung eines kleinen Unternehmens gleichkommt. „In der Praxis wird es einige Mitglieder geben, die die Arbeit machen und viele, die sich wie Kunden verhalten und nur eine bequeme Bezugsquelle suchen“, sagt Otto. Dann die Datenweitergabe, der Brandschutz, der Jugendschutz, die Qualitätssicherung, die Führungszeugnisse .... Und in der Abgabestelle, die man auch erst mal einrichten muss, sollen die Mitglieder auch nicht konsumieren dürfen.
Warum überhaupt einen Verein gründen?
„Unter diesen Voraussetzungen werden wir auf keinen Fall arbeiten“, sagt Otto. Man kann schließlich auch als Privatperson für den Eigenbedarf anbauen. Drei Hanfpflanzen pro Jahr soll jeder Erwachsene künftig züchten dürfen laut Gesetzesentwurf – das ist eine Menge Holz. Und natürlich könnte man sich im Freundeskreis mit dem Gießen helfen. Warum also überhaupt einen Verein gründen?
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„Es ist ein politischer Gedanke dabei: Wir wollen Sichtbarkeit erzeugen.“ Dazu passt: Die Bochumer haben mit zehn weiteren Clubs im Oktober 2022 den Dachverband in Berlin gegründet– auch der Cannabis e.V. Duisburg war dabei. „Um eine Lobby für unsere Interessen zu haben“, sagt Otto. „Ich habe diese Verfolgung einfach satt.“
Zur Wahrheit gehört aber auch: Als Otto und eine Handvoll Freunde sich vor eineinhalb Jahren zusammengesetzt, als sie dann eine Satzung ausgearbeitet und einen Vorstand gewählt haben – da war noch nicht abzusehen, mit wie viel Bürokratie Deutschland diese Idee aufladen würde. Denn Cannabis Clubs gibt es mittlerweile in Spanien, Belgien und den Niederlanden, in Kanada decken sie etwa zehn Prozent des Bedarfs.
Überschwemmt von Anträgen
Den Freunden war allerdings durchaus klar, dass sie überschwemmt werden würden mit Mitgliedsanträgen, wie es denn auch in allen existierenden Clubs geschah, als die Pläne Mitte vergangenen Jahres bekannt wurden. „Bis zu 70 Anträge kamen pro Woche“, sagt Otto. Er hat alle Interessenten vertröstet. Zusammen mit der assoziierten Ortsgruppe des Deutschen Hanfverbandes umfasst der harte Kern 20 Mitglieder – und man will erst langsam weiter wachsen, wenn das Gesetz durch ist: Neue Mitglieder sollen sich erst mal vorstellen.
„Ich selbst kiffe seit ich 14 bin“, sagt Matthias Otto. „Das sind jetzt 29 Jahre.“ Ein älterer Bekannter im Stadtteil hat ihn dazu gebracht. „Später stellte ich fest, dass Cannabis gegen meine Migräne hilft.“ Otto experimentierte mit Sorten und Grammzahlen, stellte fest, dass „Gorilla Glue“ ihn tatsächlich „ans Sofa klebte“, während „Amnesia Haze“ ihm nach eigenem Empfinden den Kopf leicht machte. „Jeden Abend konsumiere ich nun exakt die gleiche Dosis – nach meinem familiären und beruflichen Alltag. Und manchmal am Wochenende für den Genuss.“ Mit fünf bis zehn Gramm im Monat komme er aus.
Das nun vom Bundestag beschlossene Gesetz sieht vor, dass jedes der 500 potenziellen Vereinsmitglieder 50 Gramm im Monat erwerben darf (18 bis 21-Jährige nur 30 Gramm). Aus Sicht eines Clubvorsitzenden ergibt sich daraus die Notwendigkeit, jeden Monat 25 Kilo Blüten verarbeiten zu müssen. „Das füllt einen Kofferraum mindestens bis zur Oberkante“, sagt Otto. Und wie soll man die Drogen überhaupt durch die Gegend fahren – in Kisten oder gleich in Tüten?
Und noch so eine ungeklärte Kuriosität: Cannabis-Clubs sollen sich nicht in „Sichtweite“ von Kinderbetreuungen ansiedeln. Aber wie ist es umgekehrt, fragt Otto: „Darf sich künftig eine Tagesmutter neben einem etablierten Kifferclub niederlassen?“
Drei Wege, um legal an Cannabis zu kommen
Künftig soll man Cannabis auf drei Wegen legal erwerben können: Erwachsene Bürger können bis zu drei Pflanzen selber anbauen. Sie können sich einem Cannabis-Club anschließen. Die dritte Möglichkeit war nicht Teil des nun beschlossenen Gesetzes, sondern soll später eingeführt werden. Geschäfte, wo man Cannabis kaufen kann, sollen dann in Modellregionen entstehen dürfen, für die sich Städte und Kreise bewerben können. Damit bilden derzeit die Cannabis Clubs die Basis des Konzepts. In der Theorie sollen sie dem Schwarzmarkt das Wasser abgraben. Sollen die Drogen „sauberer“ werden. Sollen Jugendliche über mehr Aufklärung geschützt werden. Sollen Polizei und Justiz entlastet werden.
Ärzte und Psychiater laufen allerdings Sturm gegen die Pläne, alle großen Verbände haben sich dagegen gestellt: Die Fachleute sagen eine Zunahme von Psychosen voraus, gerade unter Jugendlichen. Auch die Polizeigewerkschaften haben sich gegen die Reform ausgesprochen, die Richter dagegen sind uneins. Während sich die Neue Richtervereinigung (NRV) für eine Entkriminalisierung ausspricht, äußert der Richterbund Niedersachsen Zweifel, dass Polizei und Justiz entlastet würden: Denn erlaubt wäre nach den Plänen nur der Besitz von 25 Gramm, der Handel bliebe verboten. Die Polizei müsse also weiterhin per Waage prüfen. Und die meisten Fälle, die vor Gericht landen, beträfen den Handel.
Zweifel sogar vom Hanfverband
Selbst der Deutsche Hanfverband äußert Zweifel, „ob diese Pläne ein tragfähiges Modell darstellen“, so Simon Kraushaar. „Bei geschätzt vier Millionen Konsumenten, müsste man ganz schön viele Anbauclubs haben.“ Da die dritte Säule, die Fachgeschäfte, erst mal nicht flächendeckend kommen werden, werde der Bedarf kaum gedeckt werden können – der Schwarzmarkt bleibe bestehen.
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Das Ankurbeln der Wirtschaft – besonders für die FDP ein Kernargument – entfällt ebenfalls weitgehend. Zwar werden auch Cannabis Clubs hauptamtlich Beschäftigte brauchen, glaubt Kraushaar. Aber das Vorbild war doch eher Kanada, wo aus der Cannabisbranche bereits Aktienunternehmen erwachsen sind.
„Uns geht es nicht darum, den Verein groß zu machen, eine Plantage hochzuziehen oder eine Kneipe zu betreiben“, sagt Otto. Das Gemeinsame stehe im Mittelpunkt, das mittlere Wörtchen im „Cannabis Social Club“. Aber: „So wie das Gesetz nun gestaltet ist, werden wir nicht anbauen.“