Duisburg-Neumühl. Partys, Böller, illegale Führungen: Anwohner des leerstehenden St. Barbara-Hospitals kommen nicht mehr zur Ruhe. Sie erzählen Unglaubliches.
Einfach mal eine Nacht durchschlafen. Das wünschen sich Patricia Mallitzki-Bach und ihre Nachbarn sehnlichst. Unter der Woche geht das inzwischen wieder ganz gut, aber am Wochenende ist vor ihren Häusern in der eigentlich so beschaulichen Wohngegend in Neumühl noch immer die Hölle los. Das Problem: In unmittelbarer Nachbarschaft liegt das ehemalige St. Barbara-Hospital oder besser das, was von dem einst so imposanten Gebäudekomplex übriggeblieben ist.
Seit Ende Januar leiden die Anwohner unter einem regelrechten Barbara-Tourismus, der durch den Fund der Leiche auf dem verlassenen Gelände am 14. August noch massiv zugenommen habe. „Wochenlang war ab 22 Uhr das halbe Ruhrgebiet hier. Wir sehen ja an den Nummernschildern, wo die Leute herkommen. Sie wissen genau, dass das Ordnungsamt ab dann nicht mehr arbeitet“, erzählt Reiner Pohl.
Ehemaliges St. Barbara-Hospital in Duisburg-Neumühl zieht sogar Menschen aus dem Ausland an
Es reisen aber auch Menschen aus den Niederlanden und Belgien an, um sich in dem Lost Place umzugucken – was natürlich verboten ist. Inzwischen habe sich die Lage etwas beruhigt und „der Volksauflauf“ finde nur noch am Wochenende statt. „Dadrüber sind wir ja schon glücklich“, sagt Patricia Mallitzki-Bach.
Bis zu 16 Autos hätten sie schon an einem Abend gezählt. Pkw-Türen schlagen und Gespräche können nachts, wenn alles ruhig ist, schon nervig genug sein. Aber das, was Mallitzi-Bach, ihr Sohn und Reiner Pohl erzählen, macht sprachlos. Es sind nicht nur Geschichten, die drei können zum Erlebten auch Fotos und Videos zeigen.
Offenbar werden Führungen über das Areal angeboten – für 25 Euro
Da ist ein Pick-up, von dem aus Getränke verkauft werden. Oder es werden Grillpartys veranstaltet: Von einer Terrasse der Ex-Klinik aus habe neulich jemand lautstark frische Grillwürstchen für fünf Euro das Stück angeboten. Jedes Wochenende tauche ein Kleinbus mit Klever-Kennzeichen auf und spucke Menschen aus, die eine Führung durchs Barbara gebucht haben. Die Nachbarn haben einfach mal nachgefragt: „Die Tour kostet 25 Euro und dauert zwei Stunden“, erfahren sie. Gegen vier oder fünf Uhr ist es wieder ruhig hier in Neumühl. Zurück bleibt nur der Müll.
Dann schlage die Stunde eines Mannes aus Mülheim, der regelmäßig mit seinem Kombi vorfahre. Er trage einen Blaumann und habe eine Tasche mit Werkzeug über der Schulter. „Manchmal guckt eine Säge raus“, berichtet Patricia Mallitzki-Bach. Er entere das abgesperrte Gelände, komme bepackt zurück und verstaue seine Beute im Kofferraum. Offenbar ist im Barbara immer noch was zu holen, was sich verkaufen lässt.
Anwohner: Nach dem Leichenfund ist alles noch viel schlimmer geworden
Nach dem Leichenfund hat die Stadt das Gelände, das dem insolventen Investor Harfid aus Essen gehört, extra gesichert. Dafür ist eigentlich der Inhaber zuständig. Doch der sei total abgetaucht und für niemanden mehr erreichbar, berichtet SPD-Ratsherr Sebastian Haak. Auch mehrere Anfragen unserer Redaktion zur Zukunft des Areals ließ er unbeantwortet.
Also hat die Stadt den Zaun verstärkt. „Ersatzvornahme“ heißt dieses Prozedere, die Kosten dafür sollen Harfid in Rechnung gestellt werden. Der Zaun lässt sich jetzt nicht mehr aus den Bodenplatten herausheben.
Die zunächst platzierten Kabelbinder waren für alle Eindringlinge ein Kinderspiel. Die tauschte die Stadt gegen dickeren Rödeldraht aus. Das alles hält aber keine ungebetenen „Gäste“ ab. „Der Zaun wurde am 24. August verstärkt. Zwei Tage später stand er wieder offen“, berichtet Thomas Mallitzki. Das bestätigt auch Ratsherr Haak, der regelmäßig am Gelände vorbeischaut.
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Im Gebäude werden China-Böller abgefeuert und Menschen klettern aufs Dach
„In den Sommerferien war das Gelände der größte Spielplatz der Welt“, sagt Patricia Mallitzki-Bach und zeigt Fotos von Jugendlichen, die in schwindelerregender Höhe auf dem Dach stehen. „Sie werfen zum Beispiel Dachpfannen auf ein Wellblechdach. Wenn das nachts passiert, sitzen Sie aber kerzengerade im Bett.“ Oder wenn wieder China-Böller im Gebäude abgefeuert werden, aus Spaß auf Fensterscheiben geschossen wird.
Das ehemalige Barbara-Hospital ist ein Lost Place. Es gibt Menschen, deren Hobby es ist, diese verlassenen Orte zu besuchen und zu fotografieren – das ist eine weltweite Bewegung. Auch im Barbara waren sie schon unterwegs, haben Fotos im Internet veröffentlicht.
Mallitzki-Bach kennt die „Lost Placer“, die im Barbara unterwegs sind. „Die sieht und hört man nicht, sie hinterlassen keinen Müll. Mehr noch: Sie sorgen sich selbst um das Gelände.“ Mit der Konsequenz, dass sie manchmal abends rund ums Gelände laufen, offene Stellen im Zaun wieder mit Kabelbindern schließen und die „Touristen“ auffordern, nicht aufs Gelände zu gehen. Warnen davor, dass das sehr gefährlich sein kann.
Die Nachbarn möchten am Wochenende endlich wieder durchschlafen können
Offenbar sind die unerlaubten Besucher gut vernetzt und bestens informiert. „Am Tag des Leichenfundes war die Polizei kaum eine Stunde weg, da waren die Ersten schon wieder auf dem Gelände“, erinnert sich Thomas Mallitzki. So sei es auch bei Feuerwehreinsätzen: „Da stehen die Leute schon am Zaun und warten darauf, dass die Einsatzkräfte wegfahren, damit sie aufs Gelände können.“
Wenn die Nachbarn um etwas mehr Ruhe bitten, treffen sie nicht nur auf verständnisvolle Zeitgenossen. „Ein paar Tage, nachdem ich mit jemanden diskutiert habe, wurde mein Auto mit Kakao überschüttet“, berichtet Reiner Pohl. Patricia Mallitzki-Bachs Mann hatte neulich fast eine handfeste Auseinandersetzung. „Da habe ich die Polizei gerufen. Die hat dann einen Platzverweis ausgesprochen.“
Die Nerven in der Nachbarschaft liegen blank: „Wir sind der Sache machtlos ausgeliefert. Das geht an die Substanz“, fasst Reiner Pohl die Gemütslage aller zusammen. „Inzwischen ist es schon so, dass man beim kleinsten Geräusch aufspringt. Es muss doch endlich mal jemand etwas für uns tun“, ergänzt seine Nachbarin Patricia.
Könnte es helfen, die Öffnungen im Erdgeschoss der Gebäude zuzumauern?
Wer das sein soll? Sie wissen es nicht. Patricia Mallitzki-Bach war schon in der Bürgersprechstunde von OB Sören Link. „Er hat mir gesagt: Wir können nicht viel machen, es handelt sich um ein Privatgrundstück.“ Den Ärger könne der OB natürlich verstehen.
Die Anlieger würden sich wünschen, dass die Stadt die unteren Fenster zumauern lässt. „Bei der Begehung des Geländes wurde festgestellt, dass offene Baugruben und scharfe Bauteile ein hohes Risiko darstellen. Das bloße Verschließen der Öffnungen im Gebäude reicht aus unserer Sicht nicht aus, um die Gefahren zu beseitigen, da das Gelände selbst erhebliche Risiken birgt. Daher wurde in einem ersten Schritt beschlossen, mit einer vollständigen Absicherung des Geländes die Risiken zu minimieren“, entgegnet Stadtsprecher Sebastian Hiedels.
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Eine andere Idee der Anwohner, um wieder mehr Ruhe zu bekommen: ein absolutes Halteverbot in ihrer Straße am Wochenende. Aber auch davon hält die Stadt nichts: „Die Straßenverkehrsordnung bietet grundsätzlich keine Rechtsgrundlage zur Lösung des Problems von unerwünschten Personenansammlungen. Ein Haltverbot dürfte zudem lediglich zu einer Verlagerung der beschriebenen Ansammlungen führen“, so Hiedels.
Es sieht also nicht so aus, dass sich die Situation am ehemaligen Hospital so schnell verbessern wird. Mallitzki-Bach und Pohl graut es schon vor Halloween am 31. Oktober. Denn wo lässt es sich schließlich besser gruseln als in einem Lost Place, in dem eine Leiche gefunden wurde?
>> Polizei muss auch nach der Verstärkung des Zauns regelmäßig zum St. Barbara-Areal ausrücken
- Bis einschließlich August verzeichnet die Polizei Duisburg 2023 nach eigenen Angaben 139 Einsätze an dem Neumühler Gelände. „Allein im Mai waren es 28, im August 26. Wir haben Platzverweise ausgesprochen oder Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruch gestellt“, sagt Polizeisprecher Daniel Dabrowski.
- Die jüngsten Maßnahmen der Stadt, das Gelände besser gegen Eindringlinge zu schützen, fruchten offenbar nicht. „Auch danach mussten wir mehrere Einsätze fahren, zum Beispiel am 26. und 30. August. Am 29. August waren wir sogar zweimal da“, so der Sprecher.
- Sebastian Hiedels Pressesprecher der Stadt, bestätigt, dass es im zweiten Quartal vermehrt über Klagen „über mutwillige Zerstörungen der vorhandenen Absperrungen“ gegeben habe.
- „Die Untere Bauaufsicht hat daher die Kontrollen verstärkt. Außerdem fand Mitte Juni ein Ortstermin statt, um effektivere Sicherungsmaßnahmen zu ermitteln. Die Bauaufsicht hat die Kontrollen der Absperrung ab diesem Zeitpunkt noch weiter intensiviert. Auch der städtische Außendienst des Bürger- und Ordnungsamtes hat den Bereich seit Juli verstärkt bestreift“, sagt Hiedels.