Elten. Die Niederlande annektieren am 23. April 1949 Elten. Marechaussee mit schussbereiten Maschinenpistolen ist in den Straßen zu sehen.
Es ist ein wunderschöner Frühlingsmorgen an diesem Samstag. Der 23. April 1949 markiert einen historischen Wendepunkt in der Geschichte von Elten. Das Grenzdorf wird niederländisch. „Im Rückblick hat sich vieles aus der niederländischen Zeit verklärt“, meint auch Tim Terhorst. Der Sprecher der Stadt Emmerich hat seine Magisterarbeit über die niederländische Auftragsverwaltung in Elten geschrieben.
Im Sturm wurde das Eltener Rathaus besetzt
Die Stimmung am 23. April 1949 war aber noch eine andere. Dies lässt sich sehr gut aus dem Bericht in der NRZ vom 25. April ablesen. Die Überschrift lautete: „Im Sturm wurde das Eltener Rathaus besetzt. Holländische Besatzung mit schussbereiten Maschinenpistolen – Deutsche Bevölkerung ruhig und abwartend“.
Der NRZ-Bericht beginnt dann schon fast prosaisch: „23. April in Elten. Eine bange Nacht, die letzte, in der die 3500-köpfige Bevölkerung zu Deutschland gehört, weicht dem Frühlicht eines herrlichen Frühlingstages. Leer sind die Straßen. Nicht eine Blume oder Girlande ist zum Willkommen der Niederländer bereitgelegt. Nur eine einzelne blau-weiß-rote Fahne mit dem Orangeband grüßt verloren vom Vereinslokal der Neederlandsche Vereenigung.“
Menschen sind niedergeschlagen und verängstigt
Der heute nicht mehr namentlich bekannte Autor erinnert dann daran, dass 450 Eltener (in einem anderen Bericht ist von 500 Menschen, meist Emmericher, die ausgebombt waren, die Rede) sowie 70 Zöllner mit ihren Familien vor der Annexion Elten verlassen haben. „In den Häusern sitzen die Menschen niedergeschlagen und verängstigt.“
Und weiter heißt es: „Sie alle können es nicht begreifen, dass im Zeitalter der Demokratie und des Selbstbestimmungsrechts der Völker ihr urdeutsches Land zu Holland geschlagen wird, ohne dass sie gefragt werden. Noch nie sind in Elten so viele Tränen vergossen worden wie an diesem Frühlingstag, der zum schwärzesten in der vielhundertjährigen Geschichte wurde.“
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Im Laufe des Vormittags rückt dann die Marechaussee in Elten ein. Diesen Moment beschreibt der Reporter der NRZ wie folgt: „Mit Motorrädern, Jeeps und Lastkraftwagen braust die Marechaussee, die holländische Reichspolizei, heran. Maschinenpistolen schussbereit in den Händen, den Stahlhelm umgebunden, fahren sie in ihren grünlichen, weißverschnürten Uniformen durch die Stadt. Kein Willkommensgruß wird ihnen zugerufen.“
Hausfrauen fühlen sich wie im Paradies
Knapp eine Woche nach der Annexion Eltens hat sich die Situation offensichtlich entspannt. Auch die NRZ schreibt in ihrer Ausgabe vom 30. April 1949: „Die Sorgen, die wie ein Alpdruck die Eltener Bevölkerung belasteten, haben sich vorläufig in Wohlgefallen aufgelöst“. So wurden für alle Eltener Grenzübertrittsausweise nach Emmerich und Hüthum zur Erledigung dringender Besorgungen ausgestellt. Auch holländische Lebensmittelkarten wurden ausgegeben.
Schokolade, Tabak und andere Waren habe es bereits am ersten Werktag nach der Annexion gegeben. „Der Andrang der holländischen Anlieferer war so stark, dass die kleine Stadt von Autos zeitweilig geradezu überflutet wurde“, so der Bericht. Angekündigt wird, dass auch die Renten normal ausgezahlt werden.
Das Fazit des Autors der NRZ: „Nachdem nun der erste Schreck gewichen ist, haben sich die Mienen der Menschen im abgetretenen Elten merklich erhellt. Vor allem die Hausfrauen fühlen sich wie im Paradies, denn sie können kaufen, was ihr Herz begehrt, wenigstens so lange, wie die Kopfquote reicht. Es erhebt sich aber immerhin die bange Frage, ob alles weiterhin so bleibt.“
Nach und nach werden Post, Bahnhof und Zollgebäude von den Uniformierten besetzt. Am Rathaus erwartet Amtsdirektor Wemmer die neuen Landesherren, heißt es in der Zeitungsausgabe: „Plötzlich erschallen bei der abgesessenen Einheit Kommandos. Wie der Blitz stürmen die Marechaussees mit vorgehaltener, schussbereiter Maschinenpistole auf das Rathaus zu, vor dem sie Posten beziehen. Ein seltenes, kriegerisches Bild mit leicht komischem Einschlag in Anbetracht der völligen Wehrlosigkeit der Bevölkerung.“
Landdrost Dr. Adriaan Blaauboer kommt am Rathaus an
Im Zuge der Einnahme des Rathaus kommt es auch zur Begegnung von Colonel Crichton und dem Landdrost Dr. Adriaan Blaauboer, der im Artikel fälschlicherweise als Dr. Blauboen tituliert wird. Als der Colonel (Auch hier ist fraglich, ob der Name Crichton stimmt. In späteren Unterlagen ist von einem Colonel Collins die Rede.) den Landdrost fragt, was er gedenke zu tun, soll dieser geantwortet haben: „Ich weiß es nicht, am besten wir setzen uns mit dem Amtsdirektor an einen Tisch und besprechen das Notwendige.“
Dieses Gespräch wird hinter verschlossenen Türen geführt. Es gibt Bilder von diesem Tag, die neben Colonel Collins und Landdrost Blaauboer als dritte Person Bürgermeister Baron Lochner von Hüttenbach zeigen.
Verletzter wird fortgetragen
Unterdessen kommt es draußen zu einem Zwischenfall. Ein Motorradfahrer der Marechaussee verliert die Gewalt über seine Maschine und fährt in eine Gruppe von Schaulustigen. Ein Verletzter wird fortgetragen.
Ein Beamter der holländischen Verwaltung entnimmt Plakate mit Richtlinien an die Bevölkerung seinem „pompösen Luxuswagen“. Die Proklamation an die Eltener Bevölkerung lautet: „Koninkrijk der Nederlanden. Kraft der Vereinbarung zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden ist das Gebiet, welches sich bis zur neugezogenen Grenze erstreckt, vorläufig den Niederlanden angeschlossen. In diesem Gebiet üben die deutschen Behörden keine Befugnisse mehr aus. Die Autorität wird von der niederländischen Verwaltung ausgeübt. Die örtliche Verwaltung obliegt dem Landdrost. Grundsätzlich findet das niederländische Recht Anwendung. Der Schutz von Gütern und Personen wird nach den niederländischen Gesetzen gewährleistet. Das öffentliche Leben findet normalen Fortgang. Der Minister des Innern.“
Provisorisches Zollhaus errichtet
Während sich die Gruppe der Schaulustigen im Ortskern langsam auflöst, errichten holländischen Beamte vom Zollgrenzschutz an der Wild auf der Straße nach Hüthum ein provisorisches Zollhaus. Auch die Journalisten, die ohne Pass in Holland sind, verlassen nach und nach den Ort.
Zuvor wird aber noch ein Abstecher in die Post gemacht. Denn dort sind deutsche Briefmarken an diesem Tag noch gültig, werden aber bereits „holländisch abgestempelt. Ein Leckerbissen für jeden Philatelisten“.
Der NRZ-Bericht endet ähnlich schwülstig, wie er begonnen wurde: „Zum letzten Mal grüßen wir das vertraute Elten und hoffen, recht bald wieder dort zu sein, denn das Wort ‚vorläufig‘ öffnet Brücken, die wohl im Augenblick gesperrt, aber nicht zerschlagen sind.“ Das vorläufig wird dann exakt 5213 Tage dauern. Am 1. August 1963 wird Elten wieder deutsch.
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