duisburg-Hochheide. . Wenn Martin Hopfe auf den Auslöser drückt, sacken 320 Wohnungen zu 45.000 Tonnen Schutt zusammen. Ein Besuch auf der Baustelle in Hochheide.
Friedrich-Ebert-Straße 10-16 im Stadtteil Hochheide. Wer hier in den Keller geht, findet vermeintlich den Traum eines jeden Immobilienmaklers vor. Einen Keller nämlich, der nicht dunkel ist, sondern lichtdurchflutet. Bei diesem Untergeschoss würden die Makler aber bestimmt kapitulieren.
Er ist nämlich nur deshalb so hell, weil das 60 Meter hohe Haus ringsherum ausgeschachtet wurde. Zudem fehlen Wände. Auch dort, wo einst tragende Wände standen, weist die gesamte Etage beachtliche Lücken auf. Auf dem Boden liegen rote Schnüre, die aussehen wie etwas dickere Kabel. Der synthetische Sprengstoff darin soll dafür sorgen, dass das gesamte Hochhaus am Sonntag, 24. März 2019, wie ein Kartenhaus zusammenstürzt.
Martin Hopfe ist seit 36 Jahren im Geschäft
Verantwortlich für die Sprengung ist Martin Hopfe. Der 65-jährige Thüringer ist seit 36 Jahren im Geschäft, wie viele Sprengungen er bereits gemacht hat, kann er nicht genau beziffern. „Wir sprengen ja auch in Steinbrüchen, Hochhäuser waren es acht.“ Dazu kommen hunderte Schornsteine und andere Bauten. Etwa einmal pro Woche drückt Hopfe im Schnitt irgendwo in der Republik auf einen Auslöser.
Im Hochheider Keller steht Hopfe derweil mit seinem Kollegen Günter Franke an einer rund einen Meter breiten Wand mit Loch an der Seite. „CD28“ steht auf die Wand gesprüht. Die beiden Männer sorgen für Sprengstoff in CD28. Die roten Schläuche sind übrigens exakt so lang wie die zu sprengende Wand.
So wird der Sprengstoff angebracht
Günter Franke schiebt den Schlauch ins Bohrloch und befestigt mit Klebeband den Zünder. Das ist ein Kabel mit Stecker, alle 1450 Stecker werden vor der Zündung miteinander verbunden. Zur Explosion der Ladung kommt es übrigens nur dann, wenn auf den Auslöser gedrückt wurde.
„Jede Ladung hat eine eigene Adresse und wird vor der Sprengung einzeln angesteuert. Erst nachdem von allen Zündern eine Rückmeldung da ist, wird ausgelöst“, erklärt Projektleiter Marc Sommer. Die 1450 Bohrlöcher befinden sich im ersten Untergeschoss und auch in der 6. und 7. Etage des 20-Geschossers. Insgesamt detonieren um 12 Uhr 290 Kilo Sprengstoff.
Auch wenn für den erfahrenen Sprengingenieur Martin Hopfe jede Sprengung einzigartig und mit höchster Konzentration anzugehen ist, so hat der „Weiße Riese“ so seine Tücken. „Die Stahlbetonwände sind extrem hart, wären sie das nicht, hätten wir die Sprengladungen auch an den Wänden befestigen können, was deutlich weniger aufwändig gewesen wäre.
Diverse Sprengproben, einige klappten, andere nicht
Doch haben Sprengproben gezeigt, dass dies nicht ausreicht, es gab lediglich Schmauchspuren an der Wand aber keine Löcher.“ Also musste der Sprengstoff in die massiven Wände gesteckt werden. Je fester der Sprengstoff nämlich ummantelt ist, umso stärker die Sprengwirkung. „Wir sprechen hier von 6000 Metern pro Sekunde“, sagt Hopfe.
Zusätzliche Herausforderung für die Truppe der Thüringer Sprenggesellschaft: Der „Weiße Riese“ steht in einem dicht besiedelten Wohngebiet. Standardmäßig ausschließlich im Keller zu sprengen und den Riegel auf die Seite plumpsen zu lassen, wäre keine Alternative gewesen, der Ex-Wohnturm hätte so das ein oder andere Nachbarhaus unter sich begraben. Es kommt eine Art Falttechnik zum Einsatz. Marc Sommer erklärt: „Es gibt minimal verzögerte Sprengungen in der 6./7. Etage und im Keller. So sackt das Gebäude mehr oder weniger in sich zusammen.“
Becken mit 500.000 Liter Wasser
Diese Technik kommt in besiedelten Gebieten häufig zum Einsatz. Bei der Sprengung des „langen Oskar“, einem 100 Meter hohen Büroturm in der Hagener Innenstadt, haben Sommer und Kollegen bereits ähnlich gearbeitet. Damals, im Jahr 2004, wurde sogar gleich zwei Mal gefaltet.
Die Sprengung der Adresse Friedrich-Ebert-Straße 10-16 dauert acht bis zehn Sekunden, dann haben sich 320 Wohnungen in gewaltige 45.000 Tonnen Schutt verwandelt. Maschendrahtzaun an Pfeilern und Wänden sowie Textilfließ an den Fassaden sollen verhindern, dass größere Schuttbrocken weit umherfliegen.
Zudem sorgt die Feuerwehr dafür, dass nicht gar so viel Staub entsteht. Aus einem auf dem benachbarten Bürgermeister-Bongartz-Platz aufgebauten Becken pumpen sie 500 Kubikmeter (500.000 Liter) Wasser auf den einstürzenden Altbau. Dabei werden circa 35.000 Liter Wasser pro Minute in die Luft gebracht.
Er will am Vorabend ganz ruhig sein
Wenn am Samstagabend alle Vorbereitungen erledigt sind, geht die Truppe um Martin Hopfe traditionell zusammen Essen. Der hofft, am Abend einigermaßen ruhig zu sein, geht aber davon aus, dass dies eher nicht klappt. „Ich werde wohl wieder viel in Bewegung sein.“ Wenn der „Riese“ dann am Boden liegt und die Sprengung erfolgreich war, löst sich auch bei Martin Hopfe die Anspannung. In der Regel durch einen lauten Schrei...