Duisburg-Homberg. Die von Rudolf Sachtleben gegründete Chemiefabrik hat Homberg geprägt. Ihr droht ein Tod auf Raten – nach einer wechselvollen Geschichte.
Die Besitzer wechselten mehrfach in der 132-jährigen Unternehmenshistorie, für die Homberger bleibt der Name Sachtleben. Unter der Führung von Venator, das zum US-Konzern Huntsman gehört, steht der Chemieproduzent vor dem größten Arbeitsplatzabbau seiner Geschichte. Mit der Einstellung der Produktion von Titandioxid, das Kerngeschäft des Werks, sollen über die Hälfte der 822 Jobs gestrichen werden. Dem Standort droht ein Tod auf Raten.
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Sachtleben: Geschichte des Werks am Duisburger Rheinufer beginnt im Jahr 1892
Die Geschichte des Werks am Essenberger Rheinufer beginnt im Jahr 1892: Rudolf Sachleben verlagert die Sachtleben & Co. Lithopone-Fabrik aus Schöningen, deren Leitung der junge Chemiker 1983 übernommen hatte.
Er hatte dort Lithopone entwickelt – der erste beständige Weißfarben-Grundstoff auf Basis von Zinksulfid und Bariumsulfat ersetzte die giftige Bleiweißfarbe. Der Erfolg des neuen Produkts führte zu einer schnellen Expansion des Unternehmens.
Neue technische Verfahren erweiterten die Produktpalette, im 2. Weltkrieg lieferte Sachleben auch die Grundstoffe für Tarnfarbe. Die Produktion, die 1944 nach schweren Luftangriffen zum Erliegen gekommen war, nahm das Werk 1946 wieder auf.
Seit 1962 wird im Homberger Werk Titandioxid produziert
Ab Mitte der 1950er Jahre wurden die Litopone abgelöst von Titandioxid, das in vielen Anwendungen überlegen war. Einem Joint-Venture mit DuPont de Nemours für die Pigment-Produktion in Wilmington (USA) folgte der Bau der Titandioxid-Anlage und der Schwefelsäurefabrik in Homberg, 1962 begann die Titandioxid-Produktion nach dem Sulfatverfahren. Fortan wuchs die Kapazität der Anlagen auf bis zu 100.000 Jahrestonnen.
Ein Braunkohle-Kraftwerk zur Lieferung der Prozesswärme ging 1971 in Betrieb. Eine Nanotechnologie-Anlage, ab dem Jahr 2000 errichtet, produziert ultrafeine Titandioxid-Partikel, die sowohl im UV-Schutz in Kosmetika als auch in der Kunststoff-, Farben- und Lack-Industrie Verwendung finden.
Der Name Sachtleben verschwand bereits vor zehn Jahren
Bereits 1972 wurde Sachtleben in den „Metallgesellschaft“-Konzern eingegliedert, der bereits seit 1926 eine Anteilsmehrheit hielt. Dann wurde das Unternehmen 2004 von multinationalen Rockwood Holdings übernommen, wenig später folgte die Übernahme des insolventen Uerdinger Konkurrenten Crenox, einer ehemaligen Bayer-Tochter.
Der US-Konzern Huntsman übernahm 2014 die Sparte Performance Additive und Titandioxid von Rockwood. Damit verschwand auch der Name Sachtleben aus dem Firmenlogo.
Die Umbenennung in Huntsman P&A Germany war jedoch von kurzer Dauer: 2017 gliederten die neuen Sachtleben-Eigner die Europa-Standorte der Pigmentsparte in eine eigene Gesellschaft aus, die sie als Venator Materials an die Börse brachten. Der Konzern mit Sitz in Wynyard (Großbritannien) beschäftigte an 27 Standorten mehr als 4000 Mitarbeiter. Die deutsche Gesellschaft firmiert seit 2018 als Venator Germany GmbH.
Arbeitsplatzabbau ist seit 2015 immer wieder ein Thema
Bei der Übernahme durch Huntsman vor fast zehn Jahren beschäftigte das Werk in Homberg noch 1150 Menschen. Doch das Versprechen, es werde keinen Jobabbau geben, hielt nicht lange: Bereits zum Jahreswechsel kündigte Huntsman damals an, 500 der insgesamt 1600 Stellen in Homberg und Uerdingen zu streichen. Betriebsbedingte Kündigungen verhinderte ein Abfindungsprogramm, 235 Beschäftigte nahmen in Homberg das Angebot an. Am Ende fiel die Reduzierung geringer aus, als ursprünglich geplant.
Auch unter Venator blieb die Lage kritisch. Im August 2019 kündigte die Standortleitung den Abbau von 180 der insgesamt rund 1000 Arbeitsplätze bis zum Jahr 2022 an. Die schwache Konjunktur und hohe Kosten belasteten das Ergebnis, argumentierte die Geschäftsführung.
Schocknachricht trifft die Belegschaft nicht überraschend
Die aktuelle Schocknachricht trifft die Belegschaft nicht aus heiterem Himmel: Bereits bei der Betriebsversammlung vor einem Jahr hatte die Geschäftsführung die Einstellung der Titandioxid-Produktion in Homberg ins Spiel gebracht.
Die Entscheidung, die der Konzern nun bestätigt hat, war damals bereits für die zweite Hälfte des vergangenen Jahres angekündigt worden. „Sollte es so kommen, wäre wahrscheinlich ein überwiegender Teil der Belegschaft betroffen“, sagte Jörg Nadler damals. Die Ahnung des Betriebsrats scheint sich nun dramatisch zu bestätigten.