. Trotz aller Sparerfolge: Kämmerer Gerhard Grabenkamp und sein Vorgänger Lars Martin Klieve sehen Essens Stadtfinanzen weiterhin in der Krise.
Herr Klieve, der Stadt geht’s Bombe. Wissen Sie, woher wir das wissen?
Klieve: Das wird Ihnen der Kämmerer gesagt haben.
Falsch. Von Ihnen. Weil Sie als frischgebackener Kämmerer einst gegen den Stadion-Neubau gewettert haben und sieben Jahre später als Stadtwerke-Vorstand die winterliche Frost-Versicherung spendieren. Gibt’s ein besseres Beispiel, dass das Schlimmste hinter uns liegt?
Klieve: Na ja, mit dem Stadion habe ich ja eigentlich früh meinen Frieden gemacht. Denn diese Investition haben wir uns vom Mund abgespart. Wir hatten einen Schuldendeckel, und der Rat war frei darin zu entscheiden, wofür er das so begrenzte Geld ausgibt. Für Kindergärten, Spielplätze, Radwege oder meinetwegen auch ein Fußballstadion.
Am Ende hatte Essen ein neues Fußballrund – und spielt, Herr Grabenkamp, immer noch 4. Liga. Grund, dem Geld hinterherzutrauern?
Grabenkamp: Würde ich so nicht sagen, der Rat hat halt entschieden. Ich würde nicht nach hinten, sondern nach vorne blicken. Wichtig ist, die Stadt zukunftsfähig zu halten.
„Spielverderber zu sein , das war ja kein Selbstzweck“
Was wieder leichter fällt, weil Essen seit dem Jahreswechsel einen ausgeglichenen Haushalt hat.
Grabenkamp: Aus der Denke der Perspektivlosigkeit sind wir schon 2010 herausgekommen. Von damals geplanten 400 Millionen Euro Defizit landen wir jetzt bei einem zweistelligen Millionen-Plus. Nach 25 Jahren wieder in schwarzen Zahlen, das ist historisch. Aber natürlich kein Grund, sich darauf auszuruhen.
Der Weg dahin war steinig, und einer muss den Spielverderber machen. Das waren Sie, Herr Klieve. Der Anti-Held, für den „Spiegel“...
Klieve: ...das „Sparschwein“...
...ein Titel, auf den man stolz sein kann, denn ein beliebter Kämmerer ist doch kein guter Kämmerer, oder?
Klieve: So einer, wie ihn Essen zu jener Zeit gebraucht hat, darf sicher nicht übertrieben harmoniebedürftig sein, das glaube ich auch. Aber Spielverderber zu sein, war ja kein Selbstzweck. Im Wesentlichen ging es darum, die Handlungsfähigkeit zu sichern. Da habe ich neben viel Kritik viel Anerkennung bekommen.
„Wir hatten mit unseren Oberbürgermeistern Glück“
Die eigentlich auch dem sonst oft gescholtenen damaligen OB Reinhard Paß gebührt, denn der hat diesen Sparkurs ja stets mitgetragen.
Klieve: Das war auch ein ganz wesentlicher Faktor. Denn von einem Kämmerer kann man ja nichts anderes erwarten, als dass er dem Sparkurs das Wort redet. Bei einem Oberbürgermeister, der in erster Linie fürs Gestalten gewählt wird, ist das nicht so selbstverständlich. Insofern hatten wir mit unseren Oberbürgermeistern Glück.
Anfangserfolge auf dem Spartrip stellten sich schnell ein. Haben Sie unterwegs eigentlich irgendwann jemals die Lust verloren? Oder die Zuversicht, dass diese Stadt am Ende wirklich die Kurve kriegt?
Klieve: Ganz ehrlich, ich habe geglaubt, dass es schneller gehen würde. Wir hätten den Ausgleich auch 2015 schon geschafft, wäre uns nicht die Flüchtlingskrise dazwischengekommen. Natürlich frustriert es, wenn man so hohen außerplanmäßigen Ausgaben für die Unterbringung von Flüchtlingen ohnmächtig gegenübersteht.
Zur Wahrheit gehört auch, dass der NRW-Stärkungspakt dieser Stadt viele Millionen bescherte...
Grabenkamp: ...über 500 Millionen Euro. Wir sind die Gemeinde, die mit Abstand am stärksten profitiert. Ohne dieses Geld würden wir auch dieses Jahr noch keinen ausgeglichenen Haushalt vorweisen können.
„Ich hoffe, ich habe den Bogen nicht zu oft überspannt“
Herr Klieve, viel Geld vom Land, historisch niedrige Zinsen und ein OB, der sagt: Ja, mach mal. Das waren ideale Voraussetzungen für den Sparkurs. War der eine Zumutung?
Klieve: Sie haben den Beitrag der Rats-Politik vergessen, die in ihrer Mehrheit große Bereitschaft gezeigt hat, Einsparungen mitzutragen. Ob der Sparkurs eine Zumutung war? Sagen wir so: Essen war nicht der besonders gut bestellte Acker, auf dem die Saat leicht aufgehen konnte. Man hat sich über viele Jahre mit zwei Lebenslügen eingerichtet. Eine war: „Wir sind eine arme Stadt, da kann man nichts machen“.
Und die andere?
Klieve: ...fußte darauf: Selbst wenn wir alle freiwilligen Leistungen aufgeben, können wir es nicht schaffen. Eine Art Vergeblichkeitsfalle. Wenn man das – unabhängig von politischen Farben – als ständige Selbstvergewisserung, als Grundgewissheit annimmt, ist es nicht so einfach, dass einer kommt und sagt: Moment, so arm sind wir gar nicht. Wir leisten uns auch was. Am Ende, hoffe ich, habe ich den Bogen nicht zu oft überspannt.
Ihr Job war es, sieben magere Finanzjahre durchzustehen, und da Sie beide bibelfeste Christdemokraten sind, wissen Sie, dass danach sieben fette Jahre kommen. Würden Sie, Herr Grabenkamp, sagen, ein bisschen profitiere ich jetzt in der Ernte von dem, was Herr Klieve gesät hat?
Grabenkamp: Ja, auf jeden Fall.
Klieve: Sehr lieb, aber ich glaube, es ist nicht so, dass der eine sät und der andere erntet, der eine sattelt das Pferd, der andere reitet.
„Wollen Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen“
Schon okay, Herr Klieve, aber die Rollen sind halt verteilt. Wer den Leuten sieben Jahre lang auf die Nerven geht, verscherzt es sich auch mit manchem. Sie wären womöglich nicht wiedergewählt worden.
Klieve: Ich hatte schon jederzeit das Gefühl, eine politische Rückendeckung der Mehrheit im Rat zu haben. Allerdings ist richtig, dass ich nicht ständig auf eine Wiederwahl geschielt habe. Ich habe den Job jedenfalls nie so gemacht, dass ich es auf eine Wiederwahl angelegt hätte. Ich habe es aber auch nicht darauf angelegt, besonders unbeliebt zu sein, ich habe es höchstens in Kauf genommen, wenn es meine Arbeit erforderte.
Hat funktioniert. Aber am Ende waren Sie erfolgreich. „Sind wir noch zu retten?“ haben wir damals gefragt...
Klieve: ...und ich habe geantwortet: Unbedingt!
Was jetzt die Frage aufwirft, die dieser Serie den Titel gibt: „Sind wir jetzt gerettet?“
Grabenkamp: Nein, definitiv nicht. Wir haben in Essen vielleicht die Chance, endlich wieder zur geordneten Haushaltswirtschaft zu kommen. Wichtig bleibt, dass die Mehrheit des Rates nach wie vor auf Sparkurs ist. Wir wollen ja die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen.
„Auf der Strecke drohen uns die Zinsen wegzulaufen“
Sie, Herr Grabenkamp, waren jahrelang auf der Seite der Politik, Sie wissen genau, wie man’s verhunzen kann. Aber wo sind denn Ihre Druckmittel? Mit der Hölle drohen, wie Herr Klieve, das fällt ja wohl flach.
Grabenkamp: Ein Überschuss von 60 Millionen Euro bei einem Etat von gut drei Milliarden – das sind gerade mal zwei Prozent. Das ist kein Polster, auf dem man sich ausruhen kann. Wir sind noch nicht in den fetten Jahren, das dauert noch, vielleicht Jahrzehnte, denn wir haben ein Riesenproblem: unsere enorme Schuldenlast. Ich habe nicht den Ehrgeiz jedermanns Liebling zu sein. Und ich habe einen großen Vorteil: Ich muss nicht wiedergewählt werden. Als ehemaliger Fraktionsgeschäftsführer der CDU habe ich in die Mannschaftskabinen der einzelnen Ratsparteien geguckt. Ich weiß, wer da spielt. Es gibt für den neuen Kämmerer noch genug zu tun.
Aber das Zinsänderungs-Risiko müssen andere uns nehmen?
Grabenkamp: Definitiv. Der Stärkungspakt war hilfreich, aber den zweiten Schritt hat man ausgeblendet. Und sieht jetzt: Viele Haushalte sind ausgeglichen, aber die Altschulden drücken. Wenn wir die Chance jetzt nicht nutzen, kollabiert das ganze System trotzdem.
Klieve: Ich sehe das auch so. Die Schulden sind nicht über Nacht aufgelaufen, und man wird sie nicht über Nacht beseitigen können. Auf der Strecke drohen uns die Zinsen wegzulaufen, da wäre eigentlich sehr naheliegend, dass uns bei der Sicherung der aktuell niedrigen Zinsen das Land, möglicherweise mit der NRW-Bank hilft.
„Es gehört vielleicht auch mal Symbolpolitik dazu“
Gibt es einen Prozentsatz, eine rote Linie, von der Sie sagen: So weit könnten die Zinsen steigen, das kriegen wir irgendwie weggesteckt?
Grabenkamp: Ich mag mich da nicht auf eine Zahl festlegen. Jeder Prozentpunkt mehr bedeutet 26 Millionen Euro Zinsen, die den Haushalt zusätzlich belasten.
Wie viel an der Sparpolitik ist eh nur Symbolik? Man wundert sich ja, dass mitunter für 100.000 Euro Papiere in epischer Breite formuliert werden, während man über entgangene Millionen kein Wort verliert.
Klieve: Ich würde Symbolik nicht von mir weisen wollen, aber es ging eigentlich stets darum, eine Mentalität zu verändern Da gehört vielleicht auch mal Symbolpolitik dazu. Erinnern Sie sich an die Solariensteuer..?
...nur zu gut...
Klieve: ...die hat’s immerhin bis ins heute-journal gebracht. Als erste Meldung! Noch während das lief, habe ich mich gefragt: Ist sonst nichts passiert? Gab’s keine kriegerischen Auseinandersetzungen? Hat Angela Merkel heute nicht regiert? Was ist mit dem amerikanischen Präsidenten? Kann dies das Wichtigste auf der Welt gewesen sein? Nein, es war nicht mal in Essen das Wichtigste. Aber es hat was transportiert, nämlich die Erkenntnis: Hier passiert etwas, das hat’s in der Form noch nicht gegeben. Und wenn die sich darüber Gedanken machen, Solarien zu besteuern, muss es schlimm um die Stadt bestellt sein, und dann gehen die ans Eingemachte. Beides fand ich nicht schlimm. „Symbolpolitik“, das hört sich so an, als hätte es nichts mit der Sache zu tun, so ist es aber nicht.
„Wer auf eine sinkende Grundsteuer hofft, liegt falsch“
Ein schönes Symbol für die Bürger wäre, die drastische Grundsteuer-Erhöhung wieder zurückzunehmen. Wer darauf hofft, liegt aber falsch?
Grabenkamp: Der liegt im Moment noch falsch, weil wir ja noch im NRW-Stärkungspakt stecken, da dürfen wir nicht auf Einnahmen verzichten und Steuern senken.
Die Stadt ist zudem noch mit gut 360 Millionen Euro überschuldet. Da haben wir noch über Jahre zu tun, um über Wasser zu kommen.
Grabenkamp: Umso besser, dass Ihr Rettungsring noch nicht so viel Patina angesetzt hat. Ich bin für acht Jahre gewählt und habe mir einiges vorgenommen: Mein Anspruch ist schon, innerhalb dieses Zeitraums die Überschuldung zu beseitigen.
Und wann sind wir dann wirklich gerettet?
Klieve: (lacht) Da müssen wir doch mit dem Himmelreich kommen...
>>> ZUR PERSON: GERHARD GRABENKAMP
Er kennt beide Seiten der Stadtpolitik aus dem Effeff: Gerhard Grabenkamp (56) war Controller, OB-Referent und arbeitete im Rathaus an der Seite von gleich drei Essener Stadtkämmerern, darunter fünf Jahre als Büroleiter. 2014 wechselte er als Geschäftsführer zur Rats-CDU.
2017 wählte eine große Ratsmehrheit den Christdemokraten für acht Jahre zum Kämmerer.
>>> ZUR PERSON: LARD MARTIN KLIEVE
Nicht zuletzt die „Kurve“, die seinen Namen trug, führte Essen durch kontrollierten Eigenkapitalverzehr raus aus dem Finanz- Schlamassel: Lars Martin Klieve (48), studierter Jurist, war Kämmerer in Hürth und Gelsenkirchen und kam 2009 nach Essen.
Seit April 2017 verantwortet Klieve als Vorstand den kaufmännischen Geschäftsbereich bei der Stadtwerke Essen AG.