Duisburg. Wenn die Eltern versagen: Bereitschaftspflegefamilien kümmern sich um kleine Kinder. Zwei Bereitschaftsmütter erzählen von ihrem emotionalen Job.

Per Anruf werden sie immer wieder neu Mama, ohne Schwangerschaft und monatelangen Vorlauf, aber mit großem Herzen und viel Empathie: Doris und Sandra sind Bereitschaftspflegemütter in Duisburg. Ihre Namen, ihre Gesichter zeigen wir zu ihrem Schutz nicht, denn ihr Eingreifen wird von den Ursprungsfamilien nicht immer positiv aufgenommen.

„Auffangen und Loslassen ist unsere Aufgabe“, sagt Sandra. Wenn der Anruf des Jugendamtes kommt, müssen die Frauen aufs Gas drücken und alles vorbereiten. Sie haben Spielzeug für jedes Alter da, Kleidung für Jungs und Mädchen, Windeln in allen möglichen Größen. Dann wird das Bettchen umgebaut, angepasst und wenig später liegt das Kind im Arm oder steht in der Tür.

Bereitschaftspflegefamilien umsorgen schon winzigste Babys in Not

Ihr kleinster Gast war kaum einen Tag alt, „die Mutter ist aus dem Krankenhaus verschwunden“, erinnert sich Sandra, bei Doris war das jüngste Baby vier Tage alt. Von 0 bis 6 Jahren nehmen sie auf, ältere Kinder kommen in Einrichtungen.

„Viele weinen, wenn sie ankommen“, sagt Doris, „sie sind ganz durcheinander, haben vielleicht etwas Traumatisches erlebt, dann müssen wir erst mal Ruhe reinbringen“. Halten. Versorgen. Viele haben stundenlang nichts gegessen oder getrunken, keine frische Windel. Beim Beruhigen helfen auch die Kinder von Sandra, der Hund, die Katze. Bei Doris, deren Dauerpflegekinder schon aus dem Haus sind, unterstützt der Ehemann.

Jedes Kind sei anders, eine „Gebrauchsanweisung bekommen wir nicht“, sagt Sandra. „Wir brauchen Improvisationstalent“, ergänzt Doris. Sie beobachten die Kinder, deren Verhalten beim Spiel und gehen darauf ein. Viele haben großen Bewegungsdrang, müssen sich auf dem Trampolin austoben. Auch Fütterprobleme können die Mütter auf Zeit herausfordern. Es seien eben Kinder, die schon ein Rucksäckchen mitbringen.

Manche Babys haben Entzugserscheinungen

Von den Eltern, den „Bauchmamas“, reden sie respektvoll. Auch wenn sie mit den Folgen ihres Unvermögens umgehen müssen. Es sind Säuglinge, die noch Amphetamine im Blut haben oder Alkohol, die Entzugserscheinungen haben, in ihrem kurzen Leben schon harte Bindungsabbrüche erlebten. „Sie schreien viel, müssen viel gehalten werden“, beschreibt Doris die ersten Tage mit einem neuen Gast. „Ein Baby hat drei Wochen nur in meinem Arm geschlafen“, erinnert sich Sandra. „Das eigene Leben war da auf Pause, aber es hat nichts anderes geholfen, dann nimmt man das in Kauf.“

Und dann beginne der Alltag: Aufstehen, frühstücken, Zähne putzen, Haare kämmen, zählt Sandra auf, „gemeinsam am Tisch zu sitzen und zu essen ist für viele eine neue Erfahrung“, bedauert Doris. Die geregelten Tagesabläufe vermitteln den Kindern Sicherheit. Nach der Eingewöhnung machen die Kinder alles mit, auch Familienfeiern oder Urlaube. Dazu müssen sie lernen, Regeln einzuhalten, Grenzen zu respektieren.

Bis zu zwei Jahre dauern Gerichtsentscheide zum weiteren Leben des Kindes

Mit ihren Kindern auf Zeit nehmen sie Gerichtstermine wahr, Besuchstermine der leiblichen Eltern, Anbahnungstermine mit den künftigen Eltern, regelmäßig kommt das Jugendamt vorbei. Auch Therapien und Frühförderangebote sind für viele Kinder nötig. Bindungsstörungen könnten sie nicht in ein paar Monaten reparieren, aber jede positive Erfahrung könne helfen, sind die Profi-Mütter sicher. Allen Herausforderungen zum Trotz sei die Arbeit „immer interessant und abwechslungsreich“, erzählt Doris. Auch Sandra sagt, dass sie in ihren ursprünglichen Bürojob nicht zurückkehren würde.

Bis der weitere Lebensweg für ein Kind arrangiert ist, gehen maximal zwei Jahre ins Land. Gutachten ziehen das Verfahren in die Länge, weiß Sandra. Aber nur so kann geklärt werden, ob ein Kind zusammen mit der leiblichen Mutter in eine Mutter-Kind-Einrichtung ziehen darf, ob eine Dauerpflegestelle nötig ist oder eine Rückführung.

Beim ersten Lächeln „geht das Herz auf“

Fürs Geld machen sie das nicht, betonen beide, da wäre ein Minijob einfacher. Ohnehin ist Bedingung, dass Pflegeeltern finanziell abgesichert sind und die Motivation eine andere ist. „Aber wenn so ein kleiner Mensch das erste Mal lächelt, geht das Herz auf“, sagt Sandra. Stark traumatisierte Babys hätten häufig eine ganz starre Mimik, es dauere lang, bis sie Vertrauen fassen. Selbst beim Staubsaugen würden sie Panikattacken bekommen.

Und was braucht es, um eine gute Pflegemutter zu sein? „Große Frustrationstoleranz“, sagen beide, „und großes Verantwortungsbewusstsein, wir sind für die Kinder da, nicht für die Eltern“. Ihnen gegenüber seien sie tolerant, „auch wenn sie Schlimmes gemacht haben“. Allerdings gab es auch schon unangenehme Begegnungen, unterschwellige Gewaltandrohungen eines Großvaters, eine Mutter, die mit Stühlen schmiss.

Pflegekinderdienst hilft, wenn die Chemie nicht stimmt

Ein Spagat sei es allerdings, wenn die Kinder besonders verhaltensauffällig sind, gewalttätig werden oder nachts viel schreien. „Dann hab ich schon ein schlechtes Gewissen meinen eigenen Kindern gegenüber“, bekennt Sandra, die Familie müsse sie schließlich auch schützen. Bislang habe es immer gepasst, aber zur Not müsse das Jugendamt eingreifen und eine andere Familie suchen, sagt Michaela Simon vom Pflegekinderdienst. Die beiden Frauen bekennen offen, dass manche ihrer kleinen Gäste echte Herzenskinder werden, bei manchen die Chemie nicht so stimme. „Aber meist passt es!“

Michaela Simon (li.) und Maren Werner arbeiten beim Pflegekinderdienst des Jugendamtes der Stadt Duisburg. Sie unterstützen die Bereitschaftspflegefamilien bei ihrer Arbeit.
Michaela Simon (li.) und Maren Werner arbeiten beim Pflegekinderdienst des Jugendamtes der Stadt Duisburg. Sie unterstützen die Bereitschaftspflegefamilien bei ihrer Arbeit. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Wirklich krasse Fälle landen in der Regel nicht in den Bereitschaftspflegefamilien, betont Maren Werner vom Pflegekinderdienst. Kinder, die so verhaltensauffällig sind, dass sie fast als Systemsprenger bezeichnet werden könnten, werden zu Erziehungsstellen vermittelt, die von pädagogisch geschulten Eltern betrieben werden.

Sandra hat sich jetzt lange um ein Geschwisterpaar gekümmert, bei Doris haben in den letzten fünf Jahren zehn Kinder gelebt, manche nur wenige Tage, das längste anderthalb Jahre.

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Schwerer Abschied auf Raten

Der Abschied sei „immer schwer“, betonen die Frauen, auch wenn er von Anfang an mitgedacht wird. Das Tempo gebe immer das Kind vor, betonen sie, „man kann es nicht einfach verschieben“. Damit es keine Lücke in der Biografie gibt, bekommen die Kinder ein Fotoalbum mit, das sie am ersten Tag zeigt, beim Kneten und Basteln, beim Radfahren lernen oder wenn der erste Zahn herausfällt, schöne, normale Erlebnisse aus einer Zeit des großen Umbruchs.

Ob später auch Besuche gewünscht sind, entscheide die Dauerpflegefamilie. Für die Kinder sei diese Art von „Nachsorge“ wichtig, sagt Maren Werner, „sie wollen wissen, dass es ihrer Bereitschaftsfamilie gut geht“. Die Wertschätzung der neuen Familien bedeutet aber auch den Pflegemüttern viel. „Von einer Familie bekam ich ein Foto des Kindes“, sagt Doris, „darauf stand ‚Danke für deine Liebe‘, das tat gut.“

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>>DER PFLEGEKINDERDIENST DER STADT DUISBURG

  • Wenn der Allgemeine Soziale Dienst des Jugendamtes Kinder in Obhut nimmt, kommt der Pflegekinderdienst zum Einsatz.
  • Er begleitet und betreut die Fremdpflege von Kindern, berät abgebende und aufnahmebereite Eltern, bietet Fortbildungen und Gruppenangebote an.
  • Weitere Infos auf der Webseite der Stadt unter dem Stichwort Pflegekinderdienst.