Duisburg. Bei einer Mitgliederversammlung der IGBCE stellte sich der Betriebsrat den Fragen der Venator-Belegschaft. So soll es zu einer Lösung kommen.
Wie geht es im Homberger Chemie-Unternehmen Venator weiter nach den gescheiterten Sozialplan-Verhandlungen mit der Unternehmensführung? Diese Frage diskutierten etwa 70 Beschäftigte am Donnerstagabend bei der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) in der Ruhrorter Schifferbörse. Die Ratlosigkeit war schon in den Gesichtern der Mitarbeitenden erkennbar abzulesen.
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462 Menschen drohen am traditionsreichen Standort (vormals Sachtleben) aktuell ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Nach der Abbruch der Verhandlungen über einen Sozialplan (wir berichteten) versuchten der Betriebsrat und Zafer Ates, Bezirksleiter der Gewerkschaft, offene Fragen der Mitarbeitenden zu beantworten. Es war der Versuch, einen Blick in eine ungewisse Zukunft des Standorts zu werfen, dem ein Tod auf Raten droht.
Gewerkschafter: „Jetzt versuchen sie, so viel wie möglich herauszupressen“
Ates bezeichnet die Situation bei Venator als „Sinnbild der Krise“, in der sich die deutsche Chemiebranche aktuell befindet. Die Gewerkschaft begleitet derzeit viele solcher Fälle. Doch eine Besonderheit sticht heraus: Die Gewerkschaft verhandelt normalerweise gemeinsam mit den Vorständen und den Banken als Geldgeber über die Zukunft eines Unternehmens. Im Fall Venator ist es anders. Denn die Kreditgeber selbst sind die Eigentümer. Dieser Umstand habe die Verhandlungen äußerst schwierig gemacht und sie letztendlich zum Scheitern gebracht, berichten Gewerkschaft und Betriebsrat.
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Die Geschäftszahlen zeigen, wie es mit dem Traditionsunternehmen Sachtleben bergab ging: Ein Verlust von rund einer Milliarde US-Dollar häufte Venator PLC an seit 2017. Da hatte der vormalige Mehrheitseigner, der US-amerikanische Huntsman-Konzern, seine europäischen Pigment-Standorte in einem neuen Unternehmen gebündelt und an die Börse gebracht.
In einem Insolvenzverfahren stiegen im vergangenen Jahr die Kreditgeber ein der Banken ein. Venator habe seine Verbindlichkeiten damit auf rund 200 Millionen Dollar reduzieren können, teilte der Vorstand im Oktober 2023 mit. „Jetzt versuchen sie, so viel wie möglich aus dem Unternehmen herauszupressen“, vermutet Zafer Ates. Weil die Geldgeber nun ihr Geld zurückwollten, seien die Leidtragenden vor allem die Mitarbeitenden.
Neuer Anlauf für einen Sozialplan mit einem Schlichter der Einigungsstelle
Die Einigungsstelle wird nun angerufen, um doch noch einen Kompromiss für einen Sozialplan auszuhandeln. Wenn die Verhandlungen, die jetzt von einem Schlichter der Einigungsstelle geführt werden, ebenfalls scheitern, werden die Inhalte eines Sozialplans durch das Arbeitsgericht festgelegt. „Man hat das Gefühl, dass es scheitern sollte“, sagt Jörg Nadler, Betriebsrat von Venator. Denn die Unternehmensführung habe die Verhandlungen bereits nach wenigen Tagen abgebrochen.
Die Arbeitnehmervertreter und die Gewerkschaft vermuten, dass das Unternehmen mit der Schlichtung die Hoffnung verbindet, die Verhandlungen zügig voranzubringen. So könnte die Titandioxid-Produktion pünktlich zum 1. Juli 2024 eingestellt werden. „Eine solche Verhaltensweise kennen wir“, sagt Ates.
Die Unterstützung der Politik sei bislang eher zaghaft ausgefallen, findet der Gewerkschafter. Man habe sich an NRW-Arbeitsminister Laumann und NRW-Wirtschaftsministerin Neubaur gewandt. Sie hätten zwar die Prüfung finanzieller Unterstützung zugesagt, „aber die Politik versteht die Dramatik der Situation nicht“, so der Bezirksleiter.
Angst und Verunsicherung: Die Zukunft der Belegschaft bleibt weiterhin ungewiss
Mit Kündigungen ist erst nach einer Einigung zu rechnen. „Das wird aber eher früher als später geschehen“, sagt Uwe Sova, der Betriebsratsvorsitzende. Deshalb verschicken die IGBCE und Betriebsrat ab sofort Stellenangebote von potenziellen neuen Arbeitgebern. Wenn die nicht tarifgebunden sind, fallen die Löhne oft niedriger aus. Die Chancen für qualifizierte Venator-Beschäftigte gelten als gut: Auch die Chemieindustrie braucht Fachkräfte. Das Durchschnittsalter der Belegschaft liegt bei 47 Jahren.
Keiner der Beschäftigten will nach der Versammlung mit der Redaktion sprechen. Das hat Gründe: Der Betriebsratsvorsitzende Uwe Sova berichtet von Abmahnungen, die Mitarbeiter nach kritischen Äußerungen über das Unternehmen auf Social Media oder in der Presse erhalten haben.
Dabei belaste die aktuelle Situation viele Kolleginnen und Kollegen schwer, berichtet Sova. „Einige sind wegen Unterhaltsverpflichtungen oder Schulden auf ein regelmäßiges Einkommen angewiesen. Mit Werten wie Fairness und Respekt hat das hier nichts zu tun“, bedauert der Betriebsratsvorsitzende.