Rees. SPD-Bürgermeisterkandidat Bodo Wißen kann sich Carsharing-Modelle fürs Dorf vorstellen – aber kein bezahltes Parken auf dem Reeser Marktplatz.
Am kommenden Sonntag wird in Rees gewählt. Die beiden Bürgermeisterkandidaten Bodo Wißen (SPD) und Sebastian Hense (CDU) haben anstrengende Wochen hinter sich und legen jetzt den Endspurt ein. Die NRZ traf sich mit beiden, um über ausgesuchte Themen zu diskutieren. Den Auftakt macht heute Bodo Wißen, am Mittwoch drucken wir das Interview mit Sebastian Hense.
Für einen Bürgermeister stehen ganz entscheidende Jahre an. In den nächsten sieben Jahren muss in Sachen Klimaschutz, Verkehrspolitik und Energiewende eine ganze Menge passieren, wenn wir irgendwie klimaneutral werden wollen. Welche Entwicklung soll der Verkehr während ihrer Amtszeit in Rees nehmen? Ist das Auto auch in sieben Jahren nach wie vor ein Lebensmittelpunkt?
Dank des Klimaschutzkonzeptes wissen wir, dass 57 Prozent der Treibhausgasemissionen in Rees aus dem Verkehrssektor stammen. Leider haben wir nur auf einen Bruchteil wirklich Einfluss. Zum einen trägt die Binnenschifffahrt, die ökologisch zweifellos sinnvoll ist, dazu bei und zum anderen wird uns auch die A3 angerechnet. Für die Menschen, die hier leben, spielt das Auto eine zentrale Rolle – ob wir das gut finden oder nicht. Die meisten haben zwei oder auch drei Autos. Oft ist das dritte Auto dann das Elektroauto.
Der Verkehr der Zukunft soll klimaneutral sein, also wenig Schadstoffe ausstoßen. Er soll aber auch bezahlbar sein, weil das auch eine soziale Frage ist. Und er soll einfach sein. Ich habe die Hoffnung, dass wir den Anteil des individuellen Verkehrs auch in Rees etwas herunterdrücken können. Wir haben jetzt ein super Angebot mit den X-Bussen. Man kommt prima von Rees nach Kleve und wir haben mittlerweile einen guten Stundentakt von Haldern nach Rees.
Natürlich: Was macht ein Mensch aus der Wittenhorst, wenn er mit dem Bus nach Kleve will? Dann müsste er mit dem Auto nach Haldern und dann über Rees in den X-Bus. Macht das jemand? Vermutlich nicht. Die Komfortfrage wird sich auch in sieben Jahren noch nicht lösen lassen. Das Auto wird ein zentraler Bestandteil im Verkehrsmix bleiben.
Das Auto bleibt für den Individualverkehr die praktischste Lösung. Andererseits: Wenn hier in Haldern viele zwei bis drei Autos haben, dann ist das doch auch Wahnsinn. Was halten Sie von Carsharing-Modellen auf dem Dorf?
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Wir hatten das E-Stadtauto in Rees, welches Bürger auch nach den Dienstzeiten nutzen konnten. Mangels Nachfrage gibt es das Angebot an die Bevölkerung nicht mehr. Für Dienstfahrten wird es aber rege genutzt. Wir haben zudem immer wieder gefordert, dass es mehr E-Tankstellen geben soll – jetzt stehen wieder 28.000 Euro zur Mitfinanzierung im Haushalt, immerhin. Auch in den Ortsteilen benötigen wir dringend E-Ladesäulen, hier sind wird unterentwickelt.
Als ich in Brüssel gewohnt habe, habe ich auch das dortige Carsharing-System genutzt. Aber Carsharing in Brüssel ist etwas anderes als Carsharing in Rees.
Aber warum ist das so? Wie viel Leute wohnen in Ihrer Nachbarschaft? Da könnte man sich doch ein Auto teilen.
Ich hätte keine Schmerzen, wenn diese Nachbarschaft sich einig wäre und es ein vertragliches Modell gäbe. Oder wenn die Stadtwerke Rees auf der Gemeindebedarfsfläche zwei, drei Autos hinstellen, die jeder gegen eine Gebühr nutzen kann. Das fände ich eine tolle Sache und ich kann mir das vorstellen. Wenn ich weiß, dass in Haldern, Haffen oder Millingen auf dem Dorfplatz zwei, drei Autos stehen, die ich nutzen kann, dann wäre das attraktiv. Denn ein eigenes Auto steht über 23 Stunden nur rum.
Und ein Auto ist teuer.
Ja, es ist teuer und es verbraucht Platz. Es spricht am Ende viel für solche Modelle.
Braucht es bezahltes Parken auf dem Reeser Marktplatz?
Rees ist sehr autofreundlich. Auf dem Marktplatz muss man nichts bezahlen, nur die Parkscheibe stellen. Sollte man es dem Autofahrer ein stückweit ungemütlicher machen?
Der Marktplatz ist riesengroß und zum Glück nicht mehr ganz der Parkplatz, den ich noch von früher kenne, als er wirklich komplett belegt war. Ob man jetzt die Parkflächen weiter einschränken muss – ich weiß nicht. Ich bin eher dafür, dass auf dem Markt Abendmärkte organisiert werden und dass auch Märkte an der Rheinpromenade stattfinden. Den Autoverkehr einzuschränken, war immer mal Thema, etwa der Parkautomat mit Brötchentaste. Ich finde, dass es jetzt so in Ordnung ist.
Die Idee: Wir drangsalieren Autofahrer und machen es denen ungemütlich, würde jetzt nicht zur Belebung des Marktes, der Dell- oder der Fallstraße führen. Das ist so eine Verbotsdenke, die liegt mir fern. Ich fände es allerdings gut, wenn auf den Marktplätzen in den Dörfern, etwa in Millingen, Haldern oder Mehr, das Auto nicht mehr so dominant ist.
Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass wir die Reeser Innenstadt viel stärker auf den Fuß- und Radverkehr ausrichten und hier ein Shared Space einführen, bei dem der langsamste Verkehrsteilnehmer das Tempo vorgibt. Autofahrer fahren dann bewusst langsam – so etwas kann man in Wesel beobachten. Wir könnten so den Markt bzw. Dell- und Fallstraße gestalten oder die Lindenstraße in Haldern. Ich habe nichts dagegen, bei der Verkehrsplanung den Blickwinkel eines Radfahrers oder eines kleinen Kindes einzunehmen. Wir sollten Radstraßen auch nicht nur dort ausweisen, wo sowieso kein Auto fährt. Das ist dann pseudomäßige Fahrradförderung.
Die Rolle der Stadtwerke Rees bei der Energiewende
Welche Aufgaben sollten die Stadtwerke Rees bei der Energiewende übernehmen?
Die Stadtwerke müssen die Elektromobilität fördern, durch günstige Tarife etwa. Ich stelle mir auch vor, dass die Stadtwerke künftig bei der bürokratischen Abwicklung von Photovoltaikanlagen noch stärker behilflich sind. Denn da gibt es noch eine Menge Bürokratie, wie wir bei der Installation unserer eigenen PV-Anlage erfahren haben. Die Stadtwerke speisen schon jetzt Strom ein und sind somit Vorbild. Natürlich kann das auch noch mehr werden.
Was Erneuerbare Energien angeht, sind wir in Rees gut aufgestellt. Wir produzieren mit unseren Windrädern mehr als doppelt so viel, wie wir verbrauchen. Das ist vorbildlich. Wir Sozialdemokraten in Rees haben früh gesagt: Wir wollen Windkraft und wir wollen auch Einfluss darauf haben, wo die Erträge hingehen. Jetzt profitiert eine Stiftung davon, die jährlich 60.000 Euro an Vereine ausschütten kann. Das ist der richtige Weg.
Bei der regenerativen Wärmeversorgung gibt es aber noch deutlich Luft nach oben.
In der Tat, da können wir noch mehr machen. Vor allem beim Thema Biomasse sehe ich noch Potenzial, gerade weil wir viele Landwirte haben.
Wird Rees die Ganztagsbetreuung finanziell stemmen können?
Anderes Thema: 2026 gibt es einen gesetzlichen Anspruch auf eine Ganztagsbetreuung. Der Kämmerer hat bereits gesagt, dass an jedem Standort etwas baulich verändert werden müsste. Aber dies sei nicht finanzierbar.
Die Realität ist doch, dass wir die höchste Frauenerwerbsquote haben, die wir je hatten. Sie liegt bei 72 Prozent. Wir können es Drehen und Wenden wie wir wollen: Es ist der Normalfall, dass Kindererziehung zum Großteil von Frauen geleistet wird. Ich vertrete selbst eine andere Auffassung, habe selbst ein Jahr Elternzeit genommen, aber der Normalfall ist anders. Das macht es auch einfach nötig, dass wir einen qualitativ guten Ganztag anbieten können. Wir müssen uns hier der Realität anpassen.
Und da beginnt das Problem: Wenn eine Stadt wie Rees, mit für das Jahr 2023 prognostizierten Ausgaben von 57 Millionen und Einnahmen von 53 Millionen, so einen gesetzlichen Auftrag erfüllen muss, dann wird das schwierig. Trotz allem haben wir es in Rees bislang gut geschafft, den Bedarfen gerecht zu werden.
Der Anspruch an die Ausstattung der Schulen ist hoch. Wir haben gut ausgestattete Schulen, wir haben einen energetisch hohen Standard und haben früh mit der Digitalisierung begonnen. Wir stecken jetzt 1,7 Millionen Euro in eine neue Turnhalle in Haldern. Aber in der Tat: Der Ganztag ist eine Nummer.
Auch wird es schwierig werden, Personal für den Ganztag zu finden.
Oh ja. Qualität hat vor allem auch mit Menschen zu tun. Und gutes Personal ist nicht leicht zu finden. Aber das ist mittlerweile in fast allen Bereichen so. Wer soll denn all die PV-Anlagen auf die Dächer bringen? Den Arbeitskräftemangel gibt es überall: in der Gastronomie, bei den Erneuerbaren Energien und vor allem bei der Bildung – in den Kitas und in den Schulen.
Kann eine Stadt da unterstützend tätig wirken?
Wir haben das teilweise bei den Ärzten geschafft. Und ich kann mir durchaus vorstellen, dass eine Wirtschaftsförderung oder Stadtentwicklungsgesellschaft auch aktiv wird, um einer Erzieherin günstigen Wohnraum zu beschaffen.
Warum ist nach den Wahlen von Bürgernähe so wenig zu hören?
Vor der Wahl wird die „Bürgernähe“ immer sehr großgeschrieben. Danach hört man davon wenig bis gar nichts mehr. Warum ist das so? Ist man als Bürgermeister dann so in seinem Alltagsgeschäft gefangen, das man keine Kraft mehr hat, um sich bürgernah zu zeigen?
Auch der Tag eines Bürgermeisters hat 24 Stunden. Ein Bürgermeister arbeitet am Abend und am Wochenende und er geht sinnigerweise auch zu vielen Veranstaltungen. Da zeigt sich dann auch Bürgernähe. Ich habe als stellvertretender Bürgermeister an acht Schützenfesten teilgenommen und an ganz vielen Karnevalsveranstaltungen und ich habe immer erlebt, dass die Menschen auf mich zugekommen sind und mir ihre Dinge geschildert haben. Meine Handynummer steht auf jedem Flyer und bislang habe ich meistens positive Reaktionen erhalten.
Wie sehen Sie die Bürgerpartizipation bei politischen Entscheidungen? Es gibt viele Möglichkeiten, Bürger in den politischen Prozess einzubeziehen. Aber auch da hat man oft den Eindruck, dass am Ende nur wenig von den Bürgerideen umgesetzt wird. Wie schafft man es, Bürger besser in die Entscheidungsprozesse einzubinden?
Wo Bürgerbeteiligung sehr gut gelungen ist, ist beim Radwege- und beim Wirtschaftswegekonzept. Hier wurde in den unterschiedlichen Ortsteilen mit den Landwirten gesprochen. Ebenso beim Dorfentwicklungskonzept in Millingen und Haldern. Die Leute, die es unmittelbar betrifft, sollte man in den Planungsprozess einbeziehen. Man muss aber auch ehrlich sein: Wenn man Dinge nicht selbst entscheiden kann oder diese nicht umzusetzen sind, muss man dies offen und klar sagen.