Für viele Menschen in Emmerich ist Stadtpfarrer Peter Kossen (40) so etwas wie der „Emmericher des Jahres”. Andere nennen ihn einen Sozialromantiker, manche kritisieren ihn als Unruhestifter.

Unstrittig ist: Der Geistliche hat in Emmerich vor allem mit seiner Predigt gegen die Löhne bei Konica Minolta, mit seiner öffentlichen Kritik an KAB und Kolping-Familie die Stadtgespräche 2008 bestimmt. Die NRZ hat mit ihm über das Echo auf seine Kritik, über das Gemeindeleben und über Weihnachten gesprochen.

NRZ: Herr Kossen, für manche sind Sie ein moderner Held, für andere ein Querulant.

Kossen: Stimmt beides nicht. Es gehört zu meinem Amt, Dinge auf den Punkt zu bringen. Dazu gehören nicht nur allgemeine, sondern auch konkrete Wahrheiten.

NRZ: Was war der Auslöser für Ihre Kritik von der Kanzel?

Zur Person

Peter Kossen wurde am 12. Dezember 1968 in Niedersachsen geboren.

Er wuchs in Rechterfeld (Kreis Vechta) als Sohn eines Bundesbahnbeamten und einer Küsterin auf. Er studierte in Münster und Rom, war Pastor in Recklinghausen und Nordwalde bei Steinfurt, kam 2004 nach Emmerich. Hier engagiert sich der Fan des SV Werder Bremen in der Freiwilligen Feuerwehr. Fernsehschauen kommt für ihn nicht in Frage. (pw)

Kossen: Es war eine Summe von Schilderungen dessen, was Arbeitnehmern heute zugemutet wird, nicht nur bei Konica-Minolta. Ich habe Familien mit mehreren Kindern besucht, die vor wenigen Jahren noch als ,bürgerlich' galten. Diese Leute haben heute Probleme, über die Runden zu kommen.

NRZ: Wie fiel das Echo auf ihre Schelte aus?

Kossen: Als ich Bürgermeister Diks kurz darauf traf, sagte er: ,Überall wird über die Sache diskutiert.' Viele Menschen, die ich nicht kannte, haben mich angesprochen und mir geschrieben. Sie sagten: Gut, dass dass das mal jemand ausspricht.

NRZ: Gab es auch negative Reaktionen?

Kossen: Es gab Leute, die sagten: ,Sie zündeln!' Ihr Vorwurf war, ich spielte Radikalen in die Hände. Aber ich habe die Probleme nicht geschaffen, sondern sie nur angesprochen.

NRZ: Geschaffen wurden solche Löhne durch globalen Wettbewerbsdruck und das Konzept der Zeitarbeit.

Kossen: Auch die Job AG (Zeitarbeitsfirma, d. Red.) hat reagiert. Zwei Vorstandsmitglieder baten um ein Gespräch. Sie sagten: ‚Wir wissen auch, dass man von 925 Euro netto im Monat nicht leben kann.' Sie betrachten den Lohn als Einstiegsgehalt. Das klingt vernünftig – sofern die Zeitarbeiter später eingestellt werden. Ich habe kürzlich aber wieder anderes erlebt: Eine Frau, die bei Siemens in Bocholt als Zeitarbeiterin unter sieben Euro verdiente. Vor drei Wochen wurde sie weggeschickt. Ich kenne einige Zeitarbeiter, die diesen Status über Jahre nicht losgeworden sind.

"Manchmal muss man konkret werden, um gehört zu werden"

NRZ: Würden Sie die Sache heute anders angehen?

Kossen: Ich würde besser recherchieren. Ich wusste vor meiner Kritik an Konica Minolta nicht, dass Zeitarbeit und diese Löhne so weit verbreitet sind – auch in Emmerich, auch im christlichen Krankenhaus. Diese Hinweise hat mir auch unser Bürgermeister gegeben. Dann stellt sich die Frage, ob man einen für alle an den Pranger stellen kann. Aber manchmal muss man konkret werden, um gehört zu werden.

NRZ: Woraus leiten Sie ihre Berechtigung und Verantwortung für öffentliche Kritik ab?

Kossen: Zum Beispiel aus der Weihnachtsbotschaft. Die beinhaltet auch: Frieden gibt es nur durch soziale Gerechtigkeit. Frieden ist nicht Stillhalten und Beruhigen. Die frohe Botschaft wurde zuerst den Hirten verkündet, das waren arme Leute. Die Armen sind die Lieblinge Gottes – wobei Reiche natürlich nicht schlecht sind, nur weil sie reich sind und Arme nicht gut, weil sie arm sind.

NRZ: Sie haben neben der KAB auch die Kolping-Familie in Emmerich kritisiert. Warum öffentlich?

Kossen: Da habe ich die Zeitungen ein bisschen missbraucht. In der Versammlung waren 53 Mitglieder, es gibt aber rund 200. Ich wollte alle erreichen. Außerdem tut es der Kolping-Familie gut, wenn darüber diskutiert wird, dass sie auch politisch aktiv sein sollte. Von ihr und der KAB hätte ich mir gewünscht, dass sie sich mehr in die Zeitarbeits-Debatte eingemischt hätten. Der Kommunal-Wahlkampf 2009 bietet ihnen neue Chancen: Da kann man Politiker aller Parteien etwa zu Podiumsdiskussionen zum Thema einladen.

NRZ: Haben Sie auch am Weihnachtsfest etwas zu kritisieren? Was gefällt Ihnen daran? Kossen: Ich finde es falsch, wenn es missbraucht wird, um Konflikte unter den Teppich zu kehren – in der Politik und in den Familien. Trotzdem sollte man sich Mühe miteinander geben. Es gefällt mir, dass viele Junge, die nicht mehr in Emmerich leben, die im Beruf unter Druck stehen, zu ihren Verwandten zurückkehren. Hier kommen sie zur Besinnung. Im Tiefen ist es die Botschaft, dass es mit den Menschen und der Welt gut ausgeht.

NRZ: Predigen Sie auch zu Weihnachten kritisch?

Kossen: Mit Wirtschaftskritik werde ich mich zurückhalten, aber die Weihnachtsbotschaft fängt bei den Randgestalten der Gesellschaft an...

NRZ: Wie feiern Sie privat?

Kossen: Ich baue meine Tiroler Krippe auf, schmücke den Christbaum in der Kirche und werde mit den Alleinstehenden im Aldegundisheim feiern. Am 2. Weihnachtstag besuche ich meine Familie in Rechterfeld. Außerdem hole ich über Weihnachten Schlaf nach.

NRZ: Wie weit ist die tatsächliche Fusion der Gemeinden 2008 fortgeschritten?

Kossen: Wir waren zu Besuch bei unserer Partnergemeinde in Zentralafrika. Dort wurde uns bewusst: Andere Gemeinden haben viel größere Probleme. Auch wenn wir nur mit zwölf Emmerichern da waren, hat die ganze Gemeinde von der Lebens- und Glaubensfreude der Afrikaner profitiert. Das ist wichtig – auch weil die Wunden der Fusion noch nicht verheilt sind. Auch das tolle Fest zum 75-jährigen Jubiläum der Liebfrauenkirche hat uns einander näher gebracht.

NRZ: Was wünschen Sie sich für 2009 als Privatmensch, was als Mann der Kirche?

Kossen: Zu meinem Geburtstag hat mir die Gemeinde einen Segelkurs geschenkt. Ich hoffe, dass ich Gelegenheit dazu habe und auch, dass meine Gebete nicht zu kurz kommen. Als Pfarrer hoffe ich, dass wir noch mehr die Kluft überbrücken zwischen der Verkündigung und dem Leben der Leute.