Duisburg. Venator will die Produktion von Titandioxid im Werk Homberg einstellen. Warum die Angst vor dem endgültigen Aus des Traditionsstandortes wächst.

Nach der Ankündigung der Europa-Zentrale von Venator, die Titandioxid-Produktion im Werk Homberg einzustellen und 462 von 822 Arbeitsplätzen zu streichen, wächst die Angst vor einem endgültigen Aus des Traditionsstandortes.

Die Lage des Unternehmens gibt Anlass zur Befürchtung, dass nach 132 Jahren die Chemieproduktion im traditionsreichen Sachtleben-Werk enden könnte.

IGBCE: 300 Telefonate mit Beschäftigten in Duisburg

Zafer Ates, Bezirksleiter der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) muss zunächst mit der angekündigten Massenentlassung in Essenberg umgehen. Am Tag der Hiobsbotschaft, dem 1. Februar, „habe ich 300 Telefonate mit Beschäftigten geführt“, berichtet Ates, „die Leute haben Angst“.

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Die Gewerkschaft ist krisenerfahren. „Wir haben viele solcher Prozess erlebt“, sagt Ates. Das heißt: Im Schulterschluss mit dem Betriebsrat in Verhandlungen mit der Geschäftsführung gehen. Nicht einfach bei Venator, ahnt er: „Die Geschäftsführer vor Ort haben nichts zu sagen, keinen Entscheidungsspielraum. Die Entscheidungen fallen in der Zentrale in England.“

Duisburg, IGBCE, Zafer Ates, Bezirksleiter Niederrhein
Duisburg, IGBCE, Zafer Ates, Bezirksleiter Niederrhein © igbce | IGBCE

Gewerkschaft: Müssen klären, ob Abbau ohne Sozialplan möglich ist

Zielrichtung sei es, den Jobabbau so sozialverträglich wie möglich zu gestalten. Ein Freiwilligen-Programm mit Ausscheiden über Abfindungen könnte eine Option für Ältere sein. „Wir müssen klären, ob es ohne Sozialplan geht.“ Der Fachkräftemangel könne Chancen für gut Qualifizierte in anderen Unternehmen eröffnen. „Auch im Venator-Werk in Krefeld gibt es offene Stellen.“

Venator hat in der vergangenen Woche angekündigt, den Geschäftsbereich Titandioxid (TiO2) nach Krefeld zu verlagern und dort „die Produktion durch Innovationen und Investitionen“ zu stärken. Aussagen zu möglichen Verlagerungen von Arbeitsplätzen von Homberg nach Uerdingen machte das Unternehmen bislang nicht.

Titandioxid-Produktion macht 80 Prozent des Umsatzes aus

Wie es weitergehen kann mit 360 Beschäftigten im Werk Homberg, das ist eine andere Frage. „Vielen glauben, dass es einen Tod auf Raten geben wird“, sagt Zafer Ates. Schon der Blick auf die Produktion gibt dazu Anlass: Etwa 80 Prozent des Umsatzes erzielt der Standort mit der Produktion von Titandioxid, die nun eingestellt werden soll, nur knapp 20 Prozent mit der Herstellung der so genannten „funktionalen Additiven“, speziellen Partikeln.

„Auf dieses Geschäft wird sich der Standort Duisburg künftig konzentrieren“, hat Venator angekündigt. Nach einer schlüssigen Zukunftsstrategie klingt der von Venator angekündigte „Transformationsplan“ für den IGBCE-Bezirksleiter nicht: „Ich habe nicht das Gefühl, dass man diesen Standort retten will.“

Ein wirtschaftlicher Betrieb sei angesichts hoher Betriebskosten und sinkender Umsatzerlöse kaum möglich, fürchten Gewerkschaft und Betriebsrat. Und in die Modernisierung des Werks seien seit der Übernahme durch den US-Konzern Huntsman, zu dem Venator gehört, „nur Kleckerbeträge“ investiert worden.

Geschäftszahlen von Venator geben wenig Anlass zu Optimismus

Auch die Geschäftszahlen geben wenig Anlass zum Optimismus: Die Venator Germany GmbH (Standorte Duisburg und Krefeld) schrieb laut der aktuellsten veröffentlichten Finanzberichte im Jahr 2020 einen Verlust in Höhe von rund 72,9 Millionen Euro, in 2021 waren es rund 49 Millionen Euro. Wenig besser dürfte es in den vergangenen beiden Jahren gelaufen sein. Die Verluste führten nur deshalb nicht in die Insolvenz, weil sie vom Konzern ausgeglichen wurden.

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Doch auch für die britische Muttergesellschaft Venator Materials PLC lief es wenig besser: Nettoverluste in Höhe von rund 116,4 Millionen Euro in 2020 reduzierten sich zwar in 2021 auf 83,8 Millionen Euro, nach 188 Millionen Euro Verlust in 2022 meldete das Unternehmen Insolvenz an. Das Verfahren ist nach einem Schuldenschnitt beendet, man sei nun „besser aufgestellt“, teilte der neue Vorstand mit.

Von seinem Anspruch, mit einer Produktionskapazität von weltweit rund 602.000 Tonnen pro Jahr (rund 465.000 Tonnen in Europa) einer der weltweit führenden und besten Pigment- und Additiv-Hersteller zu sein, hatte sich Venator zuletzt schrittweise verabschiedet. Der Hiobsbotschaft für Homberg war bereits die Aufgabe der Titandioxid-Produktion im finnischen Pori (2022) und die Einstellung des Werks Scarlino (Italien) vorausgegangen.

Werke von Wettbewerber Kronos sind rentabel

„Die Einstellung der Produktion in Duisburg bedauern wir zutiefst“, sagt Joachim von Schlenk-Barnsdorf, Vorsitzender des in Frankfurt ansässigen Verbands der Mineralfarbenindustrie (VdMi). Er nennt die Nachricht „ein Alarmsignal für den Industriestandort Deutschland“, insbesondere hohe Energiekosten und langwierige Genehmigungsverfahren gefährdeten die Wettbewerbsfähigkeit seiner Branche.

Die ist in Deutschland: Neben Venator ist die Kronos Titan GmbH der einzige weitere große Hersteller von Titandioxid (rd. 500.000 t/Jahr, 2500 Beschäftigte, zweites Werk in Nordenham). Die Leverkusener Zahlen zeigen, dass die Produktion durchaus lukrativ sein kann: Für 2020 meldete Kronos ein positives Ergebnis nach Steuern in Höhe von rund 35,7 Millionen Euro, rund 46,4 Millionen waren es im Jahr 2021. Die Zahlen deuten wohl darauf hin, dass die Probleme bei Venator auch hausgemacht sind.

MAHMUT ÖZDEMIR (SPD): WERDEN FÜR FÖRDERUNG KÄMPFEN

  • Als „Schock für unsere Region“ bezeichnen SPD-Politiker in Stadt, Land und Bund die angekündigten Massenentlassungen bei Venator.
  • „Wir werden alles tun, um die Arbeitsplätze zu sichern und für Förderungen kämpfen“, verspricht der Duisburger Parteivorsitzende und Bundestagsabgeordnete Mahmut Özdemir, selbst gebürtiger Homberger.
  • Seinen Einsatz „für jeden einzelnen Arbeitsplatz“ kündigt der Landtagsabgeordnete Benedikt Falszewski an: „ Ich erwarte diese Haltung auch von der schwarzgrünen Landesregierung.“
  • Auch er stehe an der Seite der Belegschaft, betont OB Sören Link: „Um Arbeitsplätze in der Region zu sichern und Duisburg für eine klimaneutrale Industrie zu rüsten, werden wir als Stadt auch weiter dafür arbeiten, dass sich Zukunftstechnologien und innovative Unternehmen hier ansiedeln.“