Emmerich. Pfarrer Peter Kossen sprach in Emmerich zur Leiharbeiter-Situation. Für ihn ist das Verbot der Werksverträge ein erster, richtiger Schritt.

Viele werden sich bestimmt noch an den Gottesdienst vor mehr als zehn Jahren in der Liebfrauenkirche in Emmerich erinnern. Damals prangerte Peter Kossen die Leiharbeiter-Situation vor Ort in seiner Seelsorgeeinheit St. Christophorus und Johannes der Täufer an. Was damals vielleicht eher selten war, bringt der heutige Pfarrer im westfälischen Lengerich immer wieder auf den Punkt: die moderne Versklavung von Menschen aus Rumänien, Bulgarien oder Polen. Gerade in der Fleischindustrie – aber nicht nur da.

„Das System Ausbeutung läuft, läuft und läuft. Die Fleischindustrie behandelt im großen Stil Arbeitsmigranten wie Maschinen, die man bei externen Dienstleistern (Anmerkung: Werksvertragsunternehmen) anmietet, benutzt und nach Verschleiß austauscht“, bringt es Kossen bei einem Vortrag auf Einladung der SPD im Saal Kapaunenberg auf den Punkt.

Bewegendes Thema in Emmerich

„Auch wenn das Thema vielleicht aktuell wieder in den Hintergrund geraten ist“, so SPD-Frau und Moderatorin Andrea Schaffeld. Es bewegt die Leute in der Rheinstadt. Fast 80 Bürger der verschiedenen politischen Couleur, Vertreter von Organisationen und vielen mehr brennt das Thema unter den Nägeln. Schließlich ist Peter Kossen, so Bürgermeister Peter Hinze, „das Gesicht zu diesem Thema“.

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Unverblümt, wegen seiner aufrichtigen Art, weiß Kossen: „Dass diese Menschen als gleichwertige Mitbürger und Nachbarn gelten und nicht missbraucht als Billiglöhner und Drecksarbeiter werden, davon sind wir noch weit entfernt.“ Aber als ersten Schritt in die richtige Richtung bezeichnet er das gesetzliche Verbot der Werksvertrags- und Leiharbeit im Kerngeschäft der Fleischindustrie ab 2021.

Forderung nach europäischer Lösung

Es sei damit ein Anfang gemacht: „Weitere Schritte und Branchen müssen folgen.“ Das geplante Gesetz bringe Verbesserungen für die in Emmerich lebenden Leiharbeiter, die in den Niederlanden tätig seien, so Dr. Barbara Hendricks (MdB). Die Verbesserungen gelten schließlich innerhalb und außerhalb des Betriebsgeländes, gerade wenn es um die Kontrollen der Arbeitsschutzbehörden ginge.

Aber, und das wurde mehrfach im Verlauf des zweistündigen Abends auch von den Zuhörern immer wieder angemerkt: Es müsse auf Dauer ein europäische Lösung her. Diakon em. Max Puttkammer vermutet, dass die „Verantwortlichen trotz des Gesetztes Lücken finden“. Auch Bernd Pastoors „traut dem Braten nicht.“ Direkt am Tag als das Gesetz auf den Weg gebracht wurde, habe Bernd Tönnies 15 neue Gesellschaften gegründet. „Es gibt 100.000 Möglichkeiten dieses Gesetz zu umgehen.“

Kirche als mächtige Instanz

Und Manfred Hieret mahnt: „Dringend muss die Lobbyarbeit unterbunden werden.“ Anni Görtzen sieht das Problem ganz woanders: Wenn man in den Ländern Entwicklungshilfe betreiben würde, bräuchten sie nicht zum Arbeiten nach Deutschland kommen.

Eines ist für Pfarrer Peter Kossen ganz wichtig: „Die Herausforderung der Integration der Arbeitsmigranten vor Ort und ihrer Familien anzunehmen.“ So wie es vor fünf Jahren bei der Flüchtlingshilfe war. Das wünscht er sich jetzt. „Wir müssen uns um die Menschen kümmern“, so Udo Jessner. Von Irene Möllenbeck kommt in Richtung Kossen abschließend der Appell: „Kirche ist eine mächtige Instanz. Neben Ihrer Stimme ist die Stimme der Katholischen Kirche in Deutschland wichtig.“ Denn sie könne die Politik unter Druck setzen.

>>>Ein wichtiger Beitrag

Anfang des vergangenen Jahres wurde der Verein „Aktion Würde und Gerechtigkeit“ gegründet. Sein Ziel ist die Unterstützung und Stärkung von Arbeitsmigranten aus Ost- und Südosteuropa bei der Durchsetzung ihrer Rechte. Vorsitzender ist Peter Kossen. Weitere Infos unter www.wuerde-gerechtigkeit.de.

Das Buch „System Tönnies” – organisierte Kriminalität und moderne Sklaverei, an dem auch Peter Kossen mitgearbeitet hat, ist im Berliner Verlag Die Buchmacherei zum Preis von zehn Euro erschienen. Unter anderem ist es bei Leselust in Emmerich erhältlich.

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