Emmerich-Hüthum. Sorge um Zukunft des Erdbeer-Anbaus: Landwirt könnte sich vorstellen, solidarische Landwirtschaft zu testen. Interessensabfrage über die NRZ.

Immerhin. Nachdem die NRZ davon berichtet hat, dass Bauer Alexander Bossmann ob des derzeit schlechten Erdbeer-Verkaufs darüber nachdenkt, künftig keine Erdbeeren mehr anzubauen, fühlten sich wohl einige Kunden wachgerüttelt: „Der Verkauf ist besser geworden. Der Zeitungsartikel hat etwas gebracht. Trotzdem sind wir noch nicht bei dem durchschnittlichen Niveau.“ Nach wie vor sei also unklar, ob der Erdbeer-Anbau fortgeführt wird.

Deshalb könnte sich der Landwirt ein Projekt vorstellen: eine solidarische Landwirtschaft (Solawi). „Ich würde das ausprobieren. Auch wenn ich noch nicht sicher bin, ob sich das realisieren ließe“, sagt Bossmann. Gerne würde er deshalb über die NRZ abfragen, ob es Interesse daran gibt. Die Leser sind aufgerufen, ihre Meinungen und Anregungen einzubringen, um in Emmerich vielleicht ein spannendes Projekt zu starten.

Solawi würde auch gegen den Personalmangel helfen

Was hat es mit Solawi auf sich? Es geht darum, dass Interessierte – das können auch Gruppen sein wie Nachbarschaften, Schulklassen oder Vereinigungen – eine Reihe auf dem Feld des Ingenhofs vertraglich zu günstigen Konditionen anmieten, dann aber selbst in der Erntezeit geregelt ihre Früchte ernten kommen. Die Mieter kämen in den Genuss von günstigen Erdbeeren; Landwirt Bossmann hätte eine Fläche sinnvoll vermarktet und kann dem immer stärker werdenden Personalmangel entgegenwirken. Und aus Emmericher Sicht: Die Zukunft von Erdbeeren aus Emmerich wäre stabilisiert.

Diese ersten Erdbeeren bekommen Selbstpflücker sonst nicht. Denn die Reihen werden erst nach zehn Tagen Pflücken dafür freigegeben. Wer allerdings eine Reihe mietet, hat den Erstzugriff auch inklusive.
Diese ersten Erdbeeren bekommen Selbstpflücker sonst nicht. Denn die Reihen werden erst nach zehn Tagen Pflücken dafür freigegeben. Wer allerdings eine Reihe mietet, hat den Erstzugriff auch inklusive. © Funke Foto Services GmbH | Thorsten Lindekamp

Der Hüthumer hat sich auch Gedanken gemacht, wie konkret aufgeteilt werden könnte. Zu klein dürfen die Parzellen nicht sein, sonst wäre es für den Landwirt zu kompliziert. Bossmann könnte je 24 Meter lange Parzellen anbieten.

Solawi-Pflücker könnten das Pfund Erdbeeren bestenfalls für einen Euro bekommen

Pro Meter ist mit einem Ertrag von durchschnittlich zwei Kilo zu rechnen, läuft’s gut auch drei Kilo, läuft’s schlecht nur ein Kilo. Bossmann rechnet mit dem Durchschnitt und würde vier Euro pro Meter an Miete nehmen: „Wenn man vernünftig pflückt, dann zahlt man einen Euro pro Pfund Erdbeeren.“ Wer nicht diszipliniert pflückt, wird nicht so einen günstigen Preis pro Pfund erzielen. Eine Reihe würde also 96 Euro kosten und wäre vorab zu bezahlen; schließlich beginnt Bossmann die Anpflanzung im Herbst.

Und noch ein Vorteil: Selbstpflücker dürfen sonst nur in die Bereiche, wo die Profis schon mehrmals gepflückt haben. Die Solawi-Gruppe sichert sich den Erstzugriff mit den besten Früchten. Auch die Vorgabe, auf dem Feld möglichst wenig zu naschen, fiele hier weg. Es könnten sogar alle Beeren direkt vom Feld im Mund landen.

Die Solawi-Pflücker wären unabhängig von Öffnungszeiten

Neben der Bewässerung kümmert sich Bossmann auch um den Pflanzenschutz. Und die Beratung bekommen die Mieter natürlich auch. Eine Tafel vor Ort könnte aufzeigen, wie am besten zu pflücken ist. Ein Vorteil könnte sein, dass die Solawi-Gruppe auch außerhalb der Öffnungszeiten von 10 bis 17 Uhr, samstags von 9 bis 18 Uhr, pflücken könnte: „Wenn die Sonne scheint um 6 Uhr, dann können sie ja auch vor der Arbeit kommen.“ Zudem regt Bossmann eine Chatgruppe an, wo der Landwirt dann Hinweise geben kann: „Zum Beispiel, wenn es so heiß ist, dass ich nachmittags bewässern muss. Dann sollte keiner kommen, der beim Pflücken nicht nass werden will.“

Bossmann räumt ein, dass er auch kritische Aspekte sieht: Wie lasse sich sicherstellen, dass die Kunden nicht die besonders rote Erdbeere der Nachbarreihe klauen? Wie wird sichergestellt, dass die Mieter auch diszipliniert ernten kommen? Denn nur dann lohnt sich das Projekt. In der Hochzeit muss täglich geerntet werden, sonst alle zwei bis vier Tage. Sonst verfaulen die Früchte. Bossmann sieht sich zudem nicht in der Lage zu kontrollieren, dass nur zugangsberechtigte Personen pflücken: „Vielleicht erstellen die Mieter ein Schild für ihre Reihe, auf dem erkenntlich wird, wer hier pflücken darf“, denkt Bossmann über Transparenz nach. Neben dem Namen wäre auch eine Kontaktnummer denkbar. Und auch über das Abtreten von Pflückberechtigungen ließe sich unterhalten.

Rückmeldungen gerne per Email

Bestenfalls könnte das Projekt sogar die Wertschätzung gegenüber der Produktion von Lebensmitteln steigern. Gerade deshalb könnte es für Schulklassen interessant sein. Und es wäre interessant zu sehen, wie das Vertrauen zu den Mitmenschen gelebt wird.

Auch für Alexander Bossmann wäre das Solawi-Projekt Neuland. Aber er würde es mit den Emmerichern probieren, wenn sich genügend Menschen interessieren. Eine nennenswerte Anzahl sollte schon zusammen kommen. „Wir wollen jetzt erstmal ein Stimmungsbild einfangen. Es dürfen auch Bedenken und Anregungen geäußert werden“, sagt Bossmann. Zeigt sich Interesse, dann könne man konkreter überlegen. Rückmeldungen bitte bis Dienstag, 21. Juni, per Mail an e. Die Ernte läuft noch zwei Wochen. Wer testen will, ob er mit dem Pflücken zurecht kommt, kann es noch als Selbstpflücker am Ingenhof ausprobieren.

>> Am Anfang pflückten die Hüthumer Hausfrauen

Das Pflücken der Erdbeeren am Ingenhof hat eine lange Geschichte: „In den 60er-Jahren waren es die Hüthumer Hausfrauen, die hier gepflückt haben. In den 70ern kamen die Kurden. Das hielt bis in die 80er und 90er an. Aber sie wurden älter und es rückte nicht genug nach“, schildert Bossmann.

In den 2000er-Jahren holte der Landwirt dann Polinnen nach Hüthum. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung in Polen wurde es immer schwerer, sie für die Arbeit am Ingenhof zu locken. „Mit dem Ukraine-Krieg ist die Lage noch viel schwieriger“, schildert Bossmann die aktuelle Personalnot. In der unsicheren Lage mögen viele Polinnen ihr Heim nicht allein lassen, zumal viele in Grenznähe wohnten.